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  • AutorenbildWerler Kötte

Fußgängerzone

Die deutsche Fußgängerzone ist inzwischen ein Fall für den Gerichtsmediziner geworden. Vieles hat sich verändert. Das Konsumverhalten, die Lebensweise und die Synchronstimmen bei den Simpsons. Die Fußgängerzonen sind sich hingegen treu geblieben, wodurch immerhin viel Ladenfläche frei geworden ist. Wir wollen uns heute nicht mit den Lösungsansätzen, verschlafenen Möglichkeiten und fatalen Entwicklungen im Allgemeinen befassen, sondern schreiten beschwingt durch die Werler City.


Willkommen in Werl


Die Innenstadt ist generell ein kurioser Ort, denn hier darf man grundsätzlich nicht mit dem BrummBrumm umherkurven, außer man ist Ordnungshüter oder verdient sich als entspannter Paketbote eine goldene Nase.


Wie bereits angedeutet, befinden sich Fußgängerzonen landesweit in einem Zustand, der als untot bezeichnet werden könnte. Auch in Werl hat sich einiges getan. Dennoch gilt für unsere Köttenstadt, dass nicht alles so schlimm ist, wie es auf den ersten Blick scheint.


Gib mir Dein Geld!


Eine Fußgängerzone ist per se ein Ort, an dem Menschen willkommen sind, die Geld loswerden wollen, die Bock auf Konsum haben und sich nach Leerung des Portemonnaies wieder ins Eigenheim samt Kiesgarten verpissen. Jedenfalls war dies immer eine der Hauptintentionen, die hinter den versiegelten Flaniermeilen steckten. Doch genug allgemeiner Firlefanz. Wie gewohnt täuschen wir Struktur vor, indem wir die unterschiedlichen Investitionsmöglichkeiten der Werler Freiluftmall nach Kategorien abarbeiten. Doch vorweg geht es um Charaktereigenschaften und Umstände, die nicht primär mit dem schnöden Mammon zusammenhängen.


Köttenkunst


Menschenmassen sucht man in der Werler City vergeblich und auch einige Ladenlokale stehen leer, was nicht dem althergebrachten Schönheitsideal einer Fußgängerzone entspricht. Aber unsere Köttenstadt bewegt sich eh in Sphären, die mit den schablonenhaften Kriterien der Norm nicht zu greifen sind.



Die Fußgängerzone bietet dem anspruchsvollen Auge einige Leckerbissen. Alte Fachwerkbuden als Kontrast zu modernen Abscheulichkeiten zum Beispiel. Allgemein gibt es einige historische Gebäude zu entdecken, an denen Informationstafeln interessierten Interessierten Hintergründe näherbringen. Zur Kirche als Institution kann und sollte man eine differenzierte Meinung haben, ihre Bauwerke sind aber meist besondere Hingucker. Das gilt auch für unsere City. Die Basilika sticht sicher heraus, aber die Propstei bietet ebenso einen schönen Anblick und verfügt über eine imposante Ausstattung. Außerdem kann man in den Räumlichkeiten besser zur Ruhe kommen als auf der Bahnhofstoilette.


Unmittelbar im Zentrum findet der bildungswillige Bürger auch die VHS, in der regelmäßig unterschiedliche Kurse angeboten werden, in denen man seinen beschränkten Horizont erweitern oder endlich Schreibmaschineschreiben erlernen kann. Eine Prise Historie gibt es im Museum am Rykenberg, wo man die salzige Vergangenheit erkundet. Am Ende der Flaniermeile kann man dann in die Welt des gedruckten Wortes eintauchen. Die Werler Stadtbücherei haben wir in einem gesonderten Bericht bereits genauer ins gleißende Rampenlicht gestellt.



