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Kötte in Belgien

  • Autorenbild: Werler Kötte
    Werler Kötte
  • 5. Juli
  • 5 Min. Lesezeit

Mal wieder wühlen wir ein wenig in der nebulösen und kaum greifbaren Vergangenheit. Heute soll es eine kleine Einführung in ein prägendes Puzzleteil meiner bekloppten Biographie geben, die sich eben nicht in Werl abgespielt hat. Um der stetig lauernden Gefahr zu entgehen, ständig abschweifend von Höksken auf Stöksken (wie man das auch immer schreibt) zu kommen, soll es vor allem um eine Person gehen, der ich mit diesen Zeilen ein kleines digitales Andenken schaffen möchte.  

 

Vaterland und Mutterland

 

Ich bin eine gebürtige Kötte, gehöre also zu einer aussterbenden Sorte stolzer Menschen. Mein Vater hat sich ebenfalls eine Weile in Werl herumgetrieben, erblickte das Licht der Welt allerdings im beschaulichen Belgien. In Deutschland war er lediglich als uniformierter NATO-Soldat. Einstweilen traf der lüsterne Lüstling auf meine Mutter und dies führte wiederum zur Geburt zweier Prachtkerle (Details erspare ich euch, ihr notgeilen Notgeilen). In der Folge zog es die kleine Familie ins benachbarte Land, in dem französisch und ein Kopfschmerz verursachendes Kauderwelsch gesprochen wird. Wäre es so geblieben, müsstet ihr den Quatsch hier nicht lesen. Bei einem Verkehrsunfall kam Papa ums Leben (merkwürdige Formulierung), sodass nach einer Beerdigung, die von den Ausmaßen her beinahe befremdlich daherkam, eine Veränderung anstand. Es ging zurück nach Werl.

 

Philippe in der Küche
Philippe in der Küche

Philippe   

 

Der Kontakt zu den Blutsverwandten war überschaubar und eher unterkühlt. Dennoch waren wir oft in Belgien, wo wir die Zeit bei Philippe und Miriam verbrachten. Miriam war ein durchaus netter Mensch, hatte aber flämische Wurzeln, was als Erklärung reichen dürfte, dass sie im Laufe der Jahre auch weniger vorteilhafte Charakterzüge zeigte, aber als Kind und Jugendlicher hat man eher den Blick für die positiven Dinge. Der Protagonist in meinen lückenhafter werdenden Erinnerungen ist allerdings Philippe. Im Gegensatz zu meinem Bruder beschränken sich meine Französischkenntnisse leider auf die rudimentären Basics, weshalb meine Mutter meist als Dolmetscherin fungierte, dennoch ist noch vieles zwischen den Ohren hängen geblieben, was mit diesem imposanten Menschen zu tun hatte. Ohne auf chronologische oder inhaltliche Gewichtung zu achten, möchte ich ein paar Punkte, Anekdoten und Eigenschaften dieses Kerls loswerden, denn er hat mich trotz meines miserablen Französischs nachhaltig geprägt.

 

Rotes Licht

 

Philippe lebte in Charleroi bzw. einem der äußeren Bezirke (Rue Motte in der Nähe der besten Frittenschmiede der Welt „Chez Raymond“). Miriam war seine Partnerin und im Hause bzw. dem gigantischen Garten trieben sich immer viele Vierbeiner herum. Möpse (hihi und ja, doofe Züchtung) mit den Namen Tara, Milord, Lady, Bubule und Bull Mastiffs, wobei auf Vidocq Beau folgte. Nach ihrem Tod nahm Topaze das Sofa in Beschlag. Beau war eine Schönheit, die auf dem überfüllten Markt eine stetige Eleganz ausstrahlte, während sie die kläffenden Köter der anderen Flanierenden ignorierte. Jako, der Papagei war ebenfalls sehr unterhaltsam. Manchmal imitierte er die Türklingel, um die Hunde wild zu machen. Auch konnte er einige Beleidigungen zum Besten geben. Ich schweife bereits ab, denn alles hängt miteinander zusammen. Fragt einfach den Philosophen eures Vertrauens.

Hunde gehören aufs Sofa. Keine Diskussionen! 😉
Hunde gehören aufs Sofa. Keine Diskussionen! 😉

Philippe betrieb eine „Peep Show“ im Rotlichtviertel Charlerois, als dies noch ein einträgliches Geschäft war. Kurze Erläuterung. Auf einer kleinen Bühne, welche einem Drehteller glich, räkelten sich Damen, die sich dabei entkleideten. Mittels Jetons (im Tausch gegen Bares) konnten die meist masturbierenden Männer einen Sehschlitz öffnen und sich ihren objektifizierenden Gelüsten hingeben. Im angeschlossenen Shop gab es wiederum allerlei Utensilien zu erwerben. Ich durfte das Innere der Räumlichkeiten allerdings erst betreten, als ich dem Kindergartenalter entwachsen war.

Beste Gesellschaft
Beste Gesellschaft

Was gab es da zu entdecken? Die Regale wurden meist nach Ausflügen in niederländische Großlager befüllt und aus Kostengründen fand man auch immer deutsche Produktionen. Hinter Gittern unter Fickern und das Fotzenballet sind tatsächlich Titel, die sich aufgrund der originellen Betitelung in meine Festplatte eingebrannt haben. Ansonsten konnte der Kunde die üblichen Dinge erwerben. Unterwäsche in der Qualität von Karnevalskostümen, Kondome in allerlei Farben und Geschmacksrichtungen, Gleitgele für spezifische Anwendungsgebiete und Dilden (klingt ästhetischer als Dildos) in vielen Formen, Größen und mit unterschiedlicher Motorisierung.

