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AutorenbildWerler Kötte

Mord am Altglascontainer




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Willkommen in Werl


„In Kürze erreichen Sie Werl. Ausstieg in Fahrtrichtung links.“ Die höflich sachliche Ansage aus den Boxen der Eurobahn wollte nicht so recht zur Szenerie passen. Im Innenraum war die übliche Mischung von Passagieren anzutreffen, die man in so einem Fortbewegungsmittel zu einem solchen Ziel erwarten konnte. Unmotivierte Schüler starrten auf ihre externen Gehirne und wischten eifrig auf den verseuchten Bildschirmen herum. Einige Billiganzüge versuchten besonders wichtig auszusehen, konnten jedoch nicht übertünchen, dass ein Volkshochschulkurs im Binden von Krawatten ein passendes Geburtstagsgeschenk gewesen wäre. Auf den Sitzbezügen, die trotz ihres jungen Alters eher wie ein Fiebertraum aus den 80ern wirkten, saßen noch einige trübe dreinblickende Arbeiter, die in Werl entweder im Servicebereich tätig waren oder stumpfer, körperlicher Maloche nachgingen.


Willi durchsuchte derweil die ausklappbaren Miniaturmülleimer nach Pfandflaschen, Dosen und ähnlichen Gütern, die er irgendwie gebrauchen konnte. Leider hatte er kein Glück, sondern erspähte nur allerlei Müll, der feucht triefend seinen Gestank verbreitete. Allerdings erwartete Willi auch nicht wirklich, dass er in diesem nach abgestandener Pisse und abgestandenen Körperausdunstungen stinkenden Gefährt fündig werden würde. Außerdem hatte sein Pegel ein angenehmes Niveau erreicht, weshalb er sich nicht sonderlich ärgerte. Im Kurpark wollte er sich mit seinen „Arbeitskollegen“ treffen, um dem Tag einen Anschein von Struktur zu verpassen. Die Kollegen waren allesamt Obdachlose oder solche, die auf dem besten Weg dahin waren. Er würde diese Penner niemals als seine Familie bezeichnen, denn das wäre wohl nur in irgendeinem Groschenroman für grundlos optimistische Menschen die passende Umschreibung. Sie waren mehr als Familie. Hätte Willi irgendein Talent, taugte seine Familiengeschichte definitiv für ein Freiticket ins Finale einer x-beliebigen Castingshow, doch wir erreichen Werl, das ist deprimierend genug.


Koslowski saß abgelegen am Ende des ruckelnden Zugs und kämpfte gegen die Folgen des gestrigen Gelages im Pesel. Statt alleine daheim zu saufen, entschloss er sich dazu, alleine in der Soester Kneipe zu picheln und bereute vom Herzen, dass er von der sagenumwobenen Peselmilch gekostet hatte. Sie schmeckte, wie sie aussah und eine Augenweide war das Gesöff wahrlich nicht. Egal, er konnte es nicht ändern und versuchte seinen Mageninhalt bei sich zu behalten. Da Koslowski zu den wenigen glücklichen Menschen in diesem Zug gehörte, die keinem Chef Rechenschaft über ihre körperliche Verfassung ablegen mussten (das hatte er mit Willi gemeinsam), freute er sich sogar auf sein Büro.


Das entsetzliche Piepen der geöffneten Türen brachte Bewegung in den müden Haufen der Passagiere. Die Billiganzüge stolzierten vorweg, als ob ihre Zeit nicht genauso wertlos wäre wie die der anderen Fahrgäste, die ausgerechnet in Werl aussteigen wollten. Koslowski reihte sich hinter den Schülern ein, bei denen er sich allerdings nicht sicher war, ob sie den Weg in ihre Bildungsbüchsen wirklich heute noch absolvieren würden. Dieses verkackte Piepen bringt mich noch um. Oder ich bringe jemanden wegen diesem verkackten Piepen um. Zwar spielten sich die Mordgedanken nur in seinem malträtierten Kopf ab, doch auch das Aussprechen dieser legitimen Überlegungen hätte wohl kaum ein Achselzucken bei den ausströmenden Mitmenschen verursacht.


Die Fassade des gegenüberliegenden Gebäudes zierten die vom Zahn der Zeit abgenagten Reste des Stadtnamens und verbreiteten eine dystopische Stimmung. Mit dem kleinen Unterschied, dass in einer Dystopie wenigstens etwas los war. Werl war ein typisches Mittelzentrum, in dem die noch typischeren Umstände herrschten. Ausblutende Fußgängerzone mit den typischen, wenn nicht gar klischeehaften Einkaufsmöglichkeiten bei unzähligen Handyshops, TEDis und etlichen Apotheken. Kleinkriminalität in Form von Drogenhandel, Geldwäsche in der Gastronomie und dem stetigen Wunsch, etwas Größeres zu sein als man ist. In den umliegenden Dörfern war durch die regen Angebote der Schützenvereine und karnevalistischen Pseudohumoristen mehr los als in der Kernstadt.


Das ging Koslowski allerdings ziemlich am verkaterten Arsch vorbei, als er das vermüllte Treppenhaus des Bahnhofs hinter sich gebracht hatte. Vor dem „Event- und Kulturzentrum“ (was für eine euphemistische Verballhornung!) warteten einige rauchende Taxifahrer auf ihre nicht existente Kundschaft. Koslowski steckte sich solidarisch eine Mentholkippe an und schlenderte an den Kutschern vorbei. In der Bahnhofstraße versorgte er sich beim Bäcker mit einem trockenen Brötchen, welches mit welkendem Salat und massig Remoulade über die Geschmacklosigkeit hinwegtäuschen wollte. Doch in seinem Zustand wollte er nicht den Möchtegerngourmet raushängen lassen. Als er vor der Tür in das Kunstwerk biss, erblickte er Willi. „Willi alter Pisser! Wie ist die Lage?“ Der professionelle Pfandsammler erschrak kurz, da sein Blick ins Innere des pappbecherbefüllten Mülleimers gerichtet war, doch zogen sich unwillkürlich die Mundwinkel zu einem faltigen Lächeln zusammen. „Peter! Du siehst aber scheiße aus!“ Koslowski schluckte ein Stück eiligen Frühstücks herunter, nickte reumütig. Etwas Remoulade zierte seinen schlecht gepflegten Bart, der das gesamte Gesicht überwucherte. „Musst du gerade sagen. Gehste auf Sammeltour?“ „Jo, Achim, Harry und Keule warten bestimmt schon im Büro.“ Bei dem letzten Wort mussten beide laut loslachen, wobei Koslwoski einige Stückchen des Frühstücks auf den Gehsteig spuckte. „Pass mir auf Harry auf, der wirkt in letzter Zeit ein wenig…“ Willi unterbrach: Aggro! Der ist noch schlimmer als sonst, aber mach dir mal keinen Kopp. Jetzt sieh zu, dass du wegkommst!“


Koslowski marschierte, von einem Hupkonzert begleitet über die rot leuchtende Ampel und quittierte die Unmutsbekundungen mit ausgestrecktem Mittelfinger. Willi überquerte die Ampel hingegen bei grün, denn unnötigen Stress wollte er sich in seiner gesellschaftlichen Position möglichst ersparen. Am Ententeich befand sich der Treffpunkt seiner Kollegen. Achim war früher ein erfolgreicher Versicherungsfuzzi, der es mit einigen Aktionen allerdings übertrieben hat. Vornehmlich Betrügereien führten letztlich dazu, dass er Frau, Haus, Anstellung und Selbstachtung verlor. In dieser Reihenfolge. Keule lebte eigentlich schon immer auf der Straße und kam aus Verhältnissen, wo ein Faustschlag ins Gesicht als liebevolle Zuwendung des Vaters galt. Schule war nicht so sein Ding und so gehörte er zu den erfahrensten Arbeitskollegen Willis. Harry hingegen war ein Sonderfall. Einst Hausmeister an der Fröbse und Overbergschule, und für seinen fanatischen Ordnungsfimmel bekannt und gefürchtet. Nachdem die Schule dichtgemacht hatte, fand er keine Anstellung mehr und widmete sich der Flasche und gelegentlichen Hinweisen an desinteressierte Passanten, dass Müll zu entsorgen und Radfahren in der Fußgängerzone verboten sei. In letzter Zeit hatten seine Hinweise jedoch einen beinahe militanten Hauch bekommen.


Koslowski stand vor der gläsernen Tür. Links und rechts von ihm lagen in den unterschiedlich eingefärbten Handyläden zahllose Smartphones in der Ablage und wurden mit augenschonenden Worten angepriesen. Die Verkäufer wischten gelangweilt auf ihren Lieblingsgeräten herum. Gegenüber seines Büros war die Spielothek, in der zu dieser Uhrzeit noch nicht viel los war. Ein einsamer Typ in fleckiger Jogginghose stand rauchend vor dem Eingang ins Paradies der Privatinsolvenz und musterte die menschenleere Fußgängerzone mit glasigen Augen. Koslowski stopfte die Serviette in einen überfüllten Mülleimer und betrat das Treppenhaus, in dem es streng nach Putzmitteln roch. Bestimmt füllt die Putzfrau das Zeug in nen Kärcher und dann ab dafür…


In der 2ten Etage stand die Pforte zu seinem Reich. In der oberen Ecke der dunkelroten Sperrholztür war ein trübes Milchglas angebracht, auf dem „P. Koslowski- Schnüffler“ in schwarzen Klebebuchstaben angebracht war. Er machte sich keine Illusionen über seinen Beruf und den damit einhergehenden Umgang mit äußerst zwielichtigen Gestalten. Als Eisbrecher in der Kneipe taugte die Arbeit als Detektiv zwar immer, doch mit Dupin, Sherlock oder Inspector Gadget hatte sein Alltag nichts zu tun, weshalb er sich für die augenzwinkernde Berufsbezeichnung auf dem Schild entschieden hatte. Wenn man die quietschende Tür öffnete, stand man in einem engen Flur, der so eingerichtet war, als ob ein blinder Praktikant eines insolventen Möbelhauses die Müllcontainer geplündert hätte, um ein Zimmer zu gestalten. Drei Stühle unterschiedlicher Fabrikate standen wahllos herum und luden zum Stehen ein. Ein billiger Beistelltisch war von einer feinen Staubschicht bedeckt, was auch für die monatealten Illustrierten galt, die darauf vor sich hinvegetierten. Die Wände könnten mal weiß gestrichen worden sein, doch wirkte die Raufasertapete mittlerweile eher wie ein heller Beigeton, der sich stimmungstechnisch passend ins Gesamtbild einfügte.


