Bald ist es wieder so weit, gigantische Menschenmassen werden die Werler Innenstadt fluten, um der traditionellen Michaeliskirmes einen Besuch abzustatten. Grund genug, mal wieder mit trübem Augenmaß auf meine Köttenstadt zu blicken.
Brot und Spiele
Unsere heutigen Kirmesveranstaltungen haben ihre Wurzeln (wie so viele Dinge) im düsteren Mittelalter. In der Zeit ohne WLAN und Outlets wollten die Leute auch unterhalten werden und shoppen gehen. Die Städte nutzten dafür Jahrmärkte, um einerseits lokalen und reisenden Händlern die Möglichkeit zum Verkauf ihrer Waren (Muskelwachstumstonikum, Ledergedöns, geschmiedete Keuschheitsgürtel etc.) zu geben. Andererseits sollte den Bewohnern ordentlich Programm geboten werden. Artisten und Zauberkunst, aber ebenso die Zurschaustellung von exotischen Tieren und entstellten Menschen oder gar Hexenverbrennungen und andere Highlights lockten Scharen auf die Marktplätze, wo die Talerbeutel geplündert wurden.
Kirmes heute
Der jährliche Höhepunkt vieler Rummelfreunde ist die Soester Allerheiligenkirmes. Hier verwandelt sich die Eurobahn in einen Sardinenbüchsensimulator. Hier gibt es einen Mittelaltermarkt, hier gibt es mehr spektakuläre Fahrgeschäfte als im Movie Park, hier vergessen rund eine Millionen Zuckerwattenfetischisten ihren tristen Alltag. Und die Kotze duftet nach Bullenauge.
Und was geht in Werl? Das Angebot dürfte man (mit viel Wohlwollen) als überschaubar bezeichnen. Man braucht keine Übersichtskarte oder lokalen Guide, der den Besucher über das riesige Gelände geleitet. Auch die Auswahl an Fahrgeschäften lockt keine hartgesottenen Adrenalinjunkies hinter dem Ofen hervor. Hier wird man eben nicht in 40 Metern so lange durchgeschüttelt, bis das Toupet davonflattert. Hier stellt man sich nicht in eine lange Schlange, um Nahtoderfahrungen zu machen. Hier nimmt man sich nicht einen Tag frei, um sich stundenlang von Bude zu Bude zu fressen, bis die Hose mit massig Elasthan kurz vorm Reißen ist. Darf man das überhaupt als Kirmes bezeichnen?
Fettig, zuckrig und salzig
Wenn man wissen möchte, ob die popelige Veranstaltung in Werl als Kirmes durchgehen kann, sollte gefragt werden, was man von so einer Veranstaltung erwartet. Und da gibt es einige obligatorische Punkte, die es abzuarbeiten gilt.
Wer sich auf dem Rummel tummelt, will fressen. Die dortige Nahrungsaufnahme hat wenig mit der Deckung des Kalorienbedarfs oder einer bewussten Ernährung zu tun. Ich will eine fetttriefende Bratwurst, die in einem See von angerührter Fertigsauce ertrinkt. Ich will Fritten, an denen ich mir die Zunge verbrenne. Ich will Crêpes mit Nutella und Zimtzucker. Ich will gebrannte Mandeln, die ich zuhause auf dem Sofa knabbere, während ich mich darüber aufrege, wie teuer der ganze Scheiß geworden ist. Zuckerwatte ist auch nett, aber in einer Dose Cola befindet sich mehr vom Heroin für Arme. Für den lieben Freund sucht man sich noch ein Lebkuchenherz aus, auf dem irgendwas mit Hasi, Pupsi oder Hasipupsi steht.
Das alles kann man in Werl tun. Seinen Durst kann man ebenfalls stillen oder sich die mitgebrachten Dosen Faxe reinschrauben. Also Haken dahinter!
Bisschen Zocken?
Wir Menschen verfügen alle über einen (mehr oder weniger) ausgeprägten Spieltrieb. Ein eigener Wissenschaftszweig namens Ludologie befasst sich mit der Thematik. Das tut nix zur Sache, kann aber bei einem Quizabend vielleicht mal nützlich sein. Damit verbunden ist ein Belohnungssystem, von dem die Glücksspielbranche profitiert und das Arbeitsplätze in der Suchtprävention und für die Behandlung von Betroffenen schafft. Win-Win also. Und diese Kombination erwarte ich auch auf einer Kirmes.
Ich will mit Gewehren auf titanüberzogene Rosen ballern, deren Präzision selbst von Bundeswehrmodellen übertroffen wird. Ich möchte mit Tischtennisbällen auf aneinandergeschweißte Bleidosen werfen, deren Böden in die Tresen zementiert wurden. Ich will mit Dartpfeilen auf unkaputtbare Ballons werfen und den zwielichtig dreinblickenden Typen so beeindrucken, dass er mir ein undefinierbares Plastikgedöns im Wert von 2,3 Cent überreicht.
Wenn ich dann noch Geld übrighaben sollte, geht es ab an die Automaten, die mit unfassbaren Gewinnen locken. Ein originalverpackter Röhrenfernseher mit integriertem VHS-Rekorder oder ein Pokémon, das jedenfalls entfernt an selbiges erinnert. Letztlich wird es dann doch ein kleiner Plüsch-Alf, aber der wird einen Ehrenplatz bekommen. Wenn es jemals eine Spielehalle auf der Kirmes geben sollte, in der man Videospiele zocken kann, würde ich für den Besuch eigens einen Kredit aufnehmen und mich mit Energydrinks besaufen, damit ich möglichst lange an den Knöpfen rumdrücken kann. Allerdings handelt es sich dabei um eine sehr persönliche Vorliebe, die niemals realisiert werden wird.
