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  • AutorenbildWerler Kötte

Aus dem Leben eines Köttenkindes

-Echt fiktive Anekdoten-


Die „Siedlung“


Jede heldenhafte Erzählung braucht einen würdigen Schauplatz. Im weitesten Sinne spielen sämtliche Geschichten, die des aufmerksamen Zuhörens wert sind, in Werl. Unsere lose Sammlung ereignet sich genauer gesagt im Norden der Köttenstadt, der sogenannten Siedlung. Besagter Mikrokosmos erstreckt sich über den Drosselweg, Kiebitzweg, Finkenstraße und der Plaschkestraße. Ein auf den ersten Blick recht überschaubarer Bereich, in dem ich meine Kindheit und Jugend verbringen durfte.


Das Zentrum des umkämpften Gebietes bildeten Mehrfamilienhäuser, die in gleichförmiger Hässlichkeit Wohnraum boten. Auf der einen Seite konnten die neugierigen Ommas das Geschehen aus den Fenstern beobachten, auf der anderen Seite waren die Logen in Form von Balkonen angebracht. Zwischen den beigen (das Warsteiner unter den Farben) Herbergen luden Wiesen zum Herumtollen, Spielen und wilden Kloppereien ein. 2 Spielplätze standen den hyperaktiven Blagen ebenso zur Verfügung. Rutschen, Sandkästen, auf Sprungfedern angebrachte Motorräder und Häuser, von denen man spektakuläre Stunts vollführen konnte. Garagen dienten in multifunktionaler Weise als Fußballtore, Klettergerüste und Abstellflächen für die liebevoll gehegten Fahrzeuge. Heute könnte man sie als Kompaktwohnungen dem angespannten Wohnungsmarkt zuführen.


Ein heruntergekommener Bauernhof bzw. eine kleine eingezäunte Weide diente Schafen als Aufenthaltsort und den Bewohnern als Komposthaufen für ungenießbare Backwaren.

In der Siedlung lebten keine Juristen, Ärzte oder gut betuchte Unternehmer, sondern Handwerker, Putzkräfte, Transferleistungsbezieher und richtig echte Kötten. Man half sich beim Einkaufen, dem Bescheißen des Finanzamtes und anderen urdeutschen Hobbies.


90er- Verrückte Zeiten


Neben dem Handlungsort ist es ebenfalls von Bedeutung, wann sich die Geschehnisse zutragen. Um die Legenden zu verstehen, die mit der Siedlung verwoben sind, setzen wir uns in den DeLorean und reisen in die 90er Jahre, eine Ära, über die nur noch wenige Menschen aus eigener Erfahrung berichten können. In den Tagen vor der Jahrtausendwende mussten die bemitleidenswerten Zeitzeugen ohne Internet, also auch ohne Facebook, youporn und Instagram auskommen. Zur Unterhaltung setzten sie sich auf geblümte Sofas, vor denen Fliesentische mit wuchtigen Gläsern und Chipsschüsseln beladen wurden und glotzten in sogenannte Röhrenfernseher. In den raumgreifenden Flimmerkisten liefen meist miserabel gespielte Krimis oder Spielshows. Darin wurde fröhlich drauflos geraten. Was haben Menschen auf so tiefschürfende Fragen, wie „Nennen Sie einen Ort, an dem Sie Bier trinken.“, geantwortet? Oder man riet, welche Preise bestimmte Produkte im Einzelhandel hatten. Ja, es brauchte nicht viel…

Da man noch nicht Egoshooter gegen Süchtige am anderen Ende der Welt zocken konnte, von denen man sich kreative Beleidigungen seiner gesamten Ahnenreihe anhört, spielte man am Super Nintendo, wo man einen pixeligen Klempner auf Schildkröten hüpfen ließ. Später lockte dann auch die Playstation vor die Glotze, auf der man Zombies niedermähte oder virtuell pöhlte.

Mobile Kommunikation (Whatsapp und son Gedöns) steckte noch nicht einmal in den Kinderschuhen, weshalb man noch bei den Erziehungsberechtigten vorstellig wurde, um über den Freigang in Verhandlungen zu treten. Anschließend wurde gepöhlt, Verstecken gespielt, geklettert, sich mit Plastikknarren über den Haufen geballert und weiteren Beschäftigungen nachgegangen, die ohne Cloud, Bluetooth und Fotofilter auskommen mussten. Doch dazu später sicherlich mehr.


Kötten unter einem Dach


Das Personal der folgenden Anekdoten, Legenden und Darstellungen wird im Laufe des Geschreibes sicher näher beschrieben, dennoch sollte zumindest der innerfamiliäre Kern kurz vorgestellt werden, damit der geneigte Leser nicht vollkommen unvorbereitet ins klirrend kalte Wasser geworfen wird.


