Jeder kennt es. Man torkelt vormittags benommen durch die Fußgängerzone, hat die geexte Dose Faxe gerade neben dem Mülleimer platziert, als sich plötzlich die bis zum Zerbersten gefüllte Blase meldet und um zeitnahe Leerung bittet. Die Optionen sind klar. Wenn es bereits die dritte Dose war, bleibt die Wahl zwischen Laufen lassen oder ein exquisites Schaufenster erwählen, um es mit klarer Harnflüssigkeit zu besprenkeln. Ist man dagegen noch halbwegs zu zusammenhängenden Gedanken fähig, möchte man die Vorzüge der Zivilisation bewusst genießen. Daher widmen wir uns heute den Anlaufstellen, die zur Verrichtung privater Geschäfte in der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Nette Toilette
Wenn man ein x-beliebiges Café oder Restaurant betritt, wird man in der Regel freundlich begrüßt, schließlich bringt man sein Portemonnaie mit und möchte es an Ort und Stelle erleichtern. Wenn man allerdings nur zur Erleichterung des drängenden Blasendrangs durch die Pforte schreitet, muss man mit einer weniger einladenden Reaktion rechnen. Entweder verlangt die gehetzte Kellnerin einen kleinen Obolus, damit sich der zahlungsunwillige Gast im Klosett austoben darf oder man wird mit Forke und wilden Flüchen aus den Räumlichkeiten verscheucht.
Nicht so in Werl. Denn hier gibt es die sogenannte „Nette Toilette“. Menschen, bei denen die Blase kurz vorm Überlaufen ist, dürfen in einigen erlauchten Etablissements einkehren, dort alles vollpissen und sich mit ungewaschenen Händen wieder verpissen.
Öffentliche Toiletten
Im Land der teutonischen Tölpel gibt es allerdings auch öffentliche Klos. Nicht zu verwechseln mit dem Nutzen der Öffentlichkeit als Klo. Das nennt man Wildpinkeln oder Performance-Kunst, je nachdem, wer es tut.
In unserer Köttenstadt gibt es einige Exemplare, in die man sich bei Gelegenheit bzw. unvermeidbarer Notwendigkeit hineinwagen kann. Wir stellen die Örtchen vor.
Willkommen in Werl
Der Bahnhof gilt als Visitenkarte einer Stadt, Ortsunkundige werden hier mit ersten Eindrücken versorgt. Werl spielt diesbezüglich mit offenen Karten und heruntergelassener Hose. Die kariösen Fragmente am Gleis weisen den Besucher direkt darauf hin, dass man sich in einer Realität gewordenen Dystopie befindet.
Auf dem Vorplatz kann man sich erleichtern, wenn dies nicht bereits im Bereich der Treppen geschehen sein sollte. Wer sich in die olfaktorisch anspruchsvollen Räumlichkeiten wagt, wird nicht enttäuscht. Es sieht aus wie ein Tatort im Tatort. Die wahrgewordene Mutprobe sozusagen. Das Konzept folgt einer transparenten und vorhersehbaren Kommunikation. Der Tourist weiß unmittelbar nach Verlassen des Zuges, woran er ist. Die sanitären Anlagen wurden von lokalen Poeten mit zeitgenössischen Versen versehen, einige Spuren von Vandalismus runden das Gesamtkunstwerk ab. Sie sollen als Zeichen gegen den Zeitgeist verstanden werden, was das auch immer zu bedeuten hat. Passend zu den Toiletten, die man idealerweise mit Mundschutz betritt, zeigt sich auch der überdachte Bereich mit einladender Bank. Alles aus einem Guss eben.
Das Herz der Stadt
Der Marktplatz gilt gemeinhin als das Zentrum allen Treibens. Hier kann man glitschigen Fisch kaufen, sich am beißenden Geruch von Käsespezialitäten erfreuen und das fröhliche Treiben der Herumtreiber betrachten. In der Nähe des Marktplatzes befindet sich die wohl berühmteste Toilette Werls. Scharen von Touristen und Jochen Schweitzer-Gutschein Besitzern strömen jährlich in das Abenteuer unter den Toiletten.
Hochmodern öffnet sich die automatische Tür und gewährt dem Urinierenswilligen Eintritt. Bereits die Waschbecken zeigen, wohin die Reise geht. Vandalen haben sich hier wiederholt mit den provokanten Wasserhähnen angelegt. Doch die Mainstage lauert hinter einer weiteren Tür, die oldschool von Hand geöffnet werden muss. Einer Wundertüte gleich, kann der mutige Besucher Zeuge von allerlei spektakulären Ereignissen werden.
