Kurpark:
Das Naherholungsgebiet für Kötten. Hier treiben sich Obdachlose herum, kippen sich klaren Fusel in die rauchigen Kehlen und fachsimpeln über Pfandpreise. Ein Teich wird von Enten bewohnt, die man mit vertrockneten Backwaren bewerfen kann, wenn sie nicht gerade unschuldige Passanten ausrauben. Eine alte Saline (Gradierwerk) versprüht historischen und salzigen Geruch. Auf Spielplätzen schubsen sich die Blagen vom Klettergerüst, führen anschließend Fortnite-Tänze auf, während die Eltern mit gestopfter Zigarette zwischen den Zähnen an der Instagram-Story arbeiten.
Durch den Kurpark plätschert der Salzbach, indem sich allerlei Hinterlassenschaften finden lassen. Kleine Fischlein schlängeln sich zwischen Pullen, Chipsdosen und Einkaufswagen hindurch.
Wenn die Sommerferien anstehen, experimentieren Schülerinnen und Schüler traditionell mit grenzüberschreitendem Konsum alkoholischer Getränke. Generell ist ein Trip ins Grüne definitiv zu empfehlen. Hier spenden etliche Bäume Schatten, Getier treibt sich herum und aufgrund zahlreicher Investitionen wird Besuchern einiges geboten. Ein schickes Scheißhaus lädt zum ausgiebigen Entleeren des Darmes ein. Auf der neuen Bühne kann man für DSDS und andere TV-Formate üben oder an den Fitnessgeräten seinen unförmigen Leib stählen. Also ab in den Kurpark, wo sich die wahre High-Society trifft.
Kötte:
Wenn man sich auf die historisch semantische Betrachtung beschränkt, könnte man das Wort mit „Kleinbauer“ oder auch „Bettler“ übersetzen, was bereits eine gewisse Interpretationsdimension enthält. Damit kommt man der Bedeutung dieses klangvollen Begriffs aber nicht bei.
Kötte und köttig sind für gebürtige Werler ganz normale Variationen, deren Gebrauch alltäglich ist. Man spricht gerne von den Kötten aus Werl. Gebraucht wird dieses Kleinod lokalen Sprachgebrauchs, um auf unterschiedliche Umstände hinzuweisen. So kann Kötte situativ als Synonym für das eher vulgäre As(s)i genutzt werden. Der Sperrmüllberg vor der Haustür (oft zu bewundern im Werler Norden) ist beispielsweise „ganz schön köttig“. Ein Kerl, welcher seinen fadenscheinigen Speichel im Zug auf den Boden rotzt, wird dementsprechend als „Kötte“ bezeichnet. Das Genus ist nicht nachhaltig gesichert. Ich verwende es mit weiblichem Artikel, was den Kontrast zwischen Inhalt und äußerer Erscheinung elegant zur Geltung bringt.
Doch nichts unter dem Feuerball am Firmament ist einfach. Kötte repräsentiert nämlich nicht nur den Bodensatz menschlicher Verhaltensweisen. Für mich birgt der Begriff nämlich auch einen positiv konnotierten Sinn. Kötten haben ihre eigenen Wertevorstellungen, sind konsequent und im Destruktivem steckt ja immer etwas Produktives (kehr ist das philosophisch…). Köttig kann also ebenso eine wagemutige Tat sein, das nicht ganz so angepasste Handeln. So, ihr dürftet jetzt weniger als vorher wissen, aber so ist das nun einmal.
Konvikt:
Eingeborene kennen das Bauwerk wahrscheinlich auch unter dem Namen „Der Kasten“. In unmittelbarer Nähe zum Rathaus (ehemaliges Mariengymnasium) befindet sich das Konvikt. Momentan leben dort u.a. geflüchtete Menschen. Doch was hat es mit diesem, durchaus ansehnlichen Stück Architektur auf sich? Die Geschichte reicht über 100 Jahre zurück und ist eng verknüpft mit Johannes Spieker (ja, nach ihm wurde die Straße benannt).
Spieker war u.a. hauptverantwortlich für die Gründung beider Einrichtungen. Um Schülern ein Dach über dem Kopf zu bieten, mietete er Immobilien an und ließ die Blagen teils bei sich wohnen. Irgendwann steckte er 100.000 Mark in eine Stiftung, um den Bau eines Wohnheims für Schüler voranzutreiben, das neben dem Mariengymnasium errichtet werden sollte. Bürokratischer Aufwand, Gegenwind aus der Bevölkerung und weitere Widrigkeiten konnten Spieker nicht von seinem Vorhaben abhalten. 1913 wurde der Grundstein gelegt und zu Ostern des Folgejahres stand das gute Stück. Wenige Monate vorher starb Spieker, sodass er die Fertigstellung nicht mehr erleben konnte.