An vielen Stellen sind verschiedene Kunstwerke zu betrachten, die Exemplare aus der Werler Tierwelt darstellen sollen. Pelikane, Bäre, Stiere und was einem sonst noch so im Norden der Stadt über den Weg läuft. Daneben gibt es noch den Salzsieder, seinen Kollegen aus der Schweinehaltung und weitere Statuen, Skulpturen oder wie man die Teile nennt. Vor der Basilika kann man die Stadt in haptischer Weise erkunden, da dort eine bronzene Nachbildung zu finden ist. Nicht zu vergessen, der Plätscherbrunnen, der an die Münzprägevergangenheit erinnert. Auf dem Marktplatz wurde vor nicht allzu langer Zeit ein Wasserspiel platziert, das kunterbunte Säulen erzeugt und ebenfalls eine Verneigung vor der Vergangenheit darstellt. Und wem die Gebühren in der Bücherei zu teuer sind, der kann auch im Bücherschrank stöbern.


Köttenkunst

Hunger? Durst?


Ohne Mampf kein Kampf heißt einer der weisen Sinnsprüche unserer poetischen Sprache. Wenn die Wampe knurrt, besteht in der Regel akuter Handlungsbedarf. Im Herzen Werls dürfte für jeden Geschmack was zu finden sein.


Die für deutsche Innenstädte obligatorische Auswahl findet der hungrige Flaneur auch bei uns. Etliche Anlaufstellen fabrizieren Pizzen (nein, nicht Pizzas! Nicht alles, was erlaubt ist, sollte man tun), es gibt Döner, libanesische Küche, indische Gerichte, Backwaren, Burger, die nicht aus systemgastronomischer Fertigung stammen und köstliches Eis. Doch was wäre eine Speisekarte ohne Mantaplatte? Eine Pommesbude haben wir selbstverständlich auch im Angebot. Außerdem ist die „gutbürgerliche“ Sparte vertreten, in der u.a. deftige Schnitzel serviert werden.


Ohne Sprit kommt man bekanntlich auch nicht weit, weshalb der essenziellen Flüssigkeitszufuhr ebenso Beachtung geschenkt wird. Dabei reicht das Spektrum vom eher angestaubten Ambiente bis hin zu Bubble Tea und Kneipe. Vor einiger Zeit haben wir uns eingehend mit Cafés, Kaffeestuben und dergleichen befasst. Einfach den Link klicken oder mit dem fettigen Finger draufrumtippen.




Bei Risiken und Nebenwirkungen konsultieren Sie google


Die Apotheke, der Treffpunkt für Senioren und Seniorinnen, die sich hier über Trends aus der Tablettenindustrie austauschen können. Von Salben gegen fatale Falten im Gesicht, über Nahrungsergänzungsmittel für Menschen, die zu wenig Fritten futtern bis hin zu potenten Pillen für allerlei Verwendungszwecke (knickknack) gibt es hier alles, was das Rezeptbuch hergibt. Da es in Werl sowohl Allgemeinmediziner als auch spezialisierte Facharztpraxen gibt, ist eine ausreichende Versorgung mit Apotheken eine wichtige Säule des hiesigen Gesundheitswesens. Außerdem muss die „Apothekenumschau“ ja irgendwie unter die Leute gebracht werden. In unserer City gibt es jedenfalls mehrere Anlaufstellen, bei denen man mal ein gratis Traubenzucker abgreifen kann.


Eis, Eis Baby...

Da das Leben vor allem als Prozess degenerativen Zerfalls zu betrachten ist, können sich Besucher der Innenstadt mutig gegen die unausweichliche Verkümmerung der körperlichen Verfassung stemmen. Die Apotheken bilden dafür einen Baustein. Fachärzte einen weiteren. Außerdem verticken Optiker glasierte Accessoires, damit Kötte die volle Leistungsstärke des heimischen Fernsehers beim Betrachten von Love Island genießen kann. Um die in der Sendung kommunizierten Weisheiten auch zu verstehen, sorgen Hörgeräteakustiker für die entsprechenden Einstellungen.


Vergangenheit und Gegenwart

Kaufen, Kaufen, Kaufen


Primärer Zweck einer Fußgängerzone ist die Befriedigung des höchst edlen Bedürfnisses nach Konsum. Geld loswerden und im Austausch dafür hochwertigen Klimmbimm bekommen. Wir haben zwar keine Champs-Elysees, aber ein paar Eierkneifer und nen Staubsauger bekommt man hier problemlos. Also checken wir mal den Dispo und plündern die prall gefüllten Regale.