Koslowski ging durch den Wartebereich, in dem wohl nie jemand wartete und schloss die Tür zu seinem eigentlichen Büro auf. Er knipste die Energiesparlampe an, die immer ein wenig brauchte, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Ihm ging es genauso, weshalb er die antik anmutende Filterkaffeemaschine belud und per Knopfdruck das schnaubend dampfige Plätschern in Gang setzte. Er spülte eine alte Tasse mit klarem Wasser aus, befüllte sie mit dem Heißgetränk und ging mit Wachmacher und Mentholkippe auf den kleinen Balkon hinter seinem üppigen Schreibtisch. Abwechselnd führte er Glimmstängel und Tasse zum Mund und betrachtete das nicht vorhandene Treiben unter ihm. Vereinzelt und müde wirkend gingen Passanten über das Pflaster und kauften Brötchen, Kippen oder stöberten im Dorgeriemarkt nach Produkten, die ihr Erscheinungsbild aufmöbeln sollten. Koslowski stopfte die Kippe in den überfüllten Aschenbecher, den er aus der Galle hatte mitgehen lassen und setzte sich an seinen Schreibtisch. In den Regalen hinter ihm waren etliche Akten, Stehsammler und Mappen zu finden, die allesamt leere Blätter enthielten. Er wollte den Eindruck großer Beschäftigung vermitteln, arbeitete jedoch vornehmlich am PC und hatte den Papierkram auf ein Minimum reduziert.


Hauptsächlich kümmerte er sich in seinem spannungsentladenen Alltag um die Aufdeckung von Affären, Vaterschaftsfragen oder auch mal die Aufklärung von möglichen Diebstählen innerhalb einiger Firmen. Einmal erwischte er den Azubi in einem Möbelhaus auf frischer Tat, als dieser Rabattgutscheine erstellte und verkaufen wollte. Als Dank des Inhabers erhielt er neben der Bezahlung auch den Lederstuhl, auf dem er seinen verkaterten Arsch gerade platziert hatte. Das einzige Stück Mobiliar in seinem Büro, das wenigstens etwas Wertigkeit ausströmte. Heute musste er noch einen potentiellen Fremdgänger beobachten, der angeblich im Maifeld Fitnessgeräte beackerte. Seine Verlobte hegte allerdings den Verdacht, dass er anderweitige Übungen absolvierte. Bis dahin konnte Koslowski sich eigentlich die Ruhe antun.






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Wachtmeister Wampenplautze


„Jetzt beruhigen Sie sich doch endlich! Ja, ich habe verstanden. Nein, so einfach ist das nicht. Kehr, jetzt halt doch einfach mal die Schnauze! Gleich kommt ein Kollege. Bis dahin bitte Füße stillhalten.“


Wachtmeister Wampenplautze drückte auf den ehemals roten Knopf und beendete das unliebsame Gespräch. Ein verwirrter Typ beschwerte sich über die laute Musik des Nachbarn und wollte diesem gerne einen Besuch mit dem Baseballschläger abstatten. Er hasste es, am Telefon zu sitzen und sich den ganzen Irrsinn der Werler anhören zu müssen. Er nahm einen Schluck aus seiner Schalke-Tasse, die mit koffeinfreiem Kaffee gefüllt war (Anordnung vom übervorsichtigen Hausarzt) und funkte Ulli an, der mit dem Neuling auf Streife war. „Ulli, habt ihr gerade Zeit?“ Ein kurzes Rauschen, untermalt von knackenden Geräuschen folgte. „Ach Winfried, ist gerade echt viel los, kennste doch.“ Genervt trank er noch einen Schluck von der wirkstofffreien Plörre und sprach wieder ins antike Kommunikationsmittel. „Also seid ihr wieder am Fressen oder wartet auf das Fressen. Wenn ihr die Reste vom Döner aus der Fresse geschmiert habt, fahrt ihr bitte in die Plaschkestraße 12. Ein Herr Frontz beschwert sich über zu laute Musik und hat bereits eigene Lösungsvorschläge unterbreitet.“ Ulli bestätigte den Einsatz und wünschte noch guten Durst, was Wampenplautzes Grundstimmung nicht zuträglich war.

Winfried Wampenplautze war bereits seit über 20 Jahren Polizist in Werl. Aufregend war sein Beruf selten und wenn es mal etwas Abwechslung gab, hatte es meist mit Schützenfesten oder anderen alkoholbezogenen Umständen zu tun. Sein Alltag war in etwa so spannend wie die Zubereitung eines Butterbrotes im Aufenthaltsraum. Dennoch war er größtenteils zufrieden, dass er hier gelandet war und nicht die Ausbildung zum Bankkaufmann beendet hatte, die seine Mutter für ihn vorgesehen hatte. Auf Streife wies er Radfahrer in der Fußgängerzone auf ihr schändliches Verhalten hin und kassierte dafür verbale Nettigkeiten, die man sonst nur im Stadion den gegnerischen Spielern an die Backe warf. Gelegentlich kam es zu Ruhestörungen, Vandalismus und anderen Kleinigkeiten, die vor allem Bürokratie verursachten, aber selten wirkliche Ermittlungstätigkeit erforderten. Einzig die Situationen im Straßenverkehr sorgten neben den Gelagen der Bürger für etwas Abwechslung, denn ein Werler im Auto ist vergleichbar mit einem schwer bewaffneten Soldaten an der Front. Aggressiv, angriffslustig und bereit zu töten.


Wampenplautze tippte einige Berichte in den ratternden Computer, der technisch nicht mit der übrigen Ausstattung mithalten konnte. Vor ihm lag ein handgeschriebenes Dokument, in dem es um einen Kleinkriminellen ging, der gerne ein gefürchteter Gangster gewesen wäre. Jan Küppenbusch besuchte bis vor einigen Jahren gelegentlich die Schule, entschied sich dann aber für eine Karriere als Drogendealer, was in Werl ein aussichtsreicher Berufszweig für Schulabbrecher oder Orientierungslose war. Es gab mehrere Gruppierungen, die unterschiedliche Schwerpunkte setzten. Im Wohnpark wurde vornehmlich Gras an den entspannungsbedürftigen Kunden gebracht. Im Süden war das Sortiment etwas reichhaltiger, aber auch hochpreisiger. Jedenfalls war Jan so schlau gewesen, sich beim Verticken von Gras an der Sekundarschule erwischen zu lassen. Im Gegensatz zu den wirklichen Profis hatte der Schlauberger eine große Menge in abgepackten Portionen in seiner unauffälligen Bauchtasche. Wampenplautze hatte ihn kontrolliert und sich die üblichen Märchen von Eigenbedarf und ahnungsloser Unwissenheit angehört. Ach Küppenbusch, mehr als ein paar Sozialstunden kommen dabei doch eh nicht raus…


Die eigentlichen Fische, nach denen man den Haken auswerfen müsste, machten sich die Hände nicht beim Verteilen von kleinen Plastikbeuteln dreckig. Sie ließen die Jans, Murats und Jeremys durch die Stadt tingeln und kassierten dann ab. In diese Kategorie fielen besonders Sebastian Polter und dessen Cousin Maxim Dudzek. Sie hassten sich wie Wampenplautze die Zecken aus Dortmund verachtete. Polter war auf Drogenhandel spezialisiert. Dudzek verdiente sein Auskommen mit Hehlerei und einem Imbiss, der vornehmlich zur Geldwäsche betrieben wurde. Nachweisen konnte man den Experten bislang aber wenig. Polter war für seine kurze Zündschnur bekannt und trat gelegentlich durch körperliche Auseinandersetzungen in Erscheinung. Beim Schützenfest in Westönnen brach er einem Security das Nasenbein, als dieser seinen Ausweis sehen wollte.


Wampenplautze seufzte und starrte das ungenießbare Getränk vor sich an. Noch knapp 20 Minuten musste er an Telefon und Computer herumsitzen, bis seine Ablösung kommen würde. Nach Feierabend stattete er in der Regel Jochen aus der Galle einen Besuch ab, gönnte sich eine veränderliche, aber stetig wachsende Zahl an Feierabendbieren und marschierte anschließend mit einem angemessenen Pegel nach Hause. Seit einigen Jahren war er geschieden, was aber nicht mehr viel zur Sache tat, denn seine (wie er liebevoll zu sagen pflegte) Olle hatte sich nach Dortmund verpisst und damit jedwede Art von Aufmerksamkeit nachhaltig verspielt.

Nachdem er mühsam weitere Berichte digitalisiert hatte und die Auflösung des Einsatzes von Ulli zu Papier gebracht hatte (Besoffski ist eingeschlafen und hat vergessen die Musik auszumachen), machte er sich auf die Socken. Der Drang, sich eine Zigarette in den Mund zu stecken war trotz der 5 Jahre Abstinenz (ebenfalls vom jammernden Hausarzt verordnet) in gewissen Situationen deutlich spürbar. Besonders nach Feierabend oder nach ein paar Bieren sehnte er sich nach einer selbst gedrehten Zichte, war bisher aber stark geblieben.

Wampenplautze ging die Bahnhofsstraße entlang und nahm einen Schluck koffein- und zuckerfreier Limonade aus der Einwegpulle. Witzlos. Vor den Wettschuppen standen einige Typen, die in Dienstkleidung (Jogginghose) an ihren Kippen zogen und todsichere Tipps austauschten. Er ging grüßend an ihnen vorbei und die Experten nickten abwesend zurück. Wampenplautze bevorzugte den Weg durch den Kurpark. Am Teich ignorierten junge Familien und Tattergreise das beschmierte Schild, welches auf die Unsinnigkeit der Entenfütterung hinwies, was er wiederum gekonnt ignorierte, denn Feierabend war Feierabend. Das Verbrechen mag nie schlafen, Wampenplautze pflegte dies jedoch gerne zu tun, am liebsten mit einem gewissen Pegel im Blut.


In der schwer einsehbaren Ecke am Teich saßen die üblichen Verdächtigen. Willi, Achim und Keule reichten sich auf den Bänken den Fusel. Harry stand etwas abseits und schien in ein Selbstgespräch vertieft zu sein. Anscheinend eine rege Diskussion, denn er fuchtelte ausladend mit seinen Armen. Wampenplautze konnte die Penner, Obdachlosen oder wie man sie auch immer nennen wollte, gut leiden. Selten kam es zu problematischen Situationen. Meist kümmerten sie sich besser um die Müllentsorgung im Kurpark als die redlichen Bürger. Außerdem hatten sie im Zweifel immer die eine oder andere Information, die man bei den seltenen Ermittlungen gebrauchen konnte.


Der Sonnenschein strömte zwischen den Baumkronen hindurch und beschien den akkurat geschnittenen Rasen in Fetzen. Die verwaisten Hundehaufen wirkten so beinahe wie kleine Kunstwerke, die sie ja auch waren. Das Gezwitscher der Vögel vermischte sich mit dem Geplärre aus den Boxen der Jugendlichen, die rauchend und trinkend ihre Zeit vertrieben, ohne das Bewusstsein, dass sie sich von den Pennern lediglich in ihrem Alter unterschieden.

