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  • AutorenbildWerler Kötte

2 Jahre

Wie die Zeit vergeht… Das sagt der Teutone, wenn er in den Spiegel blickt und vor lauter Falten die grauen Haare nicht erkennen kann, weil die nämlich schon längst ausgefallen sind. Ich weiß nicht, ob der Satz passt, aber das tut auch nix zur Sache, denn heute ist mal wieder ein betrübter Blick auf das Dasein angesagt. Ein Lächeln ist allerdings auch drin…


Unwissend, wie ich Worte für das zu finden vermag, was innerlich so los ist, doch das hat mich noch nie vom Tippen abgehalten, weshalb ich wie gewohnt drauflosschreibe. Das gesamte Köttenzeugs begann als netter Zeitvertreib während der endlos zurückliegenden Pandemie. Nun haben wir als pseudozivilisierte Spezies anderweitige Probleme, aber auch das tut hier nix zur Sache. Inzwischen schreibe ich zwar gelegentlich noch über Werler Themen, knipse für den Instagram-Account typische Motive und freue mich über alle, die daraus irgendeine Art Unterhaltung ziehen können. Mittlerweile ist es eher ein Schreiben gegen das Vergessen.


Als Mamma vor 2 Jahren im Hospiz die Reise ins Jenseits angetreten hat (bin nicht religiös, klingt allerdings besser als verrecken und Co.), hat sie einige handgeschriebene Seiten hinterlassen. Ich hatte sie einst darum gebeten, Kindheitserinnerungen und ähnlichen Firlefanz niederzuschreiben. Schließlich kennt sie Werl aus einer anderen Zeit und was die weiteren Gestalten des Köttenclans früher so getrieben haben, interessiert mich einfach. Leider hat sie immer gedacht, dass sie sich irgendwann darum kümmern kann. Das galt für so einige Dinge. Erst, als Krebs und Konsorten bereits eine Spur der Verwüstung hinterlassen hatten, machte sie sich ans Werk. Phasenweise rang sie mit jedem Wort, entschuldigte sich für die Sauklaue und füllte dennoch mehr Seiten, als es ihr Zustand eigentlich zuließ. Wenn ich an die Belastung und den Willen denke, wird mir ganz anders und der Blick verschwimmt allmählich. Das ist der Grund, warum der Fokus nun mehr auf Konservierung meiner löchrigen Erinnerungen liegt.

 

Was bleibt?

 

Der Tod ist selten ein sanftes Hinübergleiten in andere Sphären. In Mammas Fall war es ein langer Kampf. Ein schmerzvoller Kampf, eine Qual, ein Leiden, ein nicht aufgeben wollen, bis vom geliebten Menschen kaum noch ein Hauch vorhanden war. Das letzte Bild hat sich leider ins Gedächtnis gebrannt. Jedes Mal, wenn es aufblitzt, schießen die Tränen aus meinen wunderschönen Augen. Oder in die Augen? Egal. Zum Glück ist es nicht das einzige Bild, das geblieben ist.


Regelmäßig lasse ich mich auf dem Friedhof blicken und da sehe ich nicht den Schatten der Frau, die im Hospiz liegt. Da drängen sich andere Erinnerungen in den Vordergrund.

Mamma war immer eine junge Mutter. Sicher, sie war sturer als ein bockiger Esel. Sie konnte mit Geld so gut umgehen, wie Peter Zwegats schwierigste Fälle, sie behielt viele Dinge für sich, die ich gerne früher oder überhaupt erfahren hätte, aber ganz perfekt bin ich auch nicht.

 

Als ich letztes Jahr an der flimmernden Schreibmaschine saß, konnte ich kaum tippen, ohne dass mir die Tränen den Lidschatten versaut hätten. Mittlerweile bin ich etwas gefasster. Emotionen der Trauer werden hauptsächlich durch Musik im Auto ausgelöst. Musik war nämlich ein zentraler Punkt. Das erste Gentleman-Konzert im FZW (meinen Bruder begleitete sie zur besten Band der Welt), die Besuche des Summerjams, bei denen sie kräftig an Joints zog. Die vielen Autofahrten fanden ebenfalls unter Dauerbeschallung statt. Meist kommen mir Tränen, die zu einem lächelnden Mund hinunterlaufen, denn das überwiegende Gefühl ist Dankbarkeit, auch wenn das kitschig klingen mag.


Erna und Mamma- Bei der Mode muss man ein Lachen im Gesicht haben.

Sie war immer präsent (wenn ich mal ihre Auszeit außer Acht lasse, als sie um die 6 Wochen von der Bildfläche verschwunden war-doch das sei ihr gegönnt). Sie erzählte gelegentlich die Geschichte, wie das Jugendamt Hilfe angeboten hat, nachdem Pappa in Belgien über den Haufen gefahren worden war. Sinngemäß entgegnete sie der Mitarbeiterin, dass sie das Haus niemals mehr betreten sollte, wenn sie Wert auf ein unbeschadetes Äußeres legen würde. Klar, man übertreibt gerne, doch passte das zu ihr.


Als Nesthäkchen hatte ich immer die besseren Karten. Ich bekam vielleicht zu viel Aufmerksamkeit, die mich zu dem selbstverliebten Kerl hat werden lassen, der ich nun bin. Aber das ist jetzt auch nicht mehr zu ändern.