Im Konvikt herrschten strenge Regeln, doch wurden auch viele Ansätze verfolgt, die bspw. Elternarbeit, individuelle Förderung und Freizeitaktivitäten beinhalteten. Spätaussiedler wurden an Sprache und Kultur herangeführt, eng mit den Schulen zusammengearbeitet und inzwischen ist das ansehnliche Bauwerk Wohnraum.
Köter:
Der beste Freund des Menschen ist bekanntlich das W-Lan Passwort des Nachbarn. Als Krone der Schöpfung haben wir uns aber nicht nur die Technik zu Nutzen gemacht, sondern auch Vierbeiner unterjocht. Zwar pferchen wir Kühe, Schweine und andere Viecher ein, quälen sie, als hätten wir eine Fortbildung in Guantanamo gemacht und verarbeiten sie zu Lebensmitteln, die uns zum Stammgast beim Kardiologen machen. Bei Kötern hört der Spaß aber auf. Wir umhegen sie, verwöhnen sie und sammeln ihre Exkremente auf.
Jedenfalls wird dies von braven Kötten erwartet. Um auf diese heilige Pflicht hinzuweisen, haben aufmerksame Ordnungsliebhaber das Stadtbild mit höflichen Hinweisschildern zugepflastert.
Kirmes:
Einmal frei sein, einmal dabei sein. Zwielichtigen Gestalten das kostbare Ersparte übergeben, kennt man ja sonst nur von Besuchen beim Bankberater des Misstrauens. Unwissende Freunde des Rummels pilgern im November gen Soest, wo lieblose Massenabfertigung geboten wird. In Werl ist alles eine Nummer kleiner, ein wenig persönlicher, gar familiär. Wer mehr über die Michaeliskirmes erfahren möchte, muss lediglich diesem informativen Link folgen.
Krematorium:
Bekanntlich verfügt unser beschauliches Städtchen über einen sehenswerten Parkfriedhof. Dort liegen viele prominente Werler und Werlerinnen. Aber auch Ottonormalkötte findet hier seine letzte Ruhestätte. Entweder werden die sterblichen Überreste in eine Holzkiste gepackt oder nach der Einäscherung per Urne ans Erdreich übergeben. Um diesen Vorgang professionell abwickeln zu können, befindet sich im Werler Norden ein Krematorium. Ziemlich nah an einem der lokalen Bestatter übrigens, was kurze Wege im Sinne des Klimaschutzes ermöglicht.
Doch Spaß beiseite. Die Leichenbrennerei hat inzwischen einen erhöhten Bedarf an Fläche und wird weiterwachsen. Produktionsmaterial wird teils von weit her angeliefert und nach Veredelung wieder exportiert.
Krankenhaus:
Bevor es ins Krematorium geht, steht häufig noch ein variabler Aufenthalt im Krankenhaus an. Das Spital an sich dient allerdings nicht nur zur Vorbereitung auf die letzte Etappe im endlichen Dasein des Homo sapiens. Hier werden akute Wunden versorgt, falls man mal wieder besoffen vor eine Tür gerannt ist oder beim Kicken das Schienbein gebrochen wurde. Auch springen die stationären Fachkräfte ein, wenn die Praxen am Wochenende ihre heilenden Pforten geschlossen haben.
Wie es sich für ein anständiges Mittelzentrum gehört, verfügt auch Werl über einen eigenen Hort der Gesundheit. Dem Haus der Krankheiten haftet ein zweifelhafter Ruf an. Röntgengeräte aus Museumsbeständen, Quacksalber, die aus einer Erkältung komplettes Organverhalten zurechtbehandeln und Essen, das zu nachhaltigen Schäden führt sollen demnach Merkmale des roten Klinkerbaus sein.
Das entspricht natürlich nicht den Tatsachen! Das Krankenhaus stellt die medizinische Notfallversorgung von Köttinnen und Kötten sicher. Dass wir überhaupt ins Mariannen-Hospital hinken können, haben wir Marianne Hesse zu verdanken, die sich zeitlebens für Frauen einsetzte und mit ihrem Vermögen den Bau des Krankenhauses sicherstellte. Dafür gebührt ihr Dank und Respekt.
Hier übrigens noch ein etwas ausführlicherer Bericht über das Gesundheitswesen. 😉
Kirschniak:
Wenn man sich die zweibeinigen Gestalten in der Fußgängerzone zu Gemüte führt, weiß man nicht, ob man einen Platz in Warstein reservieren oder einen Termin beim Modeberater vereinbaren sollte. Merkwürdig anmutende Schnitte, abscheuliche Farbkombinationen und mehr Löcher als Stoff prägen die abstoßenden Anblicke.