Wampenplautze erreichte die Unnaer Straße, wo die Blechlawinen mit 30 Sachen daherschlichen, weil seine Kollegen und er hier öfters mal ihren Kontrollstand aufbauten. Ordnungsgemäß betätigte er die Fußgängerampel. Allerdings weniger, um sich ordnungsgemäß zu verhalten, sondern viel mehr, um die Autofahrer zu nerven, die es aus fadenscheinigen Gründen immer eilig zu haben schienen.


Es war noch früher Nachmittag, als Jochen ihm das erste Bier auf den Tresen stellte. „Was ist los, Winfried? Du siehst irgendwie belämmert aus.“ Wampenplautze nahm einen wohltuenden Schluck aus dem kühlen Glas und schwieg. „Aber das liegt jetzt nicht daran, dass ihr am Wochenende gegen Köln verkackt habt, oder?!“ Ein weiterer Schluck. „Ne… Nennen wir es einfach Melancholie. Musste vorhin im Kurpark dran denken, wie wir früher in die Saline gekotzt haben. Das Kotzen war zwar nicht schön, aber alles andere war irgendwie bunter.“ Jochen putzte abwesend und eher einer Performance folgend über den Tresen und runzelte die furchige Stirn. „Vielleicht sollte ich dir lieber einen Kaffee geben. Entweder das oder du brauchst ne Olle!“

Könnte sein, dass der Kneipenpsychologe auf seine stumpfe Art wenigstens in gewisser Weise Recht hatte. Seit er sich von Anna getrennt hatte, lief eigentlich gar nichts mehr so richtig. Okay, das Rauchen hatte er nicht wieder angefangen, aber er soff mehr als zu Schulzeiten und das sollte was heißen. Durch seine Frau hatte er immerhin ein Grundmaß an Motivation gehabt, sich nicht in allen Bereichen allzu sehr gehen zu lassen. Andererseits dürfte sich seine in den Kellergewölben verirrte Stimmung nicht durch ein bisschen Östrogen auf den rechten Weg zurückbringen lassen. Dennoch wollte er über den nett gemeinten Hinweis seines Kneipiers nachdenken. Sobald er genug intus hatte.


Da Wampenplautze am Folgetag erst im Mittagsbereich wieder in die (etwas zu enganliegende) Uniform schlüpfen musste, blieb er bis kurz nach Mitternacht in der Galle und nahm sich für den Heimweg ein Taxi. Jochen bestand darauf. Trotz seines stolzen Pegels dachte er aber nicht mehr über Jochens Ratschlag nach, sondern schlief schwitzend auf dem Sofa ein, während auf der Flimmerkiste eine Wiederholung irgendeines Tatortes lief.




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Tod durch Korn


„Ja ich weiß! Das tut mir wirklich leid für Sie und damit war ja auch nicht unbedingt zu rechnen.“ Wenn du schon einen Detektiv dafür bezahlst, wirst du wohl gar nicht so überrascht sein… Am anderen Ende des Telefons saß die schluchzende Klientin, deren fürchterlicher Verdacht von Koslowski bestätigt wurde. Ihr Macker war in etwa so treu wie ein Profifußballer des Formats Ibrahimovic. „Die Kontoverbindung haben Sie ja. Nein, da kann ich leider nicht weiterhelfen. Meine Meinung wollen Sie mit Sicherheit nicht hören. Alles klar, Ihnen dennoch einen möglichst angenehmen Tag.“


Mit einem dicken Brummschädel war er gestern ins Maifeld gegangen, wo sich der Fremdgänger angeblich zum Training seines begehrenswerten Körpers einfinden wollte. Der Typ machte sich bei der Vertuschung seines amourösen Abenteuers wenig Mühe, denn in der Sauna fand ihn Koslowski schließlich. Sein Gemächt war von einem verwaschenen Handtuch bedeckt und neben ihm saß eine ansehnliche Dame, die auch seine Tochter hätte sein können. Den gegenseitigen Liebkosungen nach zu urteilen, war dies aber augenscheinlich nicht der Fall. Unauffällig knipste Koslowski einige Schnappschüsse des ungleichen Paares und zog von dannen. Der kurze Besuch in der Sauna war also ein voller Erfolg. Durch die Fotos würde wieder etwas Bewegung auf sein Konto kommen und das Ausschwitzen des Restalkohols brachte ihn auch körperlich wieder in den grünen Bereich.


Es war noch früh, weshalb sich der Schnüffler für einen kleinen Spaziergang entschied. Schließlich musste er am Nachmittag lediglich einige Videoaufnahmen durchsehen und wollte sich vor dieser sitzlastigen Tätigkeit noch etwas die Beine vertreten. Trotz der frühen Tageszeit gönnte er sich eine Bratwurst an Sommers Grill und sparte nicht mit dem Senf. „Peter, haste gestern zu viel gesoffen oder warum greifst du jetzt schon zur Wurst?“, fragte Olga, als sie ihm die über Holzkohle gegarte Speise überreichte. Sie war ein Engel in einer Stadt voller Idioten. Regelmäßig versorgte sie die Obdachlosen mit Brötchen, Getränken und auch mal einer Portion Fritten. „Ich wollte dich einfach nur sehen, mein Engel. Außerdem habe ich Kohldampf.“ Olga errötete um Nuancen und reichte Koslowski eine Serviette. „Guten Hunger und jetzt hau ab, du Schleimer!“ Beide lachten kurz und unser Schnüffler ging die Fußgängerzone in Richtung Marien-Apotheke hoch.


Auf den Treppen der Basilika saßen einige Grüppchen, die Kaffee aus Pappbechern schlürften oder in krümmelnde Brötchen bissen. „Ey du Hurensohn. Ich ficke deine Nuttenmutter!“ Eine junge Frau trat gegen einen dicken BMW, hinter dessen Steuer ein aalglatter Anzugträger den Blick des Verdutzten aufgesetzt hatte. Sein Seitenfenster glitt herunter und er schien den Nettigkeiten etwas entgegnen zu wollen, doch flog ihm direkt ein Schwall Speichel entgegen. Die junge Frau, kaum ein Strich in der Landschaft, trat noch gegen die Seite des Fahrzeugs und ging dann fluchend weiter. „Glotzt nicht so, sonst ficke ich eure Nuttenmütter!“ Koslowski glotzte nicht. Kimberly Fuchs war in Werl bekannter als der Bürgermeister und man verhielt sich ihr gegenüber gefälligst wie bei einem wilden Raubtier. Augenkontakt vermeiden, alles ignorieren und unauffällig den Aufenthaltsort verlassen. In der Schulzeit verkloppte sie regelmäßig ungeliebte Lehrer, nahm alles an Drogen, was ihr in die manikürten Finger kam und hatte bereits mit 17 Jahren zwei Kinder zur Welt gebracht, die nun in irgendwelchen Heimen ihr Dasein fristeten. Mittlerweile war sie Anfang 20 und auf das Spritzen allerlei Substanzen übergegangen.


Koslowski verließ die Szenerie und ging weiter seines Weges. Auf dem Friedhof würde er seine Ruhe haben. Was für die verbuddelten Menschenreste galt, sollte ja auch für ihn Bestand haben. Vor der Stehpizzeria stand Guiseppe und hob drohend den Zeigefinger, als er die halb vertilgte Bratwurst in seinen Händen erblickte. „Peter, das kannst du nicht machen. Komm rein, ich mache dir eine Portion Pasta und dazu trinkst du einen guten Chianti.“ Er winkte grinsend ab. „Vielleicht später. Chianti… Guck mal auf den Tacho!“


Die zu passierenden Straßen überquerte Koslowski in gewohnter Weise, nämlich den hupenden Verkehr ignorierend. Als ein Autofahrer äußerst penetrant auf die Hupe hämmerte, bückte er sich und tat so, als ob er sich die Schuhe binden müsste. Ein bisschen Spaß musste schließlich sein.


Auf dem Parkplatz vom Penny Markt war ganz schön was los. Vor den Altglascontainern standen 2 Polizeiautos, Absperrband flatterte vor sich hin und einige Schaulustige standen mit etwas Abstand vor der Scherbenaufbewahrung. Koslowski erkannte auch Florian Skripnik, der für den Anzeiger fragwürdige Artikel verfasste, die jeden Deutschlehrer zur Weißglut trieben. Hat da mal wieder jemand Sperrmüll entsorgt oder was soll der Quatsch?! Aber das passiert ja eigentlich täglich.


Er näherte sich der Menschenmenge und vernahm erste Gesprächsfetzen. Tot, ermordet, Serienmörder, das sowas in Werl passieren konnte, kehr wie bei CSI, ist das nicht der Dudzek??? Naja, von CSI hatte das aus Sicht Koslowskis wenig. Er sah nämlich Ulli Pottmann, dessen korpulente Erscheinung ihn für jede erdenkliche Abnehmsendung von SAT 1 bis RTL II prädestinierte. Bereits der Gang vom Dienstfahrzeug zu den Containern schien ihn ins Schwitzen gebracht zu haben. Neben ihm stand ein junger Bulle, Tim irgendwas, dessen Pupillen auf Drogenmissbrauch schließen ließen oder davon zeugten, dass er abseits des Fernseher noch nie eine anständige Leiche gesehen hatte. Koslowski beobachtete zunächst, was sich dort abspielte, denn mit Pottmann kam er noch nie gut zurecht. Wampenplautze hingegen war in Ordnung. Sie halfen sich oft gegenseitig bei ihren nichtigen Aufgaben, doch der schien nicht im Einsatz zu sein.


„Jetzt verpisst euch endlich und lasst uns unsere Arbeit machen. Ihr könnt nachher alles im Anzeiger lesen.“ Pottmanns feuchte Stirn lag in Zornesfalten und seine Augen verrieten, dass er gerne jeden einzelnen der Schaulustigen mit dem Knüppel bearbeiten wollte. Tatsächlich lag vor dem Container für Weißglas Maxim Dudzek. Das war für Werl in etwa so, als ob Al Capone ermordet vor einem Puff gelegen hätte. Koslowski schlich sich an den Gaffern vorbei und tippe Skripnik auf die schmächtigen Schultern. „Ey Skripnik! Was ist hier los?“ Der Schreiberling drehte sich erschrocken um erkannte erleichtert, dass es sich lediglich um den einfachen Schnüffler handelte. „Siehste doch. Der Dudzek. Tot. Erstochen würde ich sagen bzw. werde ich gleich im Internet mutmaßen.“ Arschloch… „Du als investigativer Analphabet wirst ja wohl schon mehr wissen oder haste Angst, dass ich das exklusiv in meiner Zeitung veröffentliche?!“ Beleidigungen, subtil oder mit dem Holzhammer waren für Skripnik besser als jedes Kompliment, denn er schien schon immer masochistische Züge zu haben. Anders ließ dieses Hawaiihemd auch nicht erklären, auf das jeder Fettwanst in einer Sitcom stolz gewesen wäre.