Danielsmeier ist legendär und dürfte jeder und jedem ein Begriff sein. Es ist das Centr-O Werls. Wer muss schon durch die Thier-Galerie irren, um von einem Laden in den nächsten zu stolpern, wenn es in der Köttenstadt eine „All-in-One“ Lösung gibt? Schreibwaren, hässliche Unterwäsche, Reisekoffer, Eierkocher, Sportkleidung, Beileidskarten, Spielwaren und Kopfhörer mit Kabeln (die gibt es sonst nirgends!) werden hier für den zahlungswilligen Kunden bereitgehalten. Der TEDi am Marktplatz ist als kostengünstigere Variante aus einem Paralleluniversum zu betrachten.


Wenn wir uns in die Öffentlichkeit wagen, tun wir das in der Regel bekleidet. Das mag unnatürlich sein, hat sich über die Jahre aber als gesellschaftliche Norm etabliert. Man kann sich einfach die Retrotrikots von Preußen Werl überstreifen, die inzwischen einen hohen Sammlerwert haben dürften oder man betritt die Boutiquen, in denen von meisterhafter Kinderhand zusammengenähte Abscheulichkeiten auf formschönen Bügeln hängen. Bei uns gibt es u.a. einen Schuppen mit 2 Buchstaben (mehr verraten wir nicht), einen Laden für Blagen und Textilien für die Frauen der Schöpfung. In der Discountwelt von TEDi, Woolworth und Co. findet der geschmacksverkalkte Modeexperte allerdings ebenfalls massig Masse. Wem diese Angebote nicht ausreichen, der findet am Ende der Fußgängerzone Vintageklamotten, die zeigen, dass Stil kein Haltbarkeitsdatum hat. Wenn die Textilfetzen am Bauch plötzlich eingelaufen sein sollten, läuft man mit dem Plunder zur Änderungsschneiderei. Japp, sowas gibt es immer noch, wenngleich ein komplett neues Outfit von Primark wahrscheinlich günstiger sein dürfte. Und wer nicht barfuß rumlaufen möchte, kann sich in der Fußgängerzone mit Tretern ausstatten. Sollten diese durch den beißenden Schweißgeruch irgendwann nicht mehr tauglich sein, geht man mit den Stinketeilen zum Schuhmacher. Japp, ham wa auch!


Werler Wanderausstellung

Was gibbet noch? Kuddelmuddel!


Portemonnaie immer noch nicht leergefegt? Kein Problem, denn es gibt noch mehr! Mal wieder jemand an oder mit Krebs gestorben? Ein Bestattungsunternehmen hilft bei den Fragen rund um Bestattungspflicht und Gestaltung der feierlichen Traurigkeiten. Blumen lindern bekanntlich den Schmerz und die gibt es direkt neben dem Drogeriemarkt des Vertrauens. Der Filius des Schwippschwagers hat Geburtstag? Oder gar der Schwippschwager selbst? Dann ist alles rund um Pokémon ein sicherer Volltreffer. Bei uns gibt es Karten und Plüschtiere. Die Redaktion findet es toll, fragt sich aber, ob sich das kleine Kabuff halten kann, wenn Gamestop in Soest seine Pforten mit größerem Sortiment schließen musste. Wir drücken die Däumchen.


Kitschige Tapeten, batteriebetriebener Nonsens? Haben wir auch. Knebelnde Handyerträge mit unendlich Datenvolumen im langsamsten Netz Europas? Haben wir genauso. Man stinkt schon wieder und hat keinen Bock, sich zu waschen? Auf in die Parfümerie! Die Haare wuchern und sind selbst mit Sekundenkleber nicht mehr zu bändigen? Auf in den Friseursalon. Das Angebot reicht vom Barbier bis zur Wellnesskomplettlösung inklusive kosmetischer Erhaltungsmaßnahmen.


Schon wieder ein Einschreiben ans grimmige Inkassobüro verschicken? Stopftabak ist leer? Rubbellose nur mit Nieten versehen und es muss Nachschub her? All diese Dinge kann man in der Fußgängerzone erledigen. Der Köter möchte auf einmal nicht mehr die Reste von der Mantaplatte essen? In der Stadt gibt es handgemachte Leckerlis. Oder hat der Wauwau die Küche auf der Suche nach Gyros auseinandergenommen? Kein Thema, man muss nicht Billig-Hotdogs essen, um Möbel zu kaufen, das geht auch in der City.