Damals waren die Zeiten noch anders. Da trugen die Herren, die Kirsche auf dem Sahnebecher der Schöpfung, noch Hut und behutsam gebügelte Anzüge. Um sich dermaßen schick zu kleiden, schleppten die Herrschaften ihre prall gefüllten Geldbörsen zu Kirschniak. Über Jahrzehnte wurden hier Konfirmations- und Kommunionsblagen, wie auch vor der Vermählung stehende Kerle beraten und mit den passenden Textilien ausgestattet. Auf 2 Etagen prägte der Schuppen das Erscheinungsbild der City und deren Einwohner. Leider wurde der Traditionsbetrieb vor einigen Jahren endgültig geschlossen.
Krämergasse:
Ernsthaft, ne Gasse?! Es geht hier nicht um eine x-beliebige Gasse, in der Fiffi seinen Darm entleert. Die Krämergasse ist quasi eine Sehenswürdigkeit, welche keinen Eintritt kostet. Ein sanfter Anstieg offenbart die Aussicht auf denkmalgeschützte Buden und die St. Walburga Kirche. Dieses Motiv war bei Künstlerinnen und Künstlern schon immer besonders beliebt.
Kunst und Kunstwerkstatt:
Wo wir gerade beim Thema sind. Werl ist nicht nur ein schnödes Mittelzentrum, sondern die Aorta der weltweiten Kunstszene. Die Bandbreite künstlerisch kreativer Darstellungsformen im Stadtgebiet deckt ein erstaunliches Feld ab. Die obligatorischen Sprühereien aus der Dose reichen dabei von hingerotzten Tags bis hin zu kleinen Kunstwerken, die dem betrachtenden Augen schmeicheln. Skulpturen, Installationen und weitere Produkte des Kunstbetriebs befinden sich überall im Stadtgebiet.
Doch auch der Nachwuchs wird nicht vergessen, denn in der Kunstwerkstatt wird den kleinen Köttenkindern das Gestalten mit allerlei Werkzeugen nähergebracht, welche durch regelmäßige Aktionen das öffentliche Bild aufhübschen.
Die Galerie Walentowski an der Soester Straße hingegen ist die Anlaufstelle für die ganz Großen, die auch das nötige Kleingeld haben, um auf die Existenz von Pfandautomaten zu verzichten.
Neben längst verstorbenen Malern (Sponnier-ja, nach dem wurde die Straße benannt), sei an dieser Stelle noch Anna Käse erwähnt, die zwar auch als Schriftstellerin aktiv ist, aber vornehmlich durch Kunstwerke Bekanntheit erlangt hat, die mit Werl im Zusammenhang stehen. Einige ihrer Arbeiten zieren gar unsere ansonsten eher abschreckenden Redaktionsräume.
Kirchen:
Ham wa…
Kneipen:
Wenn der Alman seine Schicht auf der Maloche beendet hat, muss die staubig trockene Kehle befeuchtet werden. Traditionell führt der Weg im Anschluss an die schweißtreibende Berufstätigkeit in eine sogenannte Kneipe. Ein magisch anmutender Ort, an dem noch wahrhaftige Helden zu finden sind. Hier sitzt man schweigend an der Theke und kippt sich literweise Gerstensaft in den Schlund. Hier finden Würfelspiele statt, deren Regelbuch komplexer als eine Steuererklärung ist. Hier ist noch Platz für Populismus, der ansonsten in digitale Gefilde ausgewandert ist. Was hat das wiederum mit Werl zu tun?
Trockene Teutonenkehlen können sich natürlich auch in der Köttenstadt stilvoll einen hinter die Binde kippen. Die große Zeit der Spelunken liegt allerdings weit zurück. Als noch Soldaten durch die Straßen zogen, gab es unzählige Anlaufstellen für Trinkfreudige. Das Kneipensterben hat leider auch nicht vor Werl haltgemacht. Erst im letzten Jahr wurden die letzten Gläser in der "Kleinen Kneipe" ausgeschenkt, was uns traurig und nüchtern werden lässt. Damals, als noch alles besser war, gab es Tränken für trinkfeste Teufelskerle ungefähr in der Frequenz, wie man heutzutage Handyläden und ähnlichen Firlefanz vorfindet. So gab es das "King George", irgendwas mit einem "Pony" und weitere Anlaufstellen. Leider sind meine Aufzeichnungen gerade unvollständig, da ich in dem Chaos eine ganz bestimmte Datei mit einigen alten Pinten nicht mehr auffinden kann. Sobald das Dokument wieder aufgetaucht ist, reiche ich altehrwürdige Namen nach. ;)
Heute gibt es immerhin noch die Galle, Im Winkel und gegenüber von Danielsmeier eröffnete kürzlich Gerwinns im historischen Fachwerkhaus. Auch im Norden an der Kleinbahn kann man sich noch genussvoll Gerstensaft servieren lassen.
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