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  • AutorenbildWerler Kötte

Balkonien

Der Deutsche verbringt seinen Urlaub entweder im Delirium auf Malle, beim Aprés Ski in Ischgl oder auf Balkonien. Dem Paradies, in dem die teutonische Seele die lebensnotwendigen Streicheleinheiten erfährt. Der Balkon ist ein faszinierender Ort, der vielschichtig, tiefgründig und spannend zugleich ist. Das Überraschungsei unter den Lokalitäten. Im Drosselweg hatten wir auch einen Balkon, um den sich das schwelgende Geschreibe heute drehen soll.


Die VIP-Loge


Unser Balkon hat nicht mehr viel Ähnlichkeit mit den tristen Teilen, die man nun im Drosselweg vorfindet. Früher bestand der Rahmen aus Planken in Holzoptik. Der Boden war einstmals grün getünchter Beton, dessen Farbe nach einiger Zeit allerdings abgeblättert war. Blumenpötte zierten die meisten Balkone des Hauses und hatten vornehmlich einen repräsentativen Charakter. Sie benötigten hegende Pflege und beim Gießen tropfte es auf die untere Etage. Der Zugang zu unserem Balkon bestand aus einer Art Fenstertür. Ich erinnere mich noch, dass zur Abwehr von Fliegengetier so verschnörkelte Bänder herumbaumelten. Sie passten farblich herausragend zum Fliesentisch.


Tristesse der Gegenwart

Da wir sehr oft auf der Wiese hinter dem Haus spielten, konnten Mamma, Omma und Oppa uns von der erhöhten Loge aus im Blick behalten. Falls es mal zu Streitigkeiten kam, schlichteten sie mit der unschlagbaren Logik der nachkommenden Generation. „Jetzt gebt euch die Hand und gut is.“ „Ist mir scheißegal, wer angefangen hat. Entweder ihr vertragt euch oder du kommst hoch.“ Dieser Dialektik konnte man nichts entgegensetzen.


Erna auf ihrem Wachposten

Aus der ersten Etage konnte man dem Treiben der Blagen beiwohnen, nebenher in der Fernsehzeitschrift das Kreuzworträtsel lösen (jedenfalls so weit, bis das Lösungswort ersichtlich war) und an die Uhrzeit erinnern. Denn trotz vieler Freiheiten musste schließlich auf die Nahrungsaufnahme geachtet werden. Spätestens, wenn die Sonne am Firmament allmählich gen Feierabend segelte, ging es in Ermangelung eines Flutlichtes wieder in die Wohnung.


Freiluftküche


Ohne Mampf kein Kampf, lautet eines der unendlichen und unendlich weisen Sprichwörter unserer poetischen Sprache. Und dass richtige Kartoffeln gerne den Grill anschmeißen, dürfte hinlänglich bekannt sein. Auch wenn es intelligenzbefreite Wesen gibt, die einen Holzkohlegrill im Wohnzimmer zu bedienen gedenken, werden die Bratwurstzubereitungsgeräte vornehmlich im Garten oder eben auf dem Balkon in Betrieb genommen.


Es war schon ne feine Sache. Man spielte hinterm Haus Fußball, während Duft von aufgelegten Leckereien sich an der frischen Luft verteilte. Vom Zeitmanagement her eine herausragende Vorgehensweise, denn innerhalb von 2 Minuten konnten wir das Spielfeld verlassen haben und am Esstisch sitzen. Wobei die Grillmahlzeiten regelmäßig im Wohnzimmer eingenommen wurden.


Auf dem roten Tablett, dessen Rahmen mit dem Schriftzug einer Zuckerwasserfirma bedruckt war, wurden die notwendigen Utensilien platzsparend drapiert. Unterschiedliche Ketchupsorten, Saucen, Messer mit variantenreichen Klingen, Butter, Brotscheiben, Teller und Salz, das weiße Gold. Meist war Oppa mit der Zange bewaffnet und wendete das Grillgut lieber etwas öfter. Mamma löste ihn gelegentlich ab, wenn er sich seine üppige Mahlzeit (eine Wurst mit Senf und eine Scheibe Brot) genehmigte. In der Glut garten anschließend die Folienkartoffeln, die mit nem Eimer Mayonnaise am besten schmeckten. Wobei Mamma manchmal selbst Mayo machte, was angeblich keine Kunst war, aber formidabel mundete.


Wieder Erna, flankiert von blühender Botanik

Widriges Wetter


Wenn Petrus mal einen schlechten Tag erwischt hat, weil ihm die Fertigpizza angebrannt ist, dann lässt er es krachen. Prasselnd pisst es wie aus Eimern, der Wind räumt Dächer ab und sorgt für arbeitsreiche Tage für die Versicherungsbranche. Manchmal gesellt sich gar Zeus dazu und schleudert ein paar Blitze. Sprich, es gewittert. Nicht zu knapp.


Erna (Omma) hatte immer eine schier unglaubliche Angst vor dieser Machtdemonstration meteorologischer Phänomene. Alle Stecker mussten in Windeseile aus den dienstfertigen Dosen gezogen werden. Fenster wurden geschlossen, weil sie in Sorge war, dass uns ein Kugelblitz einen Besuch abstatten wollte. Die Höflichkeit geziemt es, dass man sich nicht über die Ängste von Menschen lustig macht. Das lasse ich mal so stehen, denn sie hatte wirklich Schiss.


Oppa und ich waren da aus anderem Holz geschnitzt. Als kleines Köttenkind freute ich mich immer sehr über das Spektakel am Himmel. Also setzten wir uns oft gemeinsam auf den Balkon und wohnten den gleißenden Zackenstrahlen bei. Oppa zeigte dann mit der lässig zwischen den Lippen auf und ab wippenden Zigarre in Richtung ehemaliger Kaserne. „Guck mal Purk, da ist jetzt richtig was los.“ Mit offenem Mund und begeistert von den imposanten Erscheinungen, hielten wir uns so lange draußen auf, wie es ging. Wenn der Wind zu viel Schlagseite hatte, spritzte uns das Wasser entgegen, weshalb es irgendwann wieder in die von Stromfressern befreite Bude ging. Noch heute denke ich beim Anblick von Blitzen und grummelnden Gewittern an Oppa und mich, wie wir auf der Aussichtsplattform namens Balkon Zuschauer waren.

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