Wer Blagen an der Backe hat, weiß, dass sie das Leben mit einer unerschöpflichen Fülle an Freude und Glück bereichern. Sie sauen sich und das gesamte Mobiliar beim Herunterschlingen pampigen Breis ein. Sie wachsen so schnell, dass man mit dem Kaufen der Klamotten gar nicht hinterherkommt. Sie können wenig bis nichts selbst, ständig muss man aufpassen, dass sie nicht an die Pulle Korn neben der Horrorfilmsammlung gehen. Arbeiten dürfen und wollen die unfertigen Miniaturmenschen auch nicht, sie schnorren sich durch den Alltag. Genug davon, Kinder sind unsere Zukunft und dementsprechend grauenvoll behandeln wir sie, denn es liegt in unserer Natur, dass wir lediglich von der Wand bis zur Tapete denken können. Woran erkennen wir unsere Verachtung für die Köttenkinder? Da gibt es einige Beispiele.
Ich möchte gar nicht anfangen, über die Lage im Bildungssektor zu schreiben, denn das Zuscheißen von Schulen mit kartonweise Tablets ist schön und gut, hilft den Lehrkräften allerdings nur bedingt. Pro Grundschulklasse wäre es beispielsweise eher zielführend, wenn der reibungslose Ablauf nicht durch eine Lehrkraft gewährleistet werden müsste. Pro Klasse sollten mindestens 2 Personen zugegen sein, denn ein Schultag mit 25 betreuungsintensiven Blagen ist eine Herausforderung, selbst wenn man das Vermitteln von Wissen beiseiteschiebt und lediglich dafür sorgen möchte, dass niemand im Krankenhaus landet. Okay, das ist etwas überspitzt, aber ich verspreche euch, es handelt sich um ein anspruchsvolles Unterfangen. Personal ist wichtig, Menschen, die Erfahrung im Umgang mit Kindern haben. Doch genug von Schule, denn das Abschreiben von Hausaufgaben habe ich zum Glück bereits seit einiger Zeit hinter mir.
Wo tut es denn weh?
Kinder kosten nicht nur Geld, ständig haben sie irgendwelche Wehwechen, fangen sich Infekte in der Kita ein, stecken sich Spielzeug in allerlei Körperöffnungen und müssen gegen Tollwut oder Skorbut geimpft werden. Natürlich kann man auf jegliche Besuche bei Scharlatanen im weißen Kittel verzichten, doch viele Eltern bevorzugen es nun einmal, wenn ihr Nachwuchs von Ärzten behandelt wird. Wenn mein Auspuff auf dem Asphalt schleift, fahre ich damit ja auch nicht zu DM und kleistere das Teil mit zuckerfreiem Kaugummi an den Unterboden.
Dr. Liening hört auf!
In Werl hatten wir bisher (und noch) 2 Anlaufstellen für besorgte Eltern, die ihren Kindern spezifische Behandlung angedeihen lassen wollten. Ich kenne Dr. Liening aus beruflichen Gründen (Pfandsammler ist mein Nebenjob) bereits seit über 10 Jahren bzw. arbeite mit ihm zusammen, was bedeutet, dass ich durchaus weiß, was der werte Herr so treibt.
Die Nachricht von der anstehenden Schließung hat mich geschockt. Ehrlich gesagt hatte ich auch kurz glasige Augen, denn die Arbeit des Kinderarztes hat mich über die Jahre sehr zufrieden gestellt. Wobei das für die gesamte Praxis gilt. Jetzt soll kein Lobgesang folgen, aber eine kleine Einordnung halte ich für angebracht.
Wir Deutschen meckern gerne und viel. Arztbesuche sind grundsätzlich keine angenehme Prozedur, was aber nicht nur für die Patientinnen und Patienten gilt. Jeder, der schonmal ganze Romane beim Hocken im Wartezimmer zerlesen hat, weiß, was ich meine. Das Abarbeiten von Terminen, spontanen Besuchen, akuten Notfällen und die Einhaltung der bürokratischen Absurditäten, ist ein beinahe aussichtsloses Unterfangen.