„Gibt noch nicht viel. Irgendein Penner hat den hier morgens gefunden. Seitdem versuchen die Bullen das hier abzusperren…“ „Was Ihnen anscheinend so gut gelingt, wie alles andere, was sie anpacken…“ Skripnik schmunzelte über die Bemerkung, war er doch immer wieder mal für einen Artikel gut, in dem er unverhohlen auf die örtliche Polizei eindrosch und ihnen irgendwas vorwarf. Zu wenig Präsenz, zu wenig Durchsetzungsvermögen, zu langsame Handlungen usw., was in Teilen ja stimmen mochte, aber auch damit zu tun hatte, dass es sich bei Werl nicht um Hamburg, Dortmund oder gar Berlin handelte. Werl war ein Mittelzentrum und da mussten Gestalten wie Pottmann und Wampenplautze eben reichen. Schließlich diente der Anzeiger ja ebenfalls als Abklatsch einer richtigen Zeitung. Er nickte dem Journalistendarsteller zu und entfernte sich von der Abscheulichkeit des Hemdes.


Koslowski hatte eigentlich überhaupt keine Lust, aber die Neugierde siegte. Er näherte sich dem schwitzenden Koloss von Polizisten. „Tach Pottmann! Erzähl, was ist passiert?“ Dem Blick nach zu urteilen hatte der Detektiv gerade die gesamte Ahnenreihe des Uniformierten beleidigt. „Samma geht’s noch?! Koslowski, mach dich vom Acker, wir haben hier zu tun!“ Er steckte sich eine Menthol an, ließ den Rauch aus der Nase entweichen und setzte einen Blick auf, der Mitleid bedeuten oder auch einen spöttischen Hintergrund haben konnte. „Das sehe ich. So wie du aussiehst, biste schon nen Halbmarathon gerannt. Kehr Ulli, sag doch einfach, was du weißt und ich lass dich in Ruhe. Indianerehrenwort.“ Der träge Denkapparat des Polizisten setzte sich ruckelnd in Bewegung, er wog ab. Entweder Koslowski weiter anschreien, einbuchten und dann Papierkram haben oder ihm ein Leckerli hinwerfen und sich dennoch überlegen fühlen? „Aber nur, weil Hoffenheim gestern die Bremer verhauen hat. Maxim Dudzek wurde hier am frühen Morgen von einem Obdachlosen gefunden. Gezackte Stichwunde am Hals. Bin zwar kein Experte, dürfte aber die kaputte Kornpulle gewesen sein, die bluttriefend neben dem Opfer liegt. Mehr können wir erst sagen, wenn die Spurensicherung ihre Arbeit gemacht hat. So, und jetzt kannste wieder spannen gehen oder was du auch immer tust, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen.“ Erneut ließ er den Minz-Tabakduft aus der Nase entweichen, nickte kurz und verließ den Haufen Schaulustiger.


Den Spaziergang wollte er sich nun schenken. Koslowski ging zurück in Richtung Fußgängerzone und versuchte seine Gedanken zu sortieren. Vergeblich. An der Bushaltestelle vor Kaufland kam ihm Wampenplautze entgegen. „Ey Winnie! Bisschen spät dran, ne?!“ Wampenplautze sah aus wie eine wandelnde Schnapsleiche, worüber auch die Uniform nur schwerlich hinwegtäuschen konnte. Er winkte nur ab und stammelte ein unverständliches Gebrabbel vor sich hin. Warst gestern wohl wieder in der Galle, du alter Halunke… Vor der Stehpizzeria grüßte Koslowski Guiseppe. „Mach mir mal ne Portion Bolognese bitte.“ Diensteifrig nickte der Herzblutgastronom und fragte, ob nun auch Zeit für einen Chianti wäre. „Chianti, Ramazotti und ein Bier dürften jetzt drin sein.“ Guiseppe merkte, dass er es zwar scherzhaft herüberbrachte, aber vollkommen ernst meinte.


Koslowski konzentrierte sich mehr auf das Herunterschlingen der glitschigen Pasta als auf den Genuß. Gierig kippte er die alkoholischen Flüssigkeiten in seinen Rachen. Mit Guiseppe sprach er eingehend über Dudzek und dessen Schicksal. „Hast du mal was bei dem gegessen?“, wollte der Pizzabäcker wissen. Er schüttelte den Kopf. Maxim Dudzek betrieb über Jahre einen Imbiss mit dem hochkreativen Namen Dönermann, der das Frittenfett nur wechselte, wenn man es in der gesamten Fußgängerzone riechen konnte. Vornehmlich diente der Betrieb dem Waschen seiner illegalen Einnahmen, die er durch den Verkauf allerlei Hehlerware erzielte.


„Das war doch eh der Polter!“ So sicher wie Guiseppe war Koslowski allerdings nicht. Klar, die Brutalität und das Impulsive der Tat passten schon irgendwie, aber dumm war Sebastian nicht. Natürlich würde er niemals zu einem Dozenten der Sozialwissenschaft taugen, aber die Tötung seines ungeliebten Cousins an einem Altglascontainer, das war dann vielleicht eine Nummer zu dämlich. Der Teller war blitzeblank, der Schnüffler wohl gesättigt und zum Abschluss trank er den Ramazotti auf ex. Angenehme Wärme verteilte sich in seinem Wanst und er zahlte ein gutes Trinkgeld. „Ciao Guiseppe, morgen wissen wir mehr. Der Skripnik vom Anzeiger war auch am Tatort.“


Koslowski schlenderte in Richtung Büro, wo er sich nachher die Videoaufnahmen einer Überwachungskamera ansehen wollte, die er bei einem Anwohner im Süden angebracht hatte, der vermutete, dass der Nachbarshund ständig in seinen Vorgarten kacken würde. Solche Probleme möchte ich auch haben…


-4-

Sonderkommission Kurpark


„Verpiss dich! Geh mal lieber arbeiten!“ Ein junger Mann, dessen Kleidungsstil schwere neurologische Probleme vermuten ließ, brüllte Willi an, der vor Woolworth auf den geschmeidigen Pflastersteinen saß und passiv um Almosen bat. Der picklige Jüngling spuckte auf den Boden und erhielt von seinen nicht minder minderbemittelten Kumpanen Anerkennung in Form von bestätigenden, aber grammatikalisch nicht astreinen Äußerungen. Für heute hatte Willi genug. Er nahm seine Brocken, die in einem verschlissenen Rucksack Platz fanden und machte sich auf den Weg in den Kurpark, wo Achim, Keule und Harry wohl an ihrem Stammplatz sein würden.


Wachtmeister Wampenplautze eilte, jedenfalls für seine Verhältnisse, auf der Höhe der Spielo an ihm vorbei. Willi war erschrocken, als er den Ordnungshüter erblickte. Der sieht ja schlimmer aus als Keule. Und der säuft schon seit Jahrzehnten. Wampenplautze sah ihn nicht oder wollte ihn nicht sehen. Willi passierte die Straße zum Kurpark und betrat das Naherholungsgebiet Werls. Auf dem Spielplatz beleidigten sich Blagen, während die Eltern sie rauchend ignorierten. Auf der Bank am Teich saßen Keule und Achim und gönnten sich Flüssignahrung.


„Tach Willi! Warste erfolgreich?“, fragte Keule und untermalte dies mit einem Hustenanfall der Güteklasse mit Auswurf. Willi winkte ab und nahm die Flasche Doppelkorn, die ihm von Achim gereicht wurde. „Hier, nimm erst mal einen Schluck. Dafür haben wir ein paar Brötchen von Olga bekommen.“ Olga Oblomov verdiente mit ihrem kleinen Imbissstand sicherlich kein Vermögen, kümmerte sich aber um ihre Mitmenschen, was die Obdachlosen spätestens dann regelmäßig zu Tränen rührte, wenn sie genug intus hatten. Ihre Dankbarkeit zeigten sie der Wurstdreherin regelmäßig und schenkten ihr zum Geburtstag immer eine Flasche Wodka, die mehr als 5 Euro kostete. Das wiederum rührte Olga zu Tränen. Der Kreislauf des Heulens.


Es war kurz vor Mittag und dementsprechend war nicht viel los in den heiligen Hallen des Kurparks. Einige Herrchen und Frauchen ließen ihre Köter an die Laternen pissen oder auf die Wiesen kacken, um die an Konsistenz variantenreichen Hinterlassenschaften in kunterbunte Tütchen zu packen. Andere ließen die stolzen Haufen einfach liegen. Die sonst zahlreich präsenten Jugendlichen hockten gerade an ihren Plätzen in den muffigen Klassenräumen oder vertrieben sich die Zeit anderswo. Das Wetter war herrlich, sodass die herunterplätschernden Wassertropfen an der Saline kleine Regenbögen erzeugten und es so idyllisch wirkte, als sei gerade nicht eine offensichtlich ermordete Kötte am Altglascontainer aufgefunden worden.

Willi, Achim und Keule beobachteten die wenigen Spaziergänger, steckten sich selbstgedrehte Zigaretten an und zogen röchelnd an den filterlosen Kunstwerken. Keule schien schon gut dabei zu sein, denn sein aufgedunsenes, aber akkurat rasiertes Gesicht hatte schon mächtig Farbe bekommen.


„Samma Willi! (Die Sprechpause war einem ausgedehnten Husten geschuldet)…. Haste unterwegs vielleicht Harry gesehen? Der wollte sich nur frisch machen auf der Toilette am Marktplatz.“ Willi schüttelte den Kopf, seine Haare wedelten wirr hin und her. Auf einem Musikfestival hätte man ihn mit seiner Mähne für einen Veteranen der gitarrenlastigen Schreimusik gehalten, doch eigentlich mochte er vor allem rührseligen Quatsch von Heintje, der ihn immer an eine Zeit erinnerte, in der er nicht wertloser als die Hundehaufen zu sein schien. Achim beteiligte sich wie gewohnt nicht mit Worten am Gespräch, sondern gab schwerlich interpretierbare Laute von sich, während er sich die Haut an Daumen und Fingern abscharbte. Besser als ritzen, sagte er einst, als er hin und wieder noch sprach. Doch seit dem Auffliegen seiner Betrügereien sind die Momente der verbalen Kommunikation eher die Ausnahme.

