Ich befinde mich in der Droste-Hülshoff Straße, traditionell ein Ort individueller Ausprägungen und Strömungen. Heute bin ich mit Karl-Uwe verabredet, ein Veteran unter den Sammlern in der Wallfahrtstadt. Ich betätige die klirrende Klingel, was aber unnötig war, da die Pforte aus mir noch unbekannten Gründen nicht vorhanden ist. Immerhin weiß Karl-Uwe dann jetzt Bescheid, dass ich auf dem Weg zu ihm bin.
Der Treppenflur riecht nach diffusen Ausdünstungen menschlichen Ursprungs. Meine schicken Treter von Action kleben an den Fliesen und ich möchte gar nicht wissen, was da so klebrig ist. Hier und da ein paar kleine Haufen unterschiedlicher Zusammensetzung. Gebrauchte Windeln, eine offensichtlich funktionsuntüchtige Stereo-Anlage, viel Altpapier und Spritzen. Offenbar machen die Ärzte hier noch Hausbesuche.
Endlich erklimme ich atemlos die achte Etage. Karl-Uwe steht bereits in der Eingangstür zu seiner Wohnung. Die Arme hat er vor dem bulligen Oberkörper verschränkt. Darunter kommt ein Bierbauch zum Vorschein, mit dem man sich sonntags ohne Scham an jedem Fußballplatz blicken lassen könnte.
<<Du bist also der Praktikant? Schuhe ausziehen und nichts anpacken!>> Sein Erscheinungsbild ist respekteinflößend wie eine gezückte Schnellfeuerwaffe und sein Duft nimmt es mit jeder öffentlichen Toilette auf. Aber laut unserem Chef ist er eine Koryphäe auf dem Gebiet und da gehören Macken eben dazu. Ich nicke eingeschüchtert und passiere die hölzerne Tür. Direkt im Flur weiche ich stümperhaft einem Stapel alter Zeitungen aus und bringe dabei fast einen gelben Sack zu Fall. Ich spüre den durchbohrenden Blick Karl-Uwes auf mir.
Wir nehmen im Wohnzimmer Platz, jedenfalls könnte das mal ein Wohnzimmer gewesen sein. <<Karl-Uwe, es ist mir eine Ehre, dass du mich hier in deinem Reich empfängst.>> Meine Stimme verrät Unsicherheit und Nervosität. <<Duz mich nicht! Für dich bin ich immer noch Herr Kloppskopp.>> Wieder nicke ich schüchtern und eingeschüchtert zugleich.
Auf dem Fliesentisch steht eine Dose Tabak, in der noch einige braune Fäden auf Weiterverarbeitung warten. Daneben eine Stopfmaschine aus edlem Kunststoff und eine druckfrische Ausgabe des Anzeigers. <<Die bekomme ich gratis. Der Asi in der Bude unter uns ist Langschläfer, weshalb ich mir die Zeitung immer vorher abgreife. Der frühe Vogel tanzt mit dem Wurm.>> Der Mann strahlt Weisheit aus wie es sonst nur diese Leute in der Fußgängerzone tun, die Schilder mit Jesus rettet oder so vor ihren Körpern tragen.
<<Herr Kloppskopp, Sie gelten in der Szene ja als absoluter Experte. Wie betrachten Sie die Entwicklungen in Werl?>> Kloppskopp streut fingerfertig Tabak in die Stopfmaschine und fertigt eine stramme Zichte, die er sich zügig zwischen die Lippen steckt. Mit einem Einwegfeuerzeug zündet er das Kunstwerk an, inhaliert, atmet röchelnd aus und beugt sich vor, wobei das Sofa knarrt. <<Ich habe klein angefangen, auch wenn ich nicht gerne darüber spreche. Früher habe ich Pfandflaschen gesammelt. Irgendwann wurde mir das zu eintönig, zumal das ja jeder Hanswurst betreibt. Und Werl hat bekanntlich mehr als genug zu bieten.>>
Wie unsere Leser bereits wissen, gehört Werl zu den Modellkommunen, in denen der Umgang mit Müll durch einen integrativen Ansatz betrieben wird. Leben mit Müll, statt diesen nachlässig wegzuwerfen. Dieses Programm spielt Kloppskopp in die Karten.