 

Fußball

 

Meinen Körper habe ich auf den Äckern der Kreisliga Soest kaputtgemacht. Mamma war immer an der Seitenlinie, ist zu jedem Spiel gefahren, hat gejubelt, getröstet, angefeuert und für die leibliche Verpflegung bei etlichen Turnieren gesorgt. Waffeln, Kuchen und Torte zauberte sie in Konditoreiqualität. Selbst zu einem Turnier nach Holland fuhr sie mit.


Mein Kuseng war auch Torwart (nur etwas besser als ich und als alter Mann hat es ihn in den Sturm gezogen, wo er Torschützenkönig in der C-Kreisliga wurde) und bei einem Spiel wurde er ziemlich hart angegangen (körperlich und verbal). Mamma brüllte, dass der Übeltäter mal den Ball flach halten sollte, sonst käme sie mit dem Baseballschläger. Das war keine leere Drohung. Sie hatte immer einen handlichen Schläger im Auto, den man bequem mit einer Pfote schwingen konnte.


Auch als wir (die Meute, mit der ich viele Jahre kickte, soff, zockte und andere Abenteuer erlebte) längst erwachsen waren, ließ sie sich regelmäßig blicken. Als Mannschaftsfahrten anstanden, setzte sie sich hinters Steuer und sammelte Kilometer wie ein Brummifahrer.

 

Brumm Brumm

 

Mamma hat erst recht spät den Führerschein gemacht. Und das hat sich gelohnt. Nicht nur die zahllosen Fahrten zu den Fußballplätzen sind da zu erwähnen. Regelmäßig ging es nach Belgien (darüber folgt demnächst mal ein gesonderter Text). Ein Disneylandbesuch wurde ebenfalls mit dem Auto in Angriff genommen. Da hatte sie den Lappen noch nicht lange, bewegte sich in der Stadt der Liebe dennoch problemlos durch den gigantischen Kreisverkehr, den selbst Eingeborene eher meiden. Ein Urlaub in den Niederlanden wurde mit klassischer Karte geplant, die es noch in einigen Tankstellenmuseen zu bestaunen gibt. Die längste Reise war allerdings Spanien. Ein mehrwöchiger Aufenthalt voller Ereignisse, die ich nicht mehr vergessen werde. Mein Kuseng war mit von der Partie und wir freundeten uns mit einigen Jäustern an, um am Strand Fußball zu spielen. In der Kneipe konnte man Soul Calibur zocken. Dort habe ich auch die Weltpremiere des Videoclips zu „Quit playing games with my heart“ von den Backstreet Boys gesehen. Japp, ich war ein Boybandfan und höre das Gesülze heute noch ganz gerne.


Altes Bild aus Spanien. Bizeps dürfte heute genauso aussehen.

Mamma fuhr aber nicht nur in den Urlaub mit uns (was an sich finanziell überhaupt nicht möglich war), sondern chauffierte meine Freunde und mich bei etlichen Gelegenheiten ins und ums Umfeld. Damals fanden ohne Ende Feten statt (Herbstfete, Frühlingsfete, Birkenfete, Ibiza Summer Night). Das ist noch keine Meisterleistung, aber das Abholen war da schon eine andere Nummer. Die Uhrzeit spielte keine Rolle. Sie holte uns ab, als wir in Zuständen jenseits von Gut und Böse waren. Ich will gar nicht wissen, wie wir gestunken haben mussten, welchen Stuss wir von uns gegeben haben. Das sind zum Glück Dinge, die durch den exzessiven Alkoholkonsum in die ewigen Jagdgründe befördert werden.


Die Dinge, Erlebnisse und Erinnerungen, die noch nicht unwiederbringlich verschollen sind, möchte ich nach und nach ausbuddeln, einige veröffentlichen, andere auf meiner Festplatte behalten.

 

Leben geht weiter

 

Japp. Es geht weiter, unaufhörlich. Nur fehlen eben wichtige Protagonisten. Sie kehren auch nicht wieder zurück, jedenfalls nicht, bis die Zombie-Apokalypse kommt. Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich etwas an den Schmerz, lernt ihn an die Seite zu schieben, doch, wenn er sich mal in den Vordergrund drängt, tut es manchmal mehr weh als vor 2 Jahren. Klingt absurd, aber die Welt der Gefühle ist eben ein Bereich, in dem Logik nicht unbedingt federführend ist. Ähnlich wie in der bayrischen Politik.


Der Text ist mal wieder viel zu lang, hat keinen stringenten roten Faden und ist ein Kuddelmuddel an Gedanken. Aber als wirrer Gruß an all die Kötten, die nicht mehr unter uns weilen, sollte es dennoch okay sein. In diesem Sinne, möget ihr da Oben, Unten oder wo auch immer (nirgends) wissen, dass ihr uns fehlt.

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MG

1 commentaire


k.ziegert
04 avr.

Wie immer 😉

Kann nur sagen es ist wiedermal sehr gut Geschrieben


Erinnerungen sind was schönes und wenn ich so an meine Zeit in Werl zurück Denke 😂😂


Kommen auch immer wieder sehr schön Erlebnisse auf (auf klar schlechte)😉😂😂

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