Das Bühnenbild wird täglich von wechselnden Performancekünstlern gestaltet. Mal zieren Fäkalienschlieren den gefliesten Boden. Mal bedecken frisch angelegte Urinpfützen die Flächen vor den teils verstopften Pissoirs. Mal findet man die Überreste der gestrigen Party in den Kabinen. Kleine Schnapspullen, vollgeschissene Unterhosen oder geleerte Bierdosen und ähnliche Gefäße. So oder so lohnt sich ein Besuch des Köttenateliers, denn Abwechslung, Spannung und Abgründe des menschlichen Daseins stehen hier täglich auf der Karte.
Kurpark
Der Kurpark ist die grüne, aber leicht verkommene Lunge Werls. Im ausführlichen Bericht kann der interessierte Interessierte mehr erfahren. Einfach draufklicken. Los, klick da drauf!
Neuerdings gibt es eine nett gestaltete Toilette im Naherholungsgebiet, für die man allerdings Kleingeld bereithalten sollte, das man sonst spenden würde. Am Siedehäuschen befindet sich noch eine gute Toilette, die man kostenfrei verzieren kann. Früher glich der Anblick dem Äußeren des Gebäudes. Verschmiert, verdreckt und würgereizerzeugend. Inzwischen wurde die Fassade des Siedehauses aber neu gestaltet und macht richtig was her. Die Toiletten sind anscheinend noch nicht in den entsprechenden Zustand gebracht worden, da sie bei den letzten Besuchen abgeschlossen waren. Vielleicht arbeitet ein lokaler Künstler gerade ausgiebig an einer frischfrechen Installation. Wir sind gespannt und werden uns bei Gelegenheit in die Kackakomben wagen.
Friedhof
Der Werler Parkfriedhof ist ein besonderer Ort, dem wir bereits einen ausführlichen Artikel gewidmet haben. Genau, einfach klicken oder die Wurstfinger draufkloppen.
Auf dem Leichenacker herrscht oft reges Treiben. Natürlich besonders zu Allerheiligen, denn einmal im Jahr kann man die müffelnden Überreste der Blümchen von der Tanke entsorgen und ein paar Laubblätter auf das Nachbargrab schütten. Doch auch abseits dieses Tages kümmern sich die Hinterbliebenen um Grünzeug, Kerzen oder erzählen den sterblichen Überresten die neuesten Neuigkeiten über Tante Agatha und Harald, dem alten Suffkopp. Das plätschernde Gießen des Unkrauts setzt im Gehirn eine Assoziationskette aus, welche die gefüllte Blase aktiviert. Neben der kleinen Kapelle erhält der Besucher schließlich die Möglichkeit, den Gammeldöner aus den Gedärmen zu pressen oder sich gepflegt den Lörres auszuwringen.
Lokus Pokus
Die öffentlichen Toiletten sind die Visitenkarte des Menschen. Zugegebenermaßen handelt es sich um eine zerfledderte, nach halb verdautem Tönniesfleisch duftende Karte, die man selbst mit Handschuhen nicht anpacken würde, aber das Erscheinungsbild besagter Anlagen sagt viel aus über die zerbeulte Krone der Schöpfung. Ich möchte das jetzt auch gar nicht hochstilisieren, verfüge erfahrungsbedingt über ein sprichwörtlich adipöses Fell, allerdings muss selbst die Kötte unter den Kötten gelegentlich schlucken, wenn sie sich wagemutig den Anblick der öffentlichen Klos zumutet.
Ist es schlimm? Gibt es nicht drängendere Probleme? Natürlich. Absolut. Es gibt immer wichtigere Themen. Das ist ja ein altbekannter Pseudoargumentationsmechanismus, der von Populisten herzlich gerne genutzt wird. Nichtsdestotrotz darf und sollte man sich ebenfalls um die scheinbaren Nichtigkeiten kümmern.
Zum einen ist es einfach eine Unverschämtheit gegenüber den anderen Menschen, die mal eben das Korncolagemisch auf der Toilette loswerden wollen. Zum anderen könnte man es beinahe als Körperverletzung an den Putzkräften (meistens Frauen, da wir Männer andere Stärken, z.B. an der Bierbong haben) werten, die sich um die Instandsetzung der künstlerischen Darmentleerungsszenarien kümmern müssen. Zum Schluss sollte man bedenken, dass nicht jeder in einer mit TEDi-Dekorationen vollgestopften Butze haust (die Gründe dafür sind mannigfaltig, wie die Sauereien in den öffentlichen Toiletten). Menschen ohne Obdach nutzen die Räumlichkeiten, um sich des wuchernden Gesichtshaares zu entledigen oder sich mit fließendem Wasser zu kultivieren. Zusammengefasst ist es, wie so vieles, was unter dem Feuerball am Firmament geschieht. Unnötige Rücksichtslosigkeit und Ignoranz.
Genug mit dem gestreckten Zeigefinger rumgewedelt. Immerhin gibt es öffentliche Toiletten und deren Besuch ist in der Regel mit einem Überraschungsei zu vergleichen. Aber ohne Spielzeug, außer man hantiert gerne mit naturbelassenen Fingerfarben mit wechselhafter Konsistenz.
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