Einige Enten steckten die Birnen in ihr Gefieder, andere rannten den zugeworfenen Brotresten hinterher, als Achim, Keule und Willi eine bekannte Stimme hörten. „Bist du blind oder nur dumm wie Scheiße?!“ Harry stand vor einem vielleicht 30-jährigen Schrank mit Lederjacke, der mehr Gel als Haare auf dem Kopf hatte. „Taub biste also auch noch, oder was?! Heb die Scheiße auf oder ich knall dir eine, du Wichsbirne!“ Im Gesicht des Angebrüllten konnte man den Abwägeprozess selbst aus der Ferne gut vernehmen. Der Statur nach, verbrachte er einige Zeit mit Hanteln und Proteinpülverchen. Allerdings sah er auch, dass ein hosenträgertragender Rentner auf der Nebenbank saß und das Schauspiel kritisch beäugte. Schließlich bückte sich die kantige Kötte, hob einen zertretenen Glimmstängel auf und schnipste ihn in den Mülleimer, der mit massig Aufklebern verziert war. „Quatschst du mich noch einmal an, kriegste ne Bombe. Und jetzt hau lieber ab!“ Harry fixierte den aufgeplusterten Mann und verbeugte sich. „Ich hab eh noch Termine. Und nächstes Mal werde ich nicht so nachsichtig sein.“ Harry grinste, der stoppelige Bart, die fettigen dunklen Haare und die löchrige Jeans wirkten dermaßen absurd, dass dem Bombenverteiler offensichtlich keine passende Antwort einfiel. Harry verließ den Ort des gepflegten Meinungsaustausches Werler Art und winkte seinen Kumpanen zu.


„Eines Tages bringt der uns noch alle ins Grab.“, meinte Willi in die Runde. Keule warf seine Kippe in den Mülleimer und nickte. „Ist aber trotzdem lustig.“ Alle drei lachten als Harry zu ihnen stieß. „Mensch Harry, was hast du denn für ne schicke Jacke an!“, stellte Willi anerkennend fest. Harry zog am Kragen der simplen Strickjacke als ob er ein edles Hemd richten würde. „Die alte Pissjacke war oppe. Schon lange. Aber guck nicht so neidisch, die war bei KiK runtergesetzt und hat mich keine 3 Euro gekostet. Kannste dir ja auch holen, wobei die keine Übergrößen führen.“ Willi zog eine schwarz-weiße Polyesterjacke aus seinem Rucksack und deutete auf den Adler an der Brust. „So nen Billigschund trage ich nicht. Da nehme ich lieber das gute Stück hier.“ Keule röchelte ein wenig und fing sich wieder. „Wo haste den Schatz den ausgegraben?“ Willi, der früher für die Werler Preußen Schienbeine durchtrat, erzählte, dass er die Jacke von einem ehemaligen Mitspieler als Geschenk erhielt. Auf dem Rücken stand in zeitlos stilvollen Lettern aus verblichenem Filz „Siggi’s Sportreff“.

„Jetzt haben wir eure modischen Verirrungen genug bequatscht. Wo warst du?“, wollte Keule wissen und reichte dem Umweltaktivisten einen Flachmann, dessen Geruch allein besoffen machte. Harry schnüffelte an dem Behälter und nickte anerkennend, bevor er einen großen Schluck in seinen trockenen Rachen schüttete. „War bei den Bullen.“ Stille.

„Ich war heute morgen auf dem Friedhof. Wollte Stummel einen Besuch abstatten und dann auf dem Rückweg beim Penny noch ein bisschen was einkaufen.“ Stummel war letztes Jahr übel zusammengetreten worden und ist an den Folgen verstorben. Das anonyme Grab pflegten die 4 gemeinsam, wenngleich es ihrer grundsätzlichen Verfassung oft nicht dienlich erschien. „Ja und? Dann haste einer Ollen, die einen Plastiktopf auf den Kompost geworfen hat ne Kopfnuss gegeben oder was? Jetzt komm zum Punkt, bevor ich wieder nüchtern werde.“ „Kehr Keule, du warst das letzte Mal nüchtern, als ich noch in die Hose geschissen habe, also tu dir mal die Ruhe an. Als ich unserem Freund die Ehre erwiesen habe, wollte ich ordnungsgemäß Glasflaschen entsorgen. Als ich die Pulle Korn in den korrekten Container werfen wollte, sah ich auf einmal den Dudzek. Kaputt. Tot. Riesige Blutpfütze neben seinem Stierhals. Hab dann von einer netten Frau, die bestimmt keine Angst vor mir hatte, das Handy ausgeliehen und die Bullen gerufen. Ja, musste dem Pottmann erzählen, was ich gesehen habe und ich solle weiter zur Verfügung stehen und keine langen Reisen machen.“ Nach dem letzten Satz konnte er sich nicht mehr zurückhalten und lachte laut los. Seine verbliebenen Zähne schimmerten gelblich in der aufsteigenden Sonne. „Und dabei wollte ich doch morgen in meine Finka auf Malle.“


Maxim Dudzek war in Werl bekannt, für viele gar berüchtigt. In seinem Schuppen Dönermann konnte man nur essen, wenn man über einen beschichteten Magen verfügte, der einem die Zufuhr fadenscheiniger Speisen verzieh. Selbst die 4 Pfandsammler bevorzugten andere Energiequellen. Sowohl den wenigen Kunden als auch der örtlichen Polizei war bewusst, dass der Imbiss lediglich eine Fassade für den hochkomplexen Vorgang des Geldwaschens war, doch konnte nie etwas Handfestes ermittelt werden. Das lag zum einen an der passiven Inkompetenz der Werler Polizei, aber auch an Dudzeks Vorgehen, der nichts ohne seine Steuerberater tat, die bekanntlich Verbrechen zu geschickten Zahlenspielereien ummünzen konnten. Vornehmlich verdiente er sein Vermögen mit dem Verkauf verschiedener Waren, die von elektronischen Medien bis hin zu geklauten Nobelkarossen reichten. Von Drogen ließ er allerdings die Finger, weshalb die Beziehung zu seinem Cousin Sebastian Polter auch eher in die Kategorie problematisch fiel.


Willis glasige Augen wanderten im Kurpark herum und seine braun gebrannte Stirn lag in Furchen. „Und wer hat den jetzt kaputt gemacht?“, fragte er sich und die anderen. „Was ne dumme Frage! Das war doch eh der Polter. Der ist doch wie ein HB-Männchen auf Koks!“, antwortete Keule von einem Rülpser untermalt. Willi schüttelte seine wallende Haarpracht derartig energisch, dass ihm beinahe schwindelig wurde. „Klar, der ist dumm und haut bevor er fragt. Aber so dumm ist der doch auch nicht. Die Bullen werden den doch als erstes in die Mangel nehmen.“ Schallendes Gelächter von Keule flutete den Kurpark, einige Vögel ergriffen die Flucht. „Du meinst, dass Wampenplautze und Pottmann jemanden in die Mangel nehmen. Der Polter macht sich doch seit Jahren über die Hampelmänner lustig. Zack, hat er 12 Leute, die ihm ein Alibi verschaffen und verteilt dafür ein bisschen Gras an die Zeugen. Oder er droht denen einfach ein paar auf die Fresse an.“


Zugegeben, die Polizei war jetzt nicht gerade für ihre Hartnäckigkeit bekannt, sonst würde Polter nicht seit der Pubertät mit allerlei Drogen handeln können ohne dafür jemals belangt zu werden. Einzig sein eher handfester Ansatz beim Umgang mit Problemen oder Meinungsverschiedenheiten brachte ihm läppische Strafen ein, über die er sich beim Geldzählen wahrscheinlich kaputtlachte.


„Und was ist mit der Fuchs?“, fragte Harry in die Runde. Nachdenklich nickte Willi. „Aber warum?“ „Hömma ich kenn die noch von meiner Zeit an der Overberg. Die braucht keinen Grund. Kimberly hat mal einen Lehrer die Nase gebrochen, weil der ihr angeblich zu blöd geguckt hat. Und die Schüler mussten ihr Geld zahlen, sonst gab’s auf die Fresse. Manchmal hat sie auch diejenigen verkloppt, die bezahlt hatten. Einfach so.“ Achim hörte aufmerksam zu und gab seine Zustimmung für die Theorie durch einen feuchten Rülpser zum Besten.


Die ersten Schüler schlichen rauchend durch den Park, da sie entweder Feierabend oder einfach keine Lust mehr hatten. Sie spuckten auf den Gehweg, schnipsten ihre Kippen auf die Wiese und warfen zerbeulte Pfanddosen in Richtung der Enten. Die Sonderkommission vertilgte derweil noch einigen Fusel und ließ die Szenerie auf sich wirken. Harry wies gelegentlich noch einige Umweltsünder auf ihre Frevel hin, wobei seine Wortwahl sukzessive an Deutlichkeit gewann.




-5-

Von Schreiberlingen und Schnüfflern


Ein Mord in Werl. Dann hat es auch noch einen fiesen Gangster getroffen. Der Chefredakteur Florian Skripnik konnte sein Glück kaum in Worte fassen, wobei der Umgang mit Worten noch nie so seine Stärke war. Sowohl die Klickzahlen auf der Homepage, einer pop-up verseuchten Werbeseite als auch der Verkauf der Printausgabe schnellten in sagenhafte Höhen. Er schrieb dies natürlich seiner strategischen Genialität zu und nicht den sensationsgeifernden Bürgern, die endlich mal über etwas anderes als vermüllte Spielplätze und Taubenzüchter in dem Käseblatt lesen konnten.


Die Polizei hielt sich mit Informationen noch zurück, was Skripnik aber nicht an fast stündlichen Mutmaßungen, Hinweisen und Hochladen von schlecht verpixelten Bilderstrecken abhielt. Seine Mitarbeiter gingen eifrig auf Stimmenfang in der Fußgängerzone und befragten die Werler nach unausgegorenen Meinungen, die dann ungefiltert auf der Homepage landeten, wo sie von den Usern wenig zurückhaltend kommentiert wurden.


Machoman69: das waren doch bestimt die bullen. die sind so dumm. acacab

Lovepeacedrogen: wahrscheinlich ein einzeltäter. Die bisherigen infos lassen auf eine impulsivtat schließen. Hab gestern eine doku geguckt.

Wahrheit18: hor mir auf! Asylanten waren das. alle weg hier! Danke merkel!

Loneleygirl456: Was ist denn mit seinem Kuseng. Der ist vol brutal.

Wurstbrot54: Wer weiß, was wirklich dahiniter steckt? Die Rumäben wollten schon immer einen Fuß in die tpr bekommen.

WACHT AUF!: Wie naif kann man sein?!?! Wer sagt denn das das stimmt. Vielleicht lebt der wixer ja noch und zählt siene milllionen auf malle. Alles hinterfragen! Denkt nach!

Werler Kötte: Sowas schimpft sich Zeitung?! Andererseits regelt die Nachfrage ja auch den Markt 😉


Skripnik überflog den gerade beendeten Bericht, der ohne Umschweife auf die Homepage kommen sollte, und war mit seiner Leistung wie immer sehr zufrieden. Wenn ihn Wampenplautze und Pottmann nicht mit den nötigen Informationen versorgten, musste er eben selbst auf die Pirsch gehen, denn sein Praktikant taugte kaum zum Kaffeekochen.