<<Mittlerweile bin ich dazu übergegangen hochwertigen Müll da zu sammeln, wo er zu finden ist. Amateure und Quereinsteiger suchen in Abfalleimern, stecken ihre Rüben in die verteilten Tonnen und stellen sich dabei besonders dämlich an.>> Es ist faszinierend Kloppskopp bei seinen Ausführungen zu beobachten. Er drückt die qualmende Kippe in einer Styroporverpackung aus, in der eine rötliche Sauce vom letzten Mahl zeugt. <<Haben Sie denn irgendwelche Tipps für Werler, die in ihrem Bereich erfolgreich sein möchten?>> Zischend öffnet er eine Dose Faxe und trinkt aus dem schäumenden Behältnis. Sein ungleich gewachsener Bart tropft und lässt das kostbare Getränk auf sein Deutschland-Trikot plätschern.
<<Zunächst mal sollte man einen Anfänger-Kurs bei mir buchen. Man findet mich vormittags meist im Kurpark, nachmittags klappere ich die Altglascontainer ab oder schaue mich auf den Spielplätzen um.>>
Ein Rülpser entweicht dem von Zähnen großräumig befreiten Mund und erfüllt das Zimmer mit einem aromatischen Geruch. <<Was für Empfehlungen würden sie den mir geben, wenn ich nach unserem Gespräch auf die Pirsch gehen wollte?>> Er zerdrückt die geleerte Dose, indem er sich das hohle Teil gegen die narbige Stirn ballert. Pure Ästhetik. <<Zunächst einmal kannste so nicht rumlaufen. Haste keine Joggingbuxe oder was ist mit dir nicht richtig? Zweitens, einfach Augen aufhalten. Werl ist ein Schlaraffenland sondergleichen. Überall liegt kostbarer Müll herum. Alte Kassettenspieler, halb gerauchte Zigaretten, Pappbecher gehen auch immer gut, aufgerissene Chipstüten ohne den ungesunden Inhalt oder die klassischen Kunststoffpülleken.>> Worte eines wahren Kenners, der sich kenntnisreich auskennt.
<<Wo bleiben meine Manieren?! Willste was trinken? Hab noch Korn, River Cola und ne leere Tüte Milch, die ich immer mit Wasser auffülle.>> Ich lehne dankend ab und lasse meinen Blick schweifen. In einer Ecke stehen VHS-Rekorde, auf denen Röhrenfernseher bis zur Decke gestapelt sind. In Vitrinen häufen sich Plastikflaschen, sodass die gläsernen Türen einen Spalt offenstehen. Kloppskopp bemerkt meinen neugierigen Blick. <<Was guckste so bescheuert?! Muss ich dir Hampelmann das jetzt für Blöde erklären, oder was?>> Ich zittere ein wenig und antworte mit gebrochener Stimme. <<Wäre es nicht lukrativer das Pfand gegen Bares einzutauschen?>>
Kloppskopp haut mit der haarigen Faust auf den rissigen Fliesentisch. Ein Plastikbecher geht ruckelnd zu Boden und verteilt hochprozentige Spritzer auf dem Teppichboden, dessen ursprüngliche Farbe nicht mehr rekonstruierbar ist. <<Wer kurzfristig Kohle machen möchte, kann das natürlich tun. Spielothek wäre da auch ne Option. Ich denke wiederum langfristig, überleg doch mal nach! Plastik ist das Gold von Morgen. Die ganzen ungewaschenen Ökos verbieten ja immer mehr von dem guten Zeug. Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis eine Generation heranwächst, die Plastik nur aus Geschichtsbüchern kennt. Und da komme ich ins Spiel. Wenn das Angebot sinkt, die Nachfrage aber konstant bleibt, dann scheffle ich hier die Millionen. Demnächst miete ich mir noch ne kleine Garage, denn mein privates Lager hier ist leider sehr begrenzt.>>
Wir sitzen noch eine gute Stunde beisammen und Kloppskopp schildert die herausragende Lage Werls in Sachen Einwegmüll. Er schwärmt von den Spielplätzen, wo es allerlei zu finden gäbe, präsentiert mir noch stolz seine Sammlung von Plastiktüten, die in einer großen ALDI-Tasche Platz finden. <<Das ist meine Altersvorsorge!>>
Zum Abschied gibt er mir noch einen Klaps auf die Schulter und spricht mir Mut zu. Wirklich ein feiner Kerl. Auf dem Weg zum Auto finde ich eine verblichene Tüte von Schlecker im Gebüsch, freue mich wahnsinnig über diesen Sensationsfund und stecke sie in meinen Jutebeutel, den ich beizeiten entsorgen muss.
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