Dennoch kann besagter Spieltrieb in Werl befriedigt werden. Also Haken dahinter!
Einmal frei sein, einmal dabei sein!
Die Fahrgeschäfte sind das Salz auf den Fritten. Als ich noch keine alterstypischen Rückenbeschwerden mein Eigen nennen durfte und über volles Haupthaar verfügte, bin ich in jedes verdammte Höllengerät stolziert, das der TÜV als nicht lebensbedrohlich eingestuft hat.
Entweder lässt man sich in Bodennähe bis an den Rand der Bewusstlosigkeit drehen, lernt Zentrifugalkräfte in Musikexpress und Co. kennen oder fällt von aberwitzigen Höhen in den Abgrund, während man immer wieder nachschaut, ob der Sicherheitsbügel noch eingerastet ist.
Achterbahnen oder waghalsige Attraktionen sucht man in Werl vergeblich. Auf dem Marktplatz befindet sich meist ein Konstrukt, das zumindest für leicht erhöhten Puls sorgt, Veteranen aber eher als Beruhigungsmittel dient.
Wer also spannende Minuten erleben möchte, bei denen eine Mischung aus Angst, Freude und Aufregung durch den Leib vibriert, sollte sich vielleicht einen Tag im Vergnügungspark gönnen oder mit viel Geld gen Soest reisen.
Blagen, Jugendliche und alte Säcke
Kirmesbesuche werden oft im Familienverbund unternommen. Die kleinen Kinder schlachten das Sparschwein, die Eltern überziehen das Konto und die Großeltern wundern sich über den Kleidungsstil der nachfolgenden Generationen. Um einen gelungenen Ausflug zu ermöglichen, muss die Mischung passen, sodass alle auf ihre Kosten kommen.
Die Kleinen brauchen Zucker, viel Zucker. An jedem Stand bleiben sie stehen (heißt ja auch Stand) und wollen eine bunte Mischung aus Weingummi, schaumigen Schokowaffeln und Zuckerwatte, die großflächig im Gesicht verteilt wird. Danach etwas den Spieltrieb befriedigen und mit der Aussicht auf ein Plastikgewehr oder ein überdimensioniertes Plüschtier Darts neben Ballons oder Bälle neben Dosen werfen. Als Trostpreis gibt es dann einen Schlüsselanhänger, der im Dunkeln leuchtet. Zum Abschluss dann eine Runde ins Kinderkarussell, wo man der Phantasie beim „im Kreis fahren“ freien Lauf lässt. Linus besteigt den Polizeibulli und jagt imaginäre Halunken, Mia schwebt im fliegenden Elefanten umher und Noel betätigt grinsend die Sirene am Feuerwehrwagen. Haken dahinter!
Und was ist mit den Jugendlichen? Sie leben in einer Parallelwelt, die sich dem Verständnis aller Anderen entzieht, wobei es gewisse wiederkehrende Muster gibt. Die Halbwüchsigen treiben sich gerne an Autoscootern herum, wo sie in einer einzigartigen Mischung aus Lässigkeit, Souveränität und Erhabenheit am Rande stehen und sich kritisch beäugen. Zwischendurch setzt man sich ins Gefährt und rammt ein paar Karren vor die Banden. Im Anschluss zeigt man seinen Wagemut und betritt ein Fahrgeschäft, um bei der Fahrt gelangweilt die Arme zu verschränken, denn die Altersgenossen sollen nicht sehen, dass man Todesängste durchlebt. Auch hier machen wir einen Haken dahinter!
Und was ist mit den greisen Geronten? In den seltensten Fällen suchen sie Nervenkitzel, dafür gibt es den Tatort oder Kaffee und Kuchen. Sie spendieren ihren Enkeln eine Fahrt im Karussell, gönnen sich eine Fuhre Süßkram und bevorzugen eher die gediegeneren Angebote. Eine Fahrt im Riesenrad passt da ins Anforderungsprofil, denn es geht nicht um Tempo, sondern das Genießen des Augenblicks. Aus luftiger Höhe blickt man auf die Stadt nieder, in der man seinen ersten Vollrausch erlebt hat und schwelgt in Erinnerungen. Also Haken dahinter! Falls das drehende Ungetüm wieder aufgebaut werden sollte.
Und? Hin da oder lieber Geld für Soest sparen?
Sparen? Wer Geld sparen will, hält sich von jedweder Kirmes fern! Machen wir uns nix vor, die Werler Michaeliskirmes ist nicht die Allerheiligenkirmes, aber das will und soll sie auch nicht sein. In Soest herrscht ein trubeliges Treiben, das vielen zu viel sein dürfte. In Werl ist alles etwas kleiner gehalten. Hier sieht man bekannte Gesichter, hier kann man vergleichsweise entspannt seine Zeit verbringen, ohne sich in kleinen Tippelschritten inmitten eines Menschenpulks fortzubewegen. Seit ich ein kleines Köttenkind war, habe ich meinen wohlgeformten Hintern eigentlich immer auf die Werler Kirmes bewegt. Und wenn es nur für eine Tüte Mandeln war.
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