Mord am Altglascontainer

Von Florian Skripnik (CvD)

Polizei tappt noch im Dunkeln

Die Nachricht verbreitete sich wie ein mit Benzin gefüttertes Feuer in einer trockenen Scheune. Maxim Dudzek wurde in der Nacht von gestern auf vorgestern gewaltsam das Leben genommen. Unsere Bürger sind fassungslos und bekommen es auch mit der Angst, wenn sie an diese brutale und abscheuliche Tat denken. Der Täter oder die Täterin läuft frei herum und verbreitet Schrecken. Viele Vermutungen stehen im Raum, doch unsere Polizei kann (oder will) sich gerade aus ermittlungstaktischen Gründen nicht näher zu den Umständen oder bisherigen Erkenntnissen äußern.

Unsere Leser können sich sicher sein, dass wir keinen Stein auf den anderem liegen lassen werden und alles zur Erhellung dieses düsteren Verbrechens beitragen werden. Zwar konnten nie handfeste Beweise gegen Dudzek ermittelt werden, doch ist es unseren Mitarbeitern und fast jedem unserer redlichen Mitbürger bewusst, dass Maxim Dudzek sein Geld nicht ausschließlich mit legalen Tätigkeiten verdiente. Daher sollten unsere Polizeibeamten die Augen in dieser Richtung offenhalten. Wir werden es auf jeden Fall tun und Sie auf dem Laufenden halten.

Die einzigen Informationen, die gesichert sind, wollen wir kurz schildern. Nach bisherigem Stand der Ermittlungen wurde Maxim Dudzek (29 J.) zwischen 23-03 Uhr am Sonntag bzw. Montag getötet. Bei der Tatwaffe handelt es sich um eine zerbrochene Schnapsflasche, die dem Opfer in den Hals gerammt wurde. Der Zeuge fand den Leichnam am Morgen als er an den Containern Glas entsorgen wollte. Die Identität dieses ominösen Zeugen ist uns (NOCH) nicht bekannt.

Besuchen Sie unbedingt unsere Homepage, auf der wir Sie mehrmals täglich mit frischen Informationen versorgen werden. Passen Sie auf sich auf und falls Sie Beobachtungen gemacht haben sollten, melden Sie sich bei der Polizei oder uns!


Zufrieden mit seinem Werk, schlürfte Florian Skripnik an seinem Milchkaffee, der aus dem Vollautomaten in die RB Leipzig Tasse getröpfelt war. Er interessierte sich im Übrigen überhaupt nicht für Fußball, kaufte sich allerdings jeden Artikel des umstrittenen Vereins, weil ihm so negative Aufmerksamkeit gewiss war. Im Laufe des Tages wollte er den Mordticker aktuell halten, wobei er sich weniger auf handfeste Fakten, sondern eher auf klickgenerierende Phantasien beschränkte, denn weder Pottmann noch Wampenplautze hatten ein ausgeprägtes Interesse an einer Zusammenarbeit mit ihm.


„Ja vollkommen richtig. Es sind keine Farbaufnahmen, aber Rocky ist eindeutig identifizierbar.“ Wie kann man einen übergewichtigen Mops Rocky nennen… Koslowski legte auf und wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Nach kurzem Überlegen entschied er sich für das wohl immer passende Rauchen, das würde ihn auf andere Gedanken bringen. Am Altglascontainer wird der Dudzek abgestochen und er überführt einen kackenden Köter auf fremdem Territorium. Der Aschenbecher aus der Galle müsste auch mal wieder geleert werden, doch solche Kleinigkeiten fielen gerade nicht sonderlich schwer ins Gewicht. Koslowski inhalierte den erfrischenden, todbringenden Qualm und ließ ihn durch die Nase entweichen. Die letzten Tage waren sehr erfolgreich gewesen, sodass er sich eigentlich mal die Ruhe antun konnte. Er studierte gelegentlich die gewohnt fragwürdigen Veröffentlichungen auf der Homepage des Anzeigers und stellte sich Skripnik vor, wie dieser im Hawaiihemd wilde Mutmaßungen in die vollgewichsten Tasten kloppte.


Nachdem er die Kippe in den überfüllten Aschenbecher gedrückt und diese noch einige letzte Rauchfäden von sich gegeben hatte, setzte er sich an seinen protzigen Schreibtisch und wählte die Nummer von Jan Küppenbusch. „Tach Jan. Haste gleich Zeit?“ Sein Gegenüber zögerte mit der Antwort, was Koslowski überhaupt nicht leiden konnte. Haste dir die Birne weggekifft oder was ist los?“

„Alter, Peter! Was ist, wenn die mein Telefon belauschen?“

„Also haste dir tatsächlich die Birne weggekifft.“ Schweigen, wahrscheinlich knirschte Jan gerade auf seinen Zähnen herum, die es wohl auch nicht mehr lange machen würden. „Du guckst zu viel Fernsehen. Und dabei auch nur Schund. Ich empfehle dir den Disney Channel. Dich hört keiner ab. Die Stümper haben gerade ganz andere Probleme. Zu meiner anfänglichen Frage zurück. Haste gleich Zeit?“

„Okay. Halbe Stunde an der Behindertenschule.“

Jan besorgte Koslowski gelegentlich was zu rauchen, denn man konnte ja nicht jeden Tag saufen. Vielleicht würde der Handlanger von Sebastian Polter ihm etwas sagen, was nicht im Märchenbuch des Anzeigers zu lesen war. Allerdings waren die Chancen größer, dass der Junge es mit der Panik bekam.


In der Fußgängerzone war überraschenderweise ziemlich viel los. Überall standen kleine Grüppchen und tauschten ihre stichhaltigen Theorien zum Mord an Dudzek aus. Die Gesprächsfetzen, die Koslowski in die Ohren gebrabbelt wurden, konnte er ebenso wenig ernst nehmen, wie die Sorge um das abgehörte Telefon eines Möchtegerndealers. Er schlenderte in Gedanken durch einige Gassen, in denen die Fassaden mit absurd hässlichen Graffitis besprüht waren. Einem Hundehaufen konnte er gerade noch ausweichen. „Ich fick deine Nuttenmutter!“ Das bekannte Geschrei kam vom Schulhof der ehemaligen Overbergschule. Koslowskis Neugierde siegte gegen die Vernunft. „Ich stech dich ab und kack auf dein Grab!“ Er drängte das Bild, wie Kimberly Fuchs auf einem Grab hockte und dabei ihren Darm entleerte in die Ecke, wo kein Licht brannte. Vor dem Eingang der Turnhalle stand die Legende unter den Kötten vor dem bleichen Jan Küppenbusch, der mit der Gesamtsituation anscheinend gerade etwas überfordert war. Koslowski steckte sich eine Menthol an und näherte sich den beiden.


„Kimberly Freya Fuchs!“ Sie zuckte kurz zusammen, ihre dürren Schultern schnellten in die Höhe und sie drehte sich geschwind, wie eine fallende Katze zu Koslowski um. Ihren vollen Namen hörte Kimberly selten, denn die meisten kannten ihn einfach nicht. „Noch so ein Opfer! Komm her, wenn du was willst!“ Er nickte kurz und blies einige kleine Rauchringe in ihre Richtung. „Lass den Vogel in Ruhe, sonst melde ich mich bei deinem Papa.“ Ihre Pupillen weiteten sich, als ob die Wirkung einiger Tabletten gerade einsetzte. „Pass auf, was du sagst, sonst ficke ich dich und deine Nuttenmutter!“ Koslowski wusste, dass Kimberlys Erzeuger seine väterlichen Pflichten anders interpretiert hatte, als es in den meisten Familien der Fall war. Er war nicht stolz darauf, aber manchmal musste man seine Karten ausspielen, wenn man sie auf der Hand hatte. „Zieh jetzt Leine. Ich meine es ernst. Kalle wollte sich eh noch einen mit mir saufen.“ An ihrem eingefallenen Gesicht bildeten sich Falten der Wut. Sie wog ab und kam zu dem Schluss, dass der Stress vertagt werden sollte. „Egal. Nächstes Mal ist der kleine Wichser fällig. Fickt euch!“ Die Prinzessin zog davon und fluchte in vertrauter Weise vor sich hin.


Sichtlich erleichtert und mit einem Hauch unsicherer Dankbarkeit schaute Jan in die Augen seines Retters, der seine Zigarette auf den Boden schnipste. „Kehr Küppenbusch, ist dir das nicht peinlich?!“ Jan wippte von einem sneakerbesohlten Fuß auf den anderen und senkte dabei sein miserabel rasiertes Gesicht. „Die wiegt vielleicht 20 Kilo und du pisst dich fast ein! Jesus Christus… Für deinen Ruf als hochkrimineller Drogendealer sind solche Aktionen nicht unbedingt förderlich.“

„Pscht. Bist du bekloppt?! Lass mich dich erstmal durchsuchen, wer weiß, ob du nicht ne Wanze trägst.“ Koslowski grinste über beide Backen und konnte ein schallendes Gelächter mit großer Anstrengung noch so gerade unterdrücken. „Kannst mich gerne checken. Dann breche ich dir aber deine verwichsten Pfoten. Du landest dann im Marienkrankenhaus und ich spreche mit Wampenplautze über deine nebenberuflichen Tätigkeiten. Wobei, für nen Nebenberuf braucht man ja einen Beruf.“

Der hatte gesessen, dabei wollte Koslowski den kleinen Gauner gar nicht zu sehr verunsichern. „Jetzt stell dich mal nicht so an! Du bist doch nicht auf den Kopf gefallen. Für deine Aktion bekommst du ein paar Sozialstunden aufgebrummt und damit ist das Thema auch erledigt.“ Jan nickte, sein von Akne zerfurchtes Gesicht schwankte dabei zwischen Hoffnung und Sorge. „Ich hoffe es. Was möchtest du eigentlich. Zwanni?“ Koslowski schüttelte den Kopf, dessen dunkelbraunes Haar bereits einige weiße Strähnen aufwies, was er auf die Gene schob. „Du willst mir nicht sagen, dass du gerade was zu rauchen dabei hast, oder?!... Ich korrigiere mich, du bist wohl etwas zu oft auf die Rübe gefallen. Aber das kannste auch mit sonstwem besprechen.“ Koslowski ging mit dem Küppenbusch in die Ecke des kleinen Fußballplatzes, wo man seine Ruhe hatte.