Ab in den Urlaub


Wer hart schuftet, der braucht gelegentlich mal ne Auszeit. Um sich im Urlaub in einer angemessenen Form zu präsentieren, muss man die Wabbelarme stählen, die Bauchmuskeln aus dem jahrelangen Winterschlaf wecken und die dürren Ärmchen aufpumpen. Dafür steht den Flanierenden ein hochmodernes Fitnessstudio zur Verfügung. Sobald das teuer erfutterte Fett verbrannt ist, kann man sich die nächste Reise direkt in der City buchen, ohne dafür ins zwielichtige Internet zu müssen. Wenn der Urlaub zu teuer sein sollte, sucht man in der Steinschen Buchhandlung eben den passenden Reiseführer und genießt die Aussichten vom heimischen Lokus.


Ein auf Taschen spezialisierter Laden lässt keine Wünsche offen, wenngleich die gute Plastiktüte vom ALDI unübertroffen ist. Ein Highlight stellt der „Entrümpelungsladen“ dar, der genau das ist, was man erwartet. Nüchtern traue ich mich da jedenfalls nicht rein. Noch immer haben wir das Ende der Fahnenstange nicht erreicht.


Portemonnaie jetzt leer?!


Keine Sorge, im Herzen der Stadt findet man Sparkasse und Volksbank. Bevor der Shoppingwahn weitergehen kann, erhöht man eben den Dispo bei gut gekleideten Leuten oder lässt sich das Sparbuch von 1977 auszahlen. Anschließend kann man sich abseits des monetären Bodensatzes am gehobenen Konsum erfreuen, denn nicht jeder steht auf die streng riechenden Plastikkreationen von TEDi, Woolworth und Konsorten. Daher bietet Werl auch überteuerte Uhren und anderen Glitzerkram an. Eheringe, vergoldeter Intimschmuck, Kettchen für den frisch gebräunten Hals. Hier gibt es alles.


Es war einmal...

Wer nicht mehr weiter weiß, fragt bei der Stadtinformation nach, die beizeiten in die altehrwürdigen Räumlichkeiten der ehemaligen Marienapotheke ziehen wird. Ein überdimensioniertes Smartphone rundet das Angebot ab und bietet Infos zu Wanderwegen, Veranstaltungen und Kunstwerken.


Ebenfalls findet man im Inneren unserer Stadt die Musikschule, in der talentierte Blagen auf Trommeln herumkloppen oder im Takt an Saiten herumzupfen. Im Jugendzentrum erholt man sich von dem Gebrüll der Parentalgeneration und lernt, wie sich eine Zigarette von Hand drehen lässt. Anschließend können die nichtsnutzigen Blagen zum Jobcenter gehen, wo sie sich auf ihre verheißungsvolle Zukunft vorbereiten können.


Wann ist der Bericht endlich zuende?!


Keine Sorge, ich habe auch keine Lust mehr. Das war nur ein kurzer, äußerst unvollständiger Blick in die Fußgängerzone Werls und dennoch viel zu lang. Einiges haben wir nicht beachtet, anderes stark verkürzt und vieles wohl einfach vergessen. Die City hat mit den konzeptionellen Problemen der angestaubten Vergangenheit zu kämpfen. Wer sich nach dem Aussehen von früher sehnt, der muss enttäuscht werden. Solche Anblicke wird es nicht mehr geben, was aber nicht heißt, dass eine Innenstadt keine Anziehungskraft mehr ausstrahlen kann. Ich bin gerne in der City, denn sie ist mehr als die Möglichkeit, sich einen neuen Handyvertrag aufschwatzen zu lassen.


Hier laufen Menschen durch die Gegend und pöbeln imaginäre Unholde an. Hier sitzt ein Suffkopp mit ner Pulle Hugo neben dem Bücherschrank und liest ein wenig. Hier wird man Zeuge absurder Situationen und versorgt sich klatschigem Tratsch. Also hört auf zu jammern und kauft euch ein paar hässliche Unterhosen in der Stadt oder stöbert in der Bücherei.

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