 

Großer Kreisverkehr. Eine Ausfahrt führte ins "Rotlichtviertel"
Großer Kreisverkehr. Eine Ausfahrt führte ins "Rotlichtviertel"

Der Pate

 

Damals gab es noch kein Internet bzw. steckte es noch in den unschuldigen Kinderschuhen, sodass man mit Pornovideotheken und ähnlichen Dienstleistungen ordentlich Reibach machen konnte. Philippe war für mich rückblickend immer eine Art von Pate, denn er bewegte sich mutmaßlich fernab der vom Gesetz vorgesehenen Pfade. Ich weiß nicht Vieles über die Art, wie er sein Auskommen verdiente, aber mit wichsenden Wichten allein wäre ein derartiger Lebensstil nicht möglich gewesen, das ist klar wie frisch gezapfter Korn.


Wenn ich an Philippe in seinem Büro denke, sehe ich ihn immer, wie er Geldbündel zählte, bei denen mir die Kinnladen runterklappten. An der Wand hing ein Kalender, auf dem der Kopf Miriams auf eine Bodybuilderin und Philippes Antlitz auf das eines Sumoringers gesetzt wurde. Japp, er war beleibt, sehr beleibt.


Er trug immer feine Klamotten, teure Uhren am wulstigen Handgelenk, fuhr zeitweise einen Cappuccino (von Suzuki, nicht Eduscho) und besaß Gegenstände, die man nicht im Supermarkt kaufen konnte. So hatte er etliche, sehr feine Spazierstöcke, unter deren Verschluss scharfe Klingen lauerten. Auch trug er meist eine Schusswaffe am Körper, die allerdings nur einen Schuss abgeben konnte. Wenn wir irgendwo einkehrten, um zu essen, setzte er sich immer so hin, dass er den Eingang im Blick hatte. Ich tue das bis heute auch, wobei ich im Gegensatz zu Philippe wohl keinen Grund dazu habe, außer, einer kleinen Erinnerung an ihm Platz einzuräumen.

 

Wer genau hinsieht, entdeckt mich beim Klettern...
Wer genau hinsieht, entdeckt mich beim Klettern...

Was kostet die Welt?

 

Philippe war ein Unikat, wenngleich man sowas schnell dahersagt. Er hatte sich selbst Hausverbot in allen Casinos auf dem Globus erteilt, war ein herausragender Koch und kümmerte sich um seine Leute. Er löste Probleme und war ein freigiebiger Mensch.

2 Möpse und ich 🙄
2 Möpse und ich 🙄

In meiner Kindheit und Jugend waren Ausflüge mit ihm meist geprägt von Geschenken. Er mochte mich. Vielleicht, weil ich der Sohn meines Vaters war. Vielleicht war ich auch anderweitig okay, das kann ich nicht einschätzen. Im Decathlon wurde ich immer mit Torwarthandschuhen, Tretern und Fußbällen eingedeckt. Ein N64 in der Pikachu-Edition, Pokémon Silber auf Japanisch (Monate vor der Veröffentlichung in mir verständlichen Schriftzeichen), ein tragbarer DVD-Player (hat damals ein Vermögen gekostet) und eigentlich alles, was ich wollte. Kein Wunder, dass ich so ein egomanischer Narzisst geworden bin.


Wenn wir freitags auf dem Markt waren, gab es immer eine „deutsche Bratwurst“ und wir kehrten im „Maison des huit heures“ ein. Auf dem Markt selbst gab es irgendwie alles. Klamotten, Tiere, Werkzeug, Backwaren und was weiß ich. Modisch betrachtet kann und konnte ich die zusammengenähten Textilien nie so recht einschätzen. Entweder waren sie unserer Zeit voraus oder hoffnungslos veraltet. Sei es drum. In Charleroi wurde ebenfalls eine Kirmes veranstaltet. Die war deutlich größer als die Werler Variante, konnte gegenüber der Allerheiligenkirmes jedoch nicht anstinken. ABER, der Rummel ging fast einen Monat und es gab eine Spielhalle mit allerlei Ballerspielen (House of Dead, Time Crisis) und Rennspielen. Dort wurde ich mit Kleingeld von Philippe geparkt und hätte wohl Tage mit kurzen Schlafunterbrechungen am Abzug verbringen können. Natürlich wurden an den entsprechenden Buden auch Lose vertickt. Philippe kaufte so viele davon, dass Kuseng und ich einen gigantischen Pikachu aus Plüsch gewannen (gewonnen bekamen), mit dem wir Wrestlingmoves üben konnten.

 

Bubule hatte nur ein Auge. Sie war eine Piratin.
Bubule hatte nur ein Auge. Sie war eine Piratin.

Leider habe ich Philippe als Menschen nie so kennengelernt, wie ich es mir nun im Alter der ergrauten Haupthaare wünsche. Genau, er lebt nicht mehr. In der Kindheit und Jugend setzt man andere Prioritäten. Ein Abend als utopische Phantasie. Phillipe und ich sitzen am Tisch, trinken Rotwein und Kirschbier, essen frische Fritten und sprechen eine Sprache. Dann könnte ich ihn mit Fragen durchlöchern bis wir rotzevoll ins Bett torkeln. Japp, das wäre toll, wird wiederum nie geschehen, außer es gibt ein Leben nach dem Tod, was ich leider bezweifle. Demnächst werde ich noch einige Anekdoten niederschreiben, wozu auch die Begleitumstände seines Todes gehören. Spoiler, er wurde nicht von Mafiosi niedergeschossen.  

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1 Comment


Alexandra Tannigel
Alexandra Tannigel
Jul 06

Der lüsterne Lüstling 😂

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