Anna Käse
- Werler Kötte
- 1. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Apr.
Vorwech:
Man könnte den folgenden Bericht (wie so viele) als Werbung, Reklame oder was weiß ich auffassen. Das darf man gerne tun. Letztlich möchte ich euch aber nur an meinen Gedanken teilhaben lassen und ganz doll viel Aufmerksamkeit bekommen.
Wenn ich an Werl denke, kommen mir viele Dinge in den Sinn. Kunst gehört dabei eher zu den nachrangigen Assoziationen, wenn man Sperrmüllberge, verdreckte Toiletten und verwaiste Ladenlokale nicht gerade als künstlerische Installationen betrachten möchte. Das hat sich in der jüngsten Vergangenheit ein wenig gewandelt, denn in die ehemaligen Räumlichkeiten der Stadtinformation ist inzwischen das Käseeck eingezogen.

Schön, progressiv, gewagt, provokant, gerahmt?
Was ist Kunst? Was macht einen Künstler bzw. eine Künstlerin aus? Auf diese Fragen gibt es weder kurze noch absolute Antworten. Menschen, die sich ihr gesamtes Leben mit diesen Themen befassen, hocken in Bibliotheken und Galerien herum, lesen, diskutieren, forschen, schreiben kaum zu durchdringende Abhandlungen und können doch keine einfache Antwort geben. Ich denke, dass genau hier der springende Punkt, das hüpfende Tüpfelchen zu finden ist. Kunst ist wandelbar und bedeutet für jeden etwas anderes.
Für die eine ist der seerosenüberwucherte Monet wahre Kunst, für den anderen eben die mit Klebeband fixierte Banane. Das abstrakte Graffiti an der vor sich hin bröckelnden Fassade der alten Spielothek, Comics und Mangas, Theateraufführungen, Filme, Videospiele, Tinte unter Haut, Figuren aus Gips, Marmor oder Knete, ein Buch, der Freistoß eines Fußballprofis? Alles kann Kunst sein, denn es ist nicht nur von der Intention des Schaffenden abhängig, sondern auch vom Rezipienten (Klugscheißerdeutsch für Betrachter).

Und wer ist jetzt ein großer Künstler? Da kommen wir wieder in Bereiche, die kaum fassbar sind. Was ist groß, was ist klein und wen interessiert das überhaupt?! Ich bin der exklusiven Auffassung, dass tatsächlich jeder in gewisser Weise ein Künstler sein kann. Nicht jeder lauscht im Laufe seines Lebens aufmerksam dem Ruf der Muse, einige finden andere Leidenschaften oder wagen nicht den Sprung ins klirrend kühle Nass.
Brotlos
Ist das Kunst oder kann das weg? Dieser Ausspruch wird gerne getätigt, wenn Betrachter nicht unbedingt die Zielgruppe sind, aber dennoch von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen, was schließlich ihr gutes Recht ist. Kunst wird auch gerne als „brotlos“ bezeichnet, wobei diese Zuschreibung zu allem passt, was kein Brot enthält, doch wollen wir uns nicht mit den Untiefen deutscher Sprichwörter beschäftigen, denn was damit gemeint ist, dürfte klar sein. Ein schönes Bild oder eine ansehnliche Skulptur sind per se erst einmal nichts wert. Es sei denn, ein exzentrischer Milliardär plündert seine Portokasse, um den marmornen Nackedei ins Gästebad zu stellen. Genau an dieser Stelle zeigt sich die grenzenlose Stumpfheit unserer Spezies.

Wert wird von vielen mit der Möglichkeit einer Monetarisierung gleichgesetzt. Ein Gegenstand muss Kohle kosten oder einen unmittelbaren Nutzen haben, ein Problem lösen. Wenn ich in die Regale bei TEDi und Co. schaue, gilt das allerdings für die wenigsten der Produkte. Die Wertigkeit von Kunst ist sehr individuell. Sie kann die Stimmung beeinflussen, nachdenklich machen, Melancholie erzeugen, Humor im Traurigen sichtbar machen, Freude bringen, Ruhe schaffen, Menschen miteinander verbinden, Sinn stiften in einer Welt, die sinnlos erscheint.

Kunst in und aus Werl
So. Genug gefaselt. Ich entschuldige mich aufrichtig! Aber abschweifend schwafeln ist eben mein Ding. Wie bekannt sein dürfte, widme ich einen Großteil des Schreibens im weitesten Sinne meiner geliebten Köttenstadt, weshalb ich nun endlich auf die titelgebende Person zu sprechen kommen möchte. Japp, Anna Käse (aufmerksame LeserInnen dürften es bereits geahnt haben). Die Informationen, die jetzt stark verkürzt zu lesen sind, findet ihr in ausführlicher Form auf der Website (unter „was bisher geschah“).
Anna stammt gebürtig aus Werl, was direkt Sympathiepunkte bringt, wobei der Einfluss auf den Geburtsort eher gering ist. In ihrer Kindheit und Jugend brachte sie mit Stiften und Pinseln Farbe in das zeitweise eher eintönige Dasein, weshalb das Fachabitur im Bereich Gestaltung bereits früh den Weg vorzugeben schien. Anschließend begann sie das Studium der freien Malerei und Druckgrafik in Essen (inklusive Stipendium! Streberin!), welches sie 2008 mit Akademiebrief und Meisterschülerinnenbrief beendete. Danach ging es nach Berlin, wo sie eine Druckwerkstatt mit Galerie betrieb. Seit 2017 ist Anna Käse aber wieder da, wo ihre Reise begann.