„Du hast das mit dem Dudzek doch mitbekommen, ne?... Gut. Kann es sein, dass der Polter was damit zu tun hat?“ Jan steckte sich eine Zigarette an, stümperhaft gestopft und der billige Geruch des Discounttabaks widerte Koslowski an, der sich direkt eine Menthol in den Mund steckte, um den Gestank zu übertünchen. „Ich denke nicht. Wenn ich was wüsste, würde ich es aber auch nicht sagen, dann wäre ich bestimmt der Nächste.“

„Biste dir sicher? Ist dir was an Sebastian aufgefallen? Wirkte er nervös? Also so wie du jetzt? Hat er komische Fragen gestellt? Will er weg? Irgendwas?“ So musste Jan im Unterricht ausgesehen haben. Er überlegte augenscheinlich und wirkte dabei, als ob er Verstopfung der allerfeinsten Sorte haben würde. „Nein! Eigentlich nicht. Ich sollte gestern zu ihm, da hat er mit mir darüber gesprochen, wie ich mich vor Gericht zu verhalten habe, damit ich keine lange Strafe bekomme. Und zum Schluss meinte er noch, dass er wissen will, wer seinen Cousin abgestochen hat. Der ist zwar ein Wichser gewesen, trotzdem war er Familie. Und wenn er den Typen erwischt, dann wird der sich wünschen tot zu sein.“ Jan drückte die Zigarette unbeholfen aus, sodass ihr Qualm noch ein paar letzte Grüße gen Himmel schickte. Koslowski schnippte seine Kippe auf den Fußballplatz, wo die Glut von der Asche des Geläufs erstickt wurde. „Dachte ich mir doch. Danke Jan! Und pass auf dich auf!“ Er klopfte dem Dealer auf die Schulter und verließ den Schulhof.


Er ging durch die Fußgängerzone und wollte nur noch nach Hause. Zwar überlegte Koslowski kurz, ob er noch in die Galle sollte, entschied sich letztlich aber dagegen. Gelegentlich traf er dort Wampenplautze und hätte ihn nach dem Stand der Ermittlungen fragen können, doch ging er davon aus, dass der gerade nicht die gewohnte Zeit zum Saufen hatte. Wahrscheinlich würde er permanent von Skripnik belästigt werden und das Trinken auf die eigenen 4 Wände beschränken. In der Fußgängerzone hatte sich die Lage etwas entspannt. Zwar war es gerade mal später Nachmittag, aber bis auf einige Gestalten vor Kamps und DM sah er fast niemanden. Anscheinend gingen die Amateurermittler ihrer Tätigkeit nun in den Kommentarspalten des Anzeigers nach.


Mit der Pissbahn ging es nach Westönnen, wo seine kleine Wohnung auf ihn wartete. Heute wollte sich Koslowski den einen oder anderen Cocktail mischen. Vielleicht würde er ja im angenehmen Suff dahinterkommen, was da eigentlich vorgestern am Altglascontainer passiert war.




-6-

Treibjagd auf Valium


„Kehr Ulli! Zieh doch einfach den Stecker!“ Das Telefon in der Wache klingelte fast unablässig. Entweder war Skripnik oder einer seiner nervigen Kollegen am anderen Ende und löcherte die Beamten mit Fragen, auf die es keine Antworten gab oder irgendeine Kötte hatte einige heiße Infos. Sprich wilde Beschuldigungen, Verdächtigungen oder einfach rauschbedingte Wahnvorstellungen. Wampenplautze nippte an der Schalke-Tasse und verzog sein Gesicht. Seit dem unfreiwilligen Tod Maxim Dudzeks waren bereits 3 Tage vergangen und die Fortschritte bei den Ermittlungen hielten sich in Grenzen.


Er starrte auf die Tafel, die früher in der Fröbse genutzt wurde, für die heutigen Bedürfnisse in den Schulen aber zu veraltet erschien. Gerade passend also für die Ausstattung einer Polizeiwache, die in einem Mordfall zu ermitteln hat. In einem Mischmasch aus Ullis Sauklaue und seinen eigenen, schnörkeligen Druckbuchstaben waren da die wichtigsten Erkenntnisse zu lesen. Leider handelte es sich eher um eine löchrige Mind-Map, die anscheinend von einem Schüler mit Lernbehinderung erstellt wurde.


Maxim Dudzek (33 J.). Todeszeitpunkt in der Nacht von Sonntag auf Montag (2-3 Uhr). Ursache tiefe Stichwunde am Hals. Tatwaffe zerbrochene Flasche ohne taugliche Fingerabdrücke. Verdächtige: Polter? Konkurrenz? Motiv?


Im Laufe des Tages sollten Pottmann, Wampenplautze und der Grünling Tim Unterstützung von einigen Experten bekommen, was bedeutete, dass man ihnen keine nennenswerten Ermittlungsfortschritte zutraute. Winfried ging das am üppigen Hintern vorbei, Ulli verfügte hingegen über ein ausgedehntes Ego, sodass er seine begrenzten Fähigkeiten weiter für den Erfolg einsetzen wollte.


„Wampe! Tim und ich statten dem Polter jetzt gleich mal einen Besuch ab. Möchtest du vielleicht den Hinweisen über die 3 Jugendlichen mit orientalischem Aussehen nachgehen?“ Nein, lieber würde ich mir ein Gurkenglas in den Arsch schieben, wäre nämlich genauso sinnvoll, wenn nicht sogar sinnvoller. „Ulli, quatsch ruhig mit dem Polter, aber du weißt genauso gut wie ich, dass der mit dem Scheiß einen Scheiß zu tun hat. Und 3 Jugendliche mit orientalischem Aussehen… Soll ich jetzt den ganzen Wohnpark in Gewahrsam nehmen, weil ein alter Nazi Stimmung machen möchte?“ Pottmann grummelte ein wenig, was Zustimmung und Ablehnung zugleich ausdrückte. Wieder klingelte das Telefon, Wampenplautze zerquetschte den Hörer beinahe als er den grünen Knopf betätigte. „Skripnik, wenn du hier noch einmal anrufst, nehme ich dich wegen Behinderung unserer Ermittlungen fest und schreib dann einen Leserbrief darüber, wie du dich hier nach dem Schützenfest eingepisst hast!“ Ruhe. Noch mehr Ruhe. Wampenplautze gab Pottmann mit einem abschätzigen Winken zu verstehen, dass er sich verziehen möge.


„Das ist ja eine nette Theorie, aber klingt doch ein wenig zu sehr nach einem Tatort mit dem Liefers.“ Winfried griff nach seinem Schalke-Kuli und kritzelte auf einem Notizblock herum. „Und wie sollen wir das beweisen?“ Er schüttelte heftig den Kopf, sodass die wenigen Haare an den Seiten lustlos hin und her schwangen. „Ne echt, toll. Danke für den Tipp. Ich rufe gleich bei den Forensikern an, die machen dann so coole Simulationen wie bei CSI und in 2 Stunden ist der Fall dann gelöst.“ Wütend drückte er den roten Knopf und nahm einen Schluck aus der Tasse, den er sogleich wieder ausspie. Kalter Kaffee.


Obwohl es so verdammt gut passte, hielt er die verwegene Theorie für ebenso unwahr wie verwegen. Dennoch wollte er ins Büro vom Chef. Neben dessen Tür klebte ein Eisenschild. „Dieter Mortuski- Leitung“ Mortuski war Ende 50 und wirkte wie Anfang 80. Seit einigen Jahren verbrachte er seine Freizeit hauptsächlich mit der Arbeit an seinen Memoiren, deren Spannungsgehalt sich wohl nicht hinter einem Rosamunde Pilcher Roman würde verstecken müssen. „Tach Diddi! Haste nen Moment?“ Mortuski saß hinter dem überdimensionierten Schreibtisch und sah dabei wie ein überforderter General aus, der eine aussichtslose Schlacht schlagen musste und dabei auch noch mit Alterswehwechen zu kämpfen hatte.

„Winnie, wie ist der Stand der Dinge? Der Skripnik droht schon mit einem Artikel, in dem er sich über unsere mangelnde Informationspolitik beschweren möchte.“

„Nichts Handfestes. Die Spuren sind dürftig. Ulli will den Polter befragen und die Hinweise von den Bekloppten kannste auch vergessen. Und wegen Skripnik. Ich halte es auch für dummes Zeug, aber der Koslowski meinte, dass der vielleicht dahinterstecken könnte.“

Mortuskis müdes Gesicht legte sich in Falten. „Winnie…“ Er suchte anscheinend nach den richtigen Worten, schüttelte aber nur sein Haupt. „Ja, ich weiß. Klingt wie aus nem schlechten Krimi. Aber er profitiert, das steht außer Frage.“ Mortuski nickte langsam und verständnisvoll, wie der Großvater, der sich die Beichte seines Enkels über einen Streich anhörte. „Das mag sein, ist aber so wahrscheinlich wie meine Teilnahme am Silvesterlauf in 10 Jahren. Der Polter wird damit auch nichts zu tun haben. Und richtige Konkurrenz hatte der Dudzek doch auch nicht, oder? Habt ihr da irgendwas rausgefunden? Dann gibt es aus meiner Sicht nur 2 Möglichkeiten. Entweder es war jemand, der auf geschäftlichem Gebiet Probleme gemacht hat. Oder es war keine von langer Hand geplante Tat. Vielleicht finden ja die externen Ermittler aus Dortmund was heraus.“ Genau. Gerade Dortmunder sollen uns hier auf die Sprünge helfen. „Und sprich mit dem Skripnik. Sach dem irgendwas. Ist mir auch echt egal, was. Aber auf meine Tage brauche ich nicht noch son Stress.“ Wampenplautze verließ das Büro, dessen Geruch ein wenig an das Pflegeheim im Süden erinnerte, wo er gelegentlich verirrte Senioren ablieferte. Nun wollte er kurz Skripnik über den Stand der Dinge informieren (Hinweise werden überprüft und den Rest kannste dir wie gewohnt aus den Schmierfingern saugen) und danach die externen Ermittler in Kenntnis setzen, die wohl noch vor der Mittagspause eintreffen sollten.


Die Blagen auf dem Spielplatz warfen sich feinste Beleidigungen zu, die man sonst nur im Vorfeld von Kneipenschlägereien oder spontanen Festnahmen zu hören bekam. Für Willie war dies zugleich pure Unterhaltung als auch Gewissheit über die Perspektivlosigkeit der heranwachsenden Köttenkinder. Aber das war ja auch nicht sein Problem, weshalb der unterhaltende Faktor klar im Vordergrund stand. Achim grinste, denn ein kleiner Jaust mit Superman-Shirt rief seiner nörgelnden Mutter zu, dass sie sich doch ins Knie ficken sollte und schubste dann einen anderen Bengel von der Schaukel. „Jetzt bin ich dran, du Mistgeburt!“ Keule nickte in tiefer Anerkennung und nahm einen Schluck Sangria aus dem Tetra-Pak. „Samma Willi, was wollte der Schnüffler eigentlich von dir?“ Koslowski hatte Willi mal wieder am Bahnhof angetroffen, wo die Ausbeute in letzter Zeit nicht der Rede wert war.

„Der hat wegen dem Dudzek gefragt. Ob wir irgendwas wissen oder so. Könnte doch sein, dass der Skripnik dahintersteckt. Der ist doch Leipzig Fan.“ Achim spuckte einen glibbrigen und tiefgelben Schwall Rotze auf den spärlichen Rasen vor der Bank, um seine Verachtung für die Fußballabteilung des Brauseherstellers zum Ausdruck zu bringen. „Jau… So viele Eier kann der sich gar nicht wachsen lassen, um den umzulegen.“ Willi nickte kurz, nahm den Sangria entgegen und führte ihn zum Mund. „Mag sein, trotzdem gefällt es mir nicht, dass hier jemand rumrennt, der nem Kerl wie Dudzek ne Pulle in den Hals rammt.“ Die Augen richteten sich auf den Boden. Willi reichte den Trunk an Achim, der etwas rote Flüssigkeit ausschüttete und dabei in den farblich schwer definierbaren Himmel blickte. „Auf Stummel.“, sagten Keule und Willi mit gebrochener Stimme.


Besonders die Nächte waren keine Freude und das hatte wenig mit der Witterung zu tun, die zwar nicht immer angenehm, doch mit Erfahrung durchaus zu bewältigen war. Die Übergriffe hingegen nahmen zu. Wenn die hackevollen Arschlöcher nachts nach Hause torkelten, weil sie aus dem Kraftwerk geschmissen wurden, waren irgendwelche Penner ein gutes Mittel, um Frust abzubauen, denn der Türsteher war den meisten selbst im Suff ne Nummer zu riskant. Hier und da gab es Tritte, die wenigen Brocken wurden geklaut oder kaputt gemacht. Die Worte verletzten kaum noch, da halfen Korn, Kümmerling und die anderen Kollegen aus dem Schnapsregal. Seitdem Stummel von zwei völlig zugedröhnten Kerlen ins Krankenhaus geprügelt worden war, wo er an inneren Verletzungen verreckte, lag ein undurchdringbarer Schatten über den Nächten.

Die drei Berufsbettler saßen auf den eisernen Bänken, die so komfortabel waren, wie sie aussahen. Über die instandgesetzte Brücke marschierte Sebastian Polter, flankiert von zwei Klischeedealern. Die Rübe hatte sich Polter seit Jahren kahl rasiert, was nichts mit irgendeiner politischen Gesinnung zu tun hatte (beides Wörter, die in seinem aktiven Wortschatz fehlten) oder ihn gefährlich aussehen lassen sollte, was es aber tat. Er sah mit Anfang 20 schon wie ein „Vorher-Model“ für eine Haartransplantationswerbung in einer Boulevardzeitschrift aus und konnte nicht jeden vermöbeln, der ihn deswegen einen Spruch drückte. Er trug ein hauteng anliegendes Longsleeve, unter dem sich Muskeln abzeichneten, die er mit Training und einigen Zusatzmittelchen erarbeitet hatte. Das goldene Kettchen lag ebenfalls eine Spur zu eng am Hals an, dessen Umfang beinahe einem kleinen Baum glich. Er gab den Mitläufern zu verstehen, dass sie an dem zugemüllten Brunnen ausharren sollten, und näherte sich Willis Gruppe.


„Tach Männer! Habt ihr nen Moment für mich?“ Satzbautechnisch handelte es sich um eine Frage, die jedoch rhetorischer Natur war, denn Polter schlug man keine Bitte aus. Im Gegensatz zu den meisten Werlern hatte Willi aber keine Angst vor dem menschlichen Schrank. Als Polter noch jugendlicher Kleinkrimineller war, spielte er bei den Preußen und Willi war Betreuer in dessen Truppe. Talent hatte er so viel, wie gerade Haare auf der Rübe. „Basti! Das mit deinem Cousin tut uns leid. Was können wir für dich tun?“, begrüßte ihn Willi. Polter steckte sich eine dünne Zigarette an, deren parfümierter Duft penetrant in die Nasen wehte. „Danke Willi. Ich fasse mich kurz. Wenn ihr irgendwas wisst oder hört, dann sagt mir Bescheid. Die Bullen bekommen den Hurensohn ja eh nicht.“ Die Wahrscheinlichkeit eines Ermittlungserfolges ähnelte dem eines Lottogewinns, da waren sich alle Anwesenden ziemlich einig.

Harry kehrte vom Pfandwegbringen zurück und stieß zur Gruppe, die sich im unverfänglichen Smalltalk übte. Polter nickte kurz, schnipste seine Kippe auf den Boden und wollte sich gerade verabschieden, als Harrys Birne rot anlief. „Bist du noch ganz dicht, du Riesenbaby?! Heb die scheiß Kippe auf und verpiss dich!“ Bevor Polters Kopf irgendeine Entgegnung formulieren konnte, reagierte seine rechte Faust und übernahm die Antwort. Mit mächtig Wumms schnellte sie vor die knirschende Nase Harrys, die beim Sinken gen Boden bereits Bluttropfen aussprühte. Harry musste schon einiges intus gehabt haben, denn er konnte seine Fresse einfach nicht halten. „Hauen tust du auch wie ein Riesenbaby.“, spottete er, während das Blut aus der offensichtlich gebrochenen Nase rann. „Basti, lass gut sein und hau jetzt besser ab. Wenn wir was hören, melde ich mich.“, funkte Willi dazwischen. Ansonsten hätte Harry wohl noch einen Nachschlag bekommen. Mit breit ausgefächerten Armen verließ Sebastian Polter die Schaltzentrale der Obdachlosen.


Zuhause war Polter nicht anzutreffen und auf der Arbeit bei Standard hieß es nur, dass er sich für die Woche krankgemeldet hätte. Pottmann und Tim (der wird nie wichtig genug werden, um einen Nachnamen zu erhalten) gingen also weiter auf die Suche nach Sebastian Polter. An der Galle machten sie kurz Halt und fragten Jochen, der schon eifrig Gläser polierte, ob dieser vielleicht irgendeine Ahnung hätte. „Ja klar. Der kommt in ner halben Stunde und bringt mir meine Ration Koks für die Woche. Hier nehmt mal nen Kaffee und dann guckt ihr mal schön weiter.“ Tim lehnte dankend ab, denn Kaffee war nicht so seins. Pottmann gönnte sich ein Tässchen aus der Thermoskanne. „Trotzdem danke. Und Jochen, wenn Winnie mal vorbeikommen sollte, pass auf, dass der nicht zu viel säuft.“ Der Kneipier schüttelte sein bemütztes Haupt und erwiderte: „Erst soll ich deine Arbeit machen und dann auch noch Kindermädchen für Wampe spielen? Junge, Junge… Sieh zu, dass du wegkommst und den Polter dingfest machst. Der steckt doch eh dahinter.“


Zwar verbrachte der gesuchte Ticker während seiner jungen Jahre nur wenig Zeit im Klassenzimmer, doch seine berufliche Karriere führte ihn öfters zum Schulzentrum, weshalb die Beamten auf dem Parkplatz der Sekundarschule hielten. Sie gingen zum Hauptgebäude der ehemaligen Fröbse und sahen Polter tatsächlich auf dem Basketballplatz mit einigen anderen Gesellen, denen man die Fingerfertigkeiten beim Drehen von Tabakwaren schon vom Weiten ansah. Ruhigen Schrittes näherten sie sich der Gruppe, die anscheinend in ein informelles Gespräch vertieft war.


„Polter!“, rief Pottmann, der sich nicht ganz sicher war, wie er weiter verfahren sollte. Der Gerufene drehte sich um und seine Mimik verriet nicht genau, ob er stinkesauer oder einfach nur genervt war. „Gut, dass wir dich auch mal endlich finden. So krank siehste übrigens gar nicht aus. Wir wollen mit dir reden.“ Die anderen Typen gingen einige Schritte zurück, wahrscheinlich hatte jeder etwas in der Tasche, was nicht für die trüben Augen des Gesetzes bestimmt war. Polter fixierte Pottmann mit seinen dunkelbraunen Augen. „Ulli, nerv mich nicht. Der Penner hat darum gebettelt und es nicht anders verdient.“


Pottmann konnte seinen Ohren kaum glauben. Manchmal war es doch so einfach, wie man dachte. Mordfall gelöst, quasi im Alleingang. Beförderung, mehr Kohle, fetter Bericht im Anzeiger und so weiter. Er durfte jetzt bloß nicht die Ruhe verlieren. „Hör mal Sebastian. Ich will dir gar nichts, wir kriegen das schon hin. Aber lass uns bitte auf der Wache reden und nicht vor deinen Kollegen hier. Und ihr tut mal bitte nicht so nervös, es interessiert mich nicht, was ihr in euren Taschen habt.“ Polter nickte seinen Schoßhündchen zu und folgte den Beamten. Er wusste nicht, dass der Dicke und der Nachnamenlose noch gar nicht über die gebrochene Nase Harrys Bescheid wussten und rechnete dementsprechend mir einer kurzen Aufnahme seiner Aussage. Harry erzählte der Ärztin derweil, dass er gestolpert und vor eine Laterne gelaufen sei. Bei dem Blutalkoholspiegel (1,72) konnte dies natürlich passieren. Pottmann war sich seiner Sache wiederum so gewiss, dass er sich schon Schlagzeilen ausmalte.

Werler können wieder ruhig schlafen. Herausragende Arbeit von Ulrich Pottmann.




-7-

Definiere Super-GAU


Es war erst früher Nachmittag und die Pizza von Guiseppe lag Koslowski schwer im Magen, wo sie sich zu den ziellosen Gedanken um den Mord an Maxim Dudzek gesellte. Der Pizzabäcker gab dem Schnüffler zu bedenken, dass er sich doch eher um seine Profession kümmern sollte. Außerdem würde eh der Polter dahinterstecken. Nett gemeint, aber das brachte ihn auch nicht weiter. Das Telefonat mit Wampenplautze trug ebenfalls zu seiner trüben Laune bei.


Da seine Profession heute keine Aufmerksamkeit mehr benötigte (ein Fremdgänger würde erst nächste Woche wieder in Werl sein, wo ihn Koslowski wohl auf frischer Tat ertappen könnte), entschied er sich zu einem Besuch bei Jochen in der Galle. Vor Woolworth gab er Achim 2 Euro, der sich mit einem wortlosen Nicken bedankte. Olga brachte dem Schweigemönch unter den Pfandsammlern noch eine Wurst im Brötchen und lächelte dabei ihr ewig optimistisch gutmütiges Lächeln. Die ist zu gut für Werl…


„Tach Peter! Ist noch etwas früh, oder?“ Koslowski schüttelte nur den Kopf und setzte sich an die Theke. Er hob Zeige- und Mittelfinger hoch. Jochen zapfte ein frisches Pils und griff unter dem Tresen nach einer Flasche ohne Etikett, schraubte sie fingerfertig auf und goss den klaren Inhalt in ein Schnapsglas. Koslowski nahm das Miniaturgefäß, schüttete sich den Selbstgebrannten in den Rachen, verzog kurz das Gesicht und kippte mit Bier nach. Jochen kannte seine Kunden, weshalb er den Schnüffler erst einmal austrinken ließ.


„