Viele fühlen sich im Rahmen von Arztbesuchen wie Kunden, die gefälligst wie ein König behandelt werden sollten. Das ist leider nicht so einfach und liegt nicht an der Arbeitshaltung in den Praxen. Ich habe es in den letzten Jahren oft mitbekommen, wie sich Eltern beschwert haben, wenn sie mal 10 Minuten warten mussten, was in mir immer ein massives Unverständnis ausgelöst hat. Die Termine in der Praxis waren nämlich geprägt von einer erstaunlichen Mischung aus „sich Zeit nehmen“ und „konzentrierter Eile“. Die Mitarbeiterinnen haben den Drahtseilakt aus Freundlichkeit, Annahme und dem Abarbeiten der Notwendigkeiten in einer Art vollbracht, vor der ich größten Respekt habe.
Termine mit Blagen und deren Eltern laufen eben nicht so ab, wie man es plant. Ich habe Dr. Liening als sehr aufmerksamen Menschen erlebt, der Abläufe erläutert, teils unnötige Fragen geduldig beantwortet und die Termine sehr individuell wahrgenommen hat. Er hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht und daher unterstütze ich persönlich keine Petitionen, in denen es darum geht, dass er die Praxis offenhält. Um die 25 Jahre hat er sich um die Versorgung von kleinen Köttenkindern gekümmert und sein Entschluss ist für mich mehr als nachvollziehbar. Doch was nun?
Warum Kinderarzt? Hör auf zu heulen!
In Werl und Umgebung sieht es mit der kinderärztlichen Versorgung ab Mai gelinde gesagt apokalyptisch aus. Selbst mit 2 Praxen handelte es sich um eine prekäre Situation. Auch in Hamm und weiteren, halbwegs erreichbaren Städten schließen einige Doktoren für Halbwüchsige ihre Pforten, was die Lage noch einmal dramatischer macht.
Aber wofür braucht man überhaupt Kinderärzte? Man kann mit den Blagen doch einfach zum Hausarzt rennen, denn sie sind zwar etwas kleiner, aber grundsätzlich haben sie ja wohl einen ähnlichen Körperbau. Dafür leiden sie seltener unter einem Kater und Geschlechtskrankheiten sind ebenfalls nicht so weit verbreitet.
Spaß beiseite. Kinder sind eben was Spezielles. Die ganz Kleinen sprechen schlechteres Deutsch als die bayrischen Genossen. Da kann man nicht immer mit präzisen Antworten rechnen. Oder der kleine Bengel hat mächtig Angst, wenn es um Spritzen geht. Da helfen vor allem 2 Dinge. Geduld und Erfahrung. Wenn ein Mediziner einmal pro Woche mit Blagen zu tun hat, wird sich diese Erfahrung nicht einstellen.
Und nun?
Es wurden einige Petitionen an den Start gebracht. Schaden kann es sicher nicht. Der Kassenärztlichen Vereinigung die Meinung zu geigen, dürfte auch angebracht sein. Eine schnelle Veränderung wird es (das sagt der kleine Pessimist auf meiner Schulter) wohl nicht geben.
Warum hört denn der feine Herr überhaupt auf? Ausnahmsweise lohnt sich da ein Blick in den Anzeiger, der die Beweggründe in einem Artikel beleuchtet hat. Kurzum ist es so, wie in vielen anderen Bereichen. Wir Teutonen spielen eben gerne Büro. So richtig mit Tackern, Lochern und Aktenordnern, mit denen man einen Schwerlasttransporter an den Rand der Belastbarkeit bringen würde. Die Querelen mit Krankenkassen kommen als Kirsche obendrauf. Als Ergebnis hat man als Mediziner kaum noch Zeit für die eigentliche Tätigkeit. Menschen, die in der Pflege, Kinder-und Jugendhilfe, Kitas und Schulen tätig sind, können davon auch einige Lieder trällern. Ich für meinen Teil habe die Petition unterzeichnet. Was kommen wird, werden wir sehen. Ich bin Dr. Liening und seinem Team sehr dankbar für die geleistete Arbeit, wünsche ihm viel Erfolg und weniger Stress.
Sehr gut geschrieben, Danke für die gute Einordnung!
Ein durch und durch zutreffendes Köttessay. 🙌🏼