Hier zeichnet sie, fertigt mit Tiefdruckhandwerk Radierungen an, schreibt Kurzgeschichten und bringt weiter Farbe in das graue Einerlei. Nebenher trifft man die Künstlerin im Käseeck.

Kleine Freuden- direkt zum Mitnehmen
2021 bin ich zum ersten Mal mit ihren Werken in Kontakt gekommen, da sie Schlüsselanhänger in Kompassform produziert hat, auf denen die Koordinaten Werls zu finden sind. Kürzlich habe ich mein altes, leicht zerkratztes Exemplar einem italienischen Touristen geschenkt, der sonntags in der Fußgängerzone einen Souvenirladen gesucht hatte. Zum Glück konnte ich im Käseeck noch Nachschub besorgen, der nun wieder zerkratzt werden muss. Und da sind wir schon mitten im aktuellen Thema.

Anna führt seit kurzem das Käseeck in den Räumlichkeiten der ehemaligen Stadtinformation. Der kleine Laden ist für mich eine Besonderheit, der mit Worten nicht so ganz beizukommen ist, was mich nicht von einem Versuch abhalten soll.

Er stellt einen willkommenen Kontrast zum sonstigen Programm dar. Sobald man durch die Pforte geschritten ist, kommt es einem vor, als sei man in ein kleines Paralleluniversum getreten. Bei meinen bisherigen Besuchen konnte ich zum Beispiel live zusehen, wie Anna kleine Kunstwerke kolorierte, denn sie arbeitet anscheinend überall. Vor kurzem hat sie ein neues Projekt gestartet. In einem umgebauten Koffer, bei dem es sich um ein erinnerungsträchtiges Erbstück handelt, befinden sich alle nötigen Utensilien, mit denen sie beispielsweise die Basilika oder das Osthofentor in Soest verewigt hat. Einfach mal bei Instagram nach „drypoint journal“ gucken 😉

Ich bin beizeiten ironisch, sarkastisch und gehöre zur Risikogruppe, wenn es darum geht, in zynische Gefilde abzudriften. Ein paar Minuten im Käseeck haben auf mich beinahe therapeutisch gewirkt. Im Inneren wabert so viel bunte und positive Energie herum, dass es eine direkte Wirkung erzeugt. Annas Werke strahlen vor Freude und Lebensbejahung, dass ich mich davor selbst in düsterer Grundstimmung nicht verschließen kann. Über das zerfurchte Antlitz zeichnen sich unmittelbar nach Eintritt tiefe Falten des Lächelns ab. Große gerahmte Bilder, kleinere Werke, Anstecker, Magnete und Glücksbausteine.

Es ist ein Sammelsurium, das zum Verweilen und Entdecken einlädt. Was mir sehr gefällt, ist, dass hier jede und jeder fündig wird, wobei ein prall gefülltes Portemonnaie keine Grundvoraussetzung darstellt. Schon für ein bisschen Klimpergeld kann man sich einen kleinen Anstecker mitnehmen, mit denen ich beispielsweise die Schreibmaschinentasche zugekleistert habe.
Kaffee, Käse und Kunst
Ich kann zwar ein geselliger Genosse sein, ziehe aber ein Dasein in der Köttenhöhle vor, wo ich mir selbst Gesellschaft leiste. Die kurzen Aufenthalte im Käseeck habe ich dennoch (zu meinem Erstaunen) sehr genossen. Anna ist ein sehr offener Mensch und im Gespräch fühlte ich mich pudelwohl, warum auch immer man das so ausdrückt.
Wer den Laden betritt, wird nicht gleich überfallen und zum Kauf der Exponate animiert. Im Gegenteil. Es ist greifbar, dass sie keine Verkäuferin ist. Dennoch erfährt man ungezwungen, wie sie arbeitet, auf ihre Ideen kommt und was sie beschäftigt. Man kommt schnell ins Plaudern und merkt, dass die Wirkung der Werke nicht von ungefähr kommt. Anna ist ein Mensch mit Prinzipien und einer positiven Ausstrahlung, die ohne Abstriche authentisch daherkommt. Eine seltener werdende Erscheinung.
Ein Gedanke von Anna bezüglich ihres Umgangs mit Kunst ist bei mir hängengeblieben. Dabei geht es darum, wo Kunst ihren Platz hat. Allgemein gesagt, überall. Zuhause muss es eben nicht ein hervorgehobener, majestätischer Raum sein, der mit allerlei Ästhetischem zugeballert wird. Auch der spinnenwebendurchwobene Keller kann mit einem kleinen Bild aufgewertet werden. Ich habe beispielsweise die Konfettibombe im Gäste-WC deponiert. Jede, wie sie mag, jeder, wie er es vermag. Oder so ähnlich.

Schaut einfach mal vorbei (Öffnungszeiten findet ihr am Käseeck oder auf der Website). Es lohnt sich. Und falls es euch nicht gefallen sollte, seid ihr eben doof :D
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