Omma, teilweise verdeckt...

Omma.

Jede ernstzunehmende Familie braucht eine Omma, die den Laden zusammenhält. In unserem Fall hörte Omma auch auf die Namen Erna, Marga oder situativ Nebelkrähe. Ihre Dienstkleidung bestand aus einem praktischen Kittel, der mit einem zeitlos zeitlosen Blümchenmuster versehen war. Das Wohl ihrer Untergebenen lag ihr immer am Herzen. Hunger verspürte ich in ihrer Anwesenheit nie, denn sie witterte das körperliche Bedürfnis bereits, bevor mein Körper auch nur ahnen konnte, dass es Zeit für die Nahrungsaufnahme wird.


Allerdings hörte das Kümmern nicht im Kreise der eigenen Familie auf. Regelmäßig ließ sie mittels eines Körbchens Süßwaren oder Eis für die spielenden Kinder vom Balkon herab. Ihre Leidenschaft galt auch dem Studieren der Fernsehzeitung, anhand welcher sie das Unterhaltungsprogramm für den Abend komponierte. Beim Einkaufen achtete sie sehr auf „Angebote“, sodass die Lebensmittel kostenschonend in mehreren Supermärkten zusammengestellt wurden.



Da hat sich Oppa mit dem Falschen angelegt.

Oppa.

Ein Kerl, wie sie schon lange nicht mehr hergestellt werden. Bereits als schulpflichtiger Jaust war er in der fernen Pfalz für die Ernährung der Familie zuständig. Marschieren, Kühe melken, Stämme durch die Wälder ziehen und weitere nicht vergnügungssteuerpflichtige Aktivitäten prägten seine Kindheit.


Er malochte auf dem Bau, traditionell auch oft schwarz und die Zigarre zwischen den Mundwinkeln war so obligatorisch wie Müllhaufen in Werler Vorgärten. Da er Jäger war, jedoch keine Viecher über den Haufen schoss, pflegte er gelegentlich Wildtiere in unseren beengten Räumlichkeiten. Seine Gewehre hingen sicher im Esszimmer an der Wand. Aufgrund von Gründen (herrliche Formulierung) hing er lange an der Whiskeyflasche, hatte jedoch neben der cholerischen Seite ebenfalls eine sehr sensible Art.



Die Mutter allen Übels in Spanien

Mamma.

Sie ließ mich aus ihrem Leib schneiden, weshalb man ihr dankbar sein oder sie verfluchen sollte. In jugendlichen Jahren verliebte sie sich in einen belgischen Soldaten, den sie heiratete, 2 Jäuster produzierte und nach einem Verkehrsunfall in Belgien unter die Erde brachte. Also den Gatten...


Sie hatte zeitlebens mehr Eier in der Hose als ein Trupp aus der Fremdenlegion. Sie kümmerte sich darum, dass wir unseren kostspieligen Hobbies nachgehen konnten, kutschierte uns erst mit dem Rad, später mit dem Auto zu exzessiven Veranstaltungen, besuchte mit uns Musikfestivals und ermöglichte Dinge, die im Drosselweg sonst eher im Bereich des Phantastischen zu verorten waren. Allerdings war sie auch stur wie ein bockiger Esel.



Auch Belgier können Kötten werden.

Pappa.

Tot. Ein Bonvivant sondergleichen, als Soldat in Werl stationiert und mit viel Benzin im Blut sein Leben gelebt. Bei einem Verkehrsunfall im Land der besten Fritten gestorben.



Mein Bruder wusste schon immer, was gut war.

Eule.

Knapp 5 Jahre vor mir erblickte mein großer Bruder das gleißende Licht der Welt. Er prägte mein Dasein von Kindesbeinen an. Der erste PC stand in seinem Zimmer, ihm sah ich beim Zocken von Resident Evil und anderen für Kinderaugen eher ungeeigneten Spielen über die mächtigen Schultern. Sicher, ich nutzte meine Position als Nesthäkchen aus, provozierte und petzte wie eine Knastratte, aber mit den Jahren weiß man die Existenz des jeweils anderen auf eine andere Weise zu schätzen. Auf seinen Partys stimmte die Mischung aus Fusel und guter Musik, was sich bis zum heutigen Tag nicht geändert hat.



Ich bei der Gartenarbeit...

Ich.

Über mich werden die kommenden Generationen zu urteilen haben, falls sie denn noch über einen bewohnbaren Planeten verfügen sollten. Geboren und aufgewachsen in Werl dürfte als Information ausreichen.


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