Wer das hier liest, ist doof. Ein schelmisches Stück zeitloser Literatur. Wer wiederum das hier liest, gehört zum erlauchten Kreis von handverlesenen Menschen, die sich den Quatsch zu Gemüte führen, den ich im Kampf gegen die Einöde so fabriziere. Wer liest, kann schreiben und wer schreibt, kann lesen. Das stimmt pedantisch betrachtet zwar nicht so ganz, zeigt aber das wechselseitige Dasein zwischen Konsum und Produktion, welches im weitesten Sinne (tolle Formulierung) auch zu diesen Zeilen geführt hat.
Denn ich habe irgendwann mal angefangen, gerne zu lesen, tue das auch immer noch. Stephen King (Schreiberling von nischenhaften Groschenromanen) meinte mal, dass man erst gut schreiben könne, wenn man viel gelesen hätte. Der Drang, Text zu produzieren ist bei mir nicht aus dem Lesen an sich gewachsen, doch wer Lektüre verabscheut, wird auch nicht mehr schreiben wollen, als unbedingt nötig ist. Also vielleicht mal nen Einkaufszettel, wenn man schon wieder den Auberginenaufstrich vergessen hat, aber eben keine Geschichten oder anderen Firlefanz.
Langes Geschreibe, nicht ganz so viel Sinn, heute soll es um den lesenden Teil der Bevölkerung, wie auch deren Lektüre gehen.
Von Schubladen und Menschen
Das Leser existiert in etlichen Erscheinungsformen und begegnet uns in höchst unterschiedlichen Konstellationen. Um zum gewünschten Erkenntnisgewinn zu gelangen, hat sich schon immer das Kategorisieren angeboten, also das sinnvolle und durchdachte „in Schubladen Stecken“, welches eine bewährte Herangehensweise darstellt. Also legen wir mal los.
Zeitschriften
Wenn Lesen Ernährung ist, dann gehört die Lektüre von Zeitschriften in den Bereich Snacken. Das ist neudeutsch für „Ich kloppe mir ne Packung Kinderriegel beim Warten auf den Bus rein.“. Zeitschriften gibt es für jeden neurotischen Interessensfetisch. Fachlektüre für Modelleisenbahnen, Trödelfreunde und die aus purer Ambivalenz bestehenden „Frauenzeitschriften“. Auf der einen Seite regt ein bebildertes Rezept den Speichelfluss an, denn der Triple-Chocolate-Vulcano-Cake“ sättigt eine ganze Herde von Sumoringern. Direkt danach eine ausgeklügelte Diät, gefolgt von retuschierten Fotos einiger professioneller Models. Toxische Druckerzeugnisse...
Gründe für den Griff in den Zeitschriftenständer (höhö Ständer) gibt es wie Plastik im Meer. Man hockt im überfüllten Wartezimmer des Proktologen auf seinen heiß ersehnten Einlauf und der Handyakku ist leer. Bei der Wartezeit würde zwar auch Herr der Ringe sinnvoll erscheinen, doch schleppt man die Bücher ja nicht permanent mit sich herum. Also blättert man im Focus, der Auto-Bild oder anderen gedruckten Pendants des Trash-TV.
Die dünnen Heftchen bieten sich aber auch für die Fahrt im Zug oder Bus an. So kann man den Mitreisenden verdeutlichen, dass man an Kontaktaufnahme nicht interessiert ist (fahren sie auch nach Dortmund?) und seinem Gegenüber intellektuell überlegen ist. Auch greift man während ausgedehnter Klositzungen gerne auf bunt bebilderte Zeitschriften zurück, die beim schweißtreibenden Kampf gegen die Bohnensuppe vom Vortag nicht überfordern.
Liebesromane
Verlassen wir die Schonkost und betreten die Welt großer Literatur, welche zum Kilopreis von 5 Cent auf Trödelmärkten feilgeboten wird. Vorzugsweise wird vereinsamten Hausfrauen der Konsum sogenannter „Liebesromane“ angedichtet. Das entspricht einem Klischee und wird demnach Tatsache sein. „Lady Dumfrais errötete beim Anblick der majestätischen Beule in Sir Ingolfs aufwändig gebügelter Cordhose. Seine Blicke wanderten lüstern ihren Hals herab und verweilten auf ihrem üppigen Dekolleté.“ So oder so ähnlich könnten Formulierungen in derartigen Werken aussehen, doch habe ich nie solchen Schund gelesen (wofür gibt es Pornos?), was mich aber nicht vom Aburteilen abhält. Schließlich bin ich Deutscher.
Spaß beiseite. Jede und jeder dürfte schonmal von den fesselnden, bumsfidelen Geschichten in 50 Grautönen (jajaja, der Typ heißt Grey und es ist ein fürchterliches Wortspiel) gehört oder gelesen haben. Literatur ist Phantasie und behandelt ficktiefe Themen. Das kann aber auch ganz reale Folgen haben. Nachdem man die dominanten Unterwerfungsszenen eingehend studiert hat, könnte man so viel Gefallen daran gefunden haben, dass man der eis.de-Shop leerkauft und das biedere Schlafzimmer in einen Kerker der Lust verwandelt wird.
Von trolligen Zauberern und Feen
Fantasy umfasst alles, was mit bärtigen Zauberern, spitzohrig bleichen Elfen, gedrungenem Zwergenvolk und rumlungernden Trollen zu tun hat. Anhänger dieser Geschichten erkennt man in der Regel an nerdigen Shirts, fahler Haut und rudimentären Lateinkenntnissen. Sie tauchen in Parallelwelten ab, in denen narbige Zauberschüler Jobs in der Optikbranche vernichten, indem sie Sehhilfen per dunkler Magie reparieren. Sie treten ein in Königshäuser, deren Intrigen es locker mit GZSZ aufnehmen können. Sie kennen sich auf den Landkarten der jeweiligen Welten (Hogwarts, Mittelerde, Westeros, Sesamstraße) besser aus als in der eigenen Wohnung, die mit Sammelfiguren bösartiger Kreaturen vollgestopft ist und an deren Wänden überteuerte Repliken von Schwertern geklöppelt wurden.
Die Motive in den sagenhaften Erzählungen orientieren sich oft an Mythen, epischen Heldensagen und als Personal kommt das vor, was sich für Cosplay eignet.
Tatort
Wer meint, dass „True Crime“ ein Trend der letzten Jahre ist, hat wohl nicht mitbekommen, dass die Gier nach Mord und Totschlag bereits vor Jahrzehnten in gedruckten Heftchen gestillt wurde. Allgemein gehören Krimis, Thriller oder wie man die Schilderungen über Serienkiller und Konsorten nennen mag, zu den meistverkauften Druckwerken in deutschen Buchhandlungen. Der Mensch war schon immer an den unaussprechlichen Abgründen interessiert. Die Faszination des Bösen und so...
Krimis werden am Fließband produziert. In ihnen treten höchst kreative Psychopathen in Erscheinung, die sich ein ödes Katz und Mausspiel mit den Ermittlern liefern. Diese haben meist irgendwelche charakterliche Besonderheiten oder Neurosen. Sie sammeln Pins von olympischen Spielen oder trinken ihren Wein nur mit einem Teelöffel Lebertran, organisieren Meet und Greets mit Peter Maffay und fahren einen Trabbi, der bei der finalen Verfolgungsjagd nicht anspringen möchte. Vorhersehbare Wendungen, scheinbar ausweglose Situationen und regelmäßige Geiselnahmen vor der unausweichlichen Auflösung gehören zu den faden Zutaten, ohne die ein Krimi nicht auskommt. Als schwer verdaulich betrachte ich alles, was jemals von Catherine Shepherd geschrieben wurde. Also Finger weg! Chris Carter liegt aktuell auf dem Lesetisch in der Toilette und wird von den alphabetisierten Mitgliedern der Redaktion empfohlen.
Sachbücher
Lesen bildet. Naja, das kommt naturgemäß darauf an, was man sich vor die trüben Glubscher hält. Dennoch gibt es in jeder Buchhandlung eine Abteilung, in der man ausgedruckte Wikipedia-Artikel finden kann. Behandelt wird alles. Wie ist es zum Untergang der Titanic gekommen? Und was hat Bill Gates damit zu tun? Wie funktionieren Vulkane und laufen sie auch mit Ökostrom? Bände, in denen die Flora und Fauna unseres vermaledeiten Planeten in Bild und Wort dem Naturkundler nähergebracht werden, dürfen auch nicht fehlen.
Ratgeber
Wer nicht weiß, was er gegen den hartnäckigen Kater tun soll, der sich nach dem gestrigen Suff in der Warsteiner-Brauerei eingestellt hat, der fragt nach, vorzugsweise Herrn Google. Der wird zum Auspumpen des Magen raten, denn Warsteiner hat im menschlichen Körper bekanntlich nichts verloren.
Allerdings beschäftigen uns viele weitere Fragen. Wie kann ich Laminat in meiner Bude verlegen, ohne mir einen Hexenschuss einzufangen? Kann ich Schach lernen, wenn mir Mau Mau zu komplex ist? Mit welchen Handgriffen kann ich den Vordrängler an der ALDI-Kasse zur Vernunft bringen? Karate oder Kung-Fu? Wie, wo und warum soll ich mein Geld anlegen? Also außer in das entsprechende Buch. Wie kann ich am besten abnehmen, ohne auf das tägliche Schnitzel verzichten zu müssen? Wie überlebe ich in der Wildnis, wenn der Lieferando-Typ nicht weiß, welche Adresse die erhabene Eiche hat, unter der ich meinen Rausch ausschlafe?
Ratgeber gibt es für fast jede Überforderung des hilfsbedürftigen Menschen. Fehlt vielleicht nur noch der Titel „Welcher Ratgeber ist der Richtige für mich? – Ein Leitfaden für Idioten und solche, die es werden wollen.“
Kochen und Backen
Im Fernsehen strahlt Hackfresse Henssler neben Berufstrottel Pocher und kredenzt einer Jury abgehalfteter Ex-Promis ungenießbare Pampe. Überall im Fernsehen wird gebrutzelt und blanchiert. Von dem Kuchen möchte die Buchbranche natürlich auch einen Happen abhaben (Verstehste? :D)
Früher haben die kitteltragenden Ommas ihre meisterhaften Gaumenschmause in dicke Wälzer gekritzelt, deren Wert beim Erbe größer als Tafelsilber oder die Sammlung von Karl May Büchern zu taxieren war. Heute findet man in jeder Buchhandlung eine gigantische Abteilung, in der des Lesens mächtige Pfannenwender an die Zubereitung von genießbaren Speisen herangeführt werden.
In einfacher Sprache wird schrittweise erläutert, wie man seine Küche in einen verrauchten Haufen Schutt und Asche verwandeln kann. Dabei wird jede Geschmacksneurose bedient.
100 schnelle Rezepte für die Mikrowelle. Einfach kochen. Kochend einfach. 50 Zaubereien aus Mett. Backe Backe Kuchen. 25 fixe Fressalien aus der Fritteuse. Muffige Muffins mit Karotten.
Kochbücher fristen in den nach aufgewärmter Tiefkühlpizza duftenden Wohnungen allerdings ein eher staubfangendes Dasein, denn wer steht schon gerne eine Stunde in der Küche, um lederartiges Fleisch zu essen und anschließend die eingebrannte Pfanne entsorgen zu müssen? Richtig, nur Leute, die zu faul zum Bestellen sind.
Lustig
Der Deutsche ist bekannt und berüchtigt für seinen spitzfindigen Humor. Wer eine Karnevalssitzung durchgestanden hat, wird über alles lachen. Im Fernsehen gibt es witzige Witzchen von Barth und Nuhr, die den „man darf ja nichts mehr machen oder sagen“ Leuten die Wampe pinseln. Sträter und Rainers treffen da eher mein linksgrünversifftes Zwerchfell. Doch Humor ist eben etwas sehr Persönliches und nicht jeder kann einen erhabenen Geschmack haben. Schließlich muss irgendjemand ja auch Knäckebrot essen, obwohl es nachweislich verheerende Konsequenzen für den Gaumen hat.
Bei Büchern von Komikern handelt es sich meist um einen weiteren Weg, um den treuen Anhängern ein paar Taler zu entlocken. Da wird das monatelang rauf und runtergespielte Programm paraphrasiert, damit der Besucher sich den Kram nochmal durchlesen kann. Im Auto läuft dann das dazugehörige Hörbuch, damit man beim Stehen im Stau noch was zu lachen hat, während man seinen Mittelfinger aus dem Fenster hält.
Comics
Comics sind was für Kinder. Japp. Genau wie Pokémon, Lego, Videospiele und Hüpfburgen. Das Comicgenre ist inzwischen derartig umfangreich, dass ich ihm hier nicht gerecht werden kann oder möchte. Klassische Superheldengeschichten gehen immer. Allerdings ist Superman kein Held, sondern eine Trantüte. Protagonisten mit Ambivalenzen, mit Schwächen jenseits von Kryptonit, vielschichtigen Hintergründen und Persönlichkeitsentwicklung stehen dem bildaffinen Leser zur Verfügung. Watchmen, Walking Dead, alles mit Wolverine und viele grapic novels, die sich mit gesellschaftlich relevanten, teils historischen Themen befassen.
Mittlerweile haben sich Comics von der Position des kleinen Lesespaßes für zwischendurch emanzipiert und gelten gemeinhin als Literatur. Wer das anders sieht, darf das anders sehen, hat aber offensichtlich keine Ahnung und ist bei Knax hängengeblieben.
Kinderbücher
Selbst für kleine Blagen gibt es Bücher! Dabei können die in der Regel noch gar nicht lesen. Normalerweise parkt man den Nachwuchs vor dem Fernseher beim Staffelfinale von Game of Thrones oder lässt den kleinen Filius ne Runde Clash of clans auf dem Tablet zocken. Für Abwechslung sorgen zeitlose Märchenklassiker, in denen die Kids früh mit Mord und Totschlag in Berührung kommen. Oder man greift zu den liebevoll gestalteten Werken, in denen die Kleingewachsenen nach Gegenständen suchen können. Wo ist die Crackpfeife? Im Sandkasten? Ausklappbare Inhalte, die den haptischen Sinn (anpacken und so) stimulieren, sind ebenfalls sehr beliebt. Redaktionsempfehlung ist allerdings Furzipups der Knatterdrache, denn das trifft einfach unseren tiefgründigen Humor.
Und sonst so?
Da es Bücher schon seit über 5 Jahren gibt, können wir (trotz Überlänge) nicht annähernd alles beachten, was es so gibt. Coming of Age Geschichtlein, Autobiographien von Leuten, die gerne über sich selbst schreiben (japp, da kenne ich einen). Biographien über illustre Gestalten von Leuten, die gerne über andere schreiben. Kurzgeschichten von Autoren, die in Teilzeit arbeiten. Aufwändig bebilderte Reiseberichte, in denen Amateurschreiberlinge ihre traumatisierenden Erfahrungen verarbeiten, die sie auf den vollgeschissenen Campingtoiletten jenseits des Salzbachs gemacht haben. Wörterbücher, in denen man lernen kann, was der Unterschied zwischen anscheinend und scheinbar ist. Schulbücher, in die man dekorative Pimmel kritzeln kann. Und vieles mehr.
Wer des Lesens mächtig ist, befindet sich eindeutig im Vorteil. Der Griff zum gedruckten Werk vermag Unterhaltung, Erkenntnis, Belustigung und weitere Emotionen, wie Erschütterung über Formulierungen angeblich professioneller Autoren auslösen. Dann wird eine vernichtende, orthographisch fragwürdige Rezension bei Amazon und Co. in die verklebten Tasten gehämmert, denn als Deutscher hat man zu allem eine Meinung. Vor allem zu Dingen, die man weder versteht noch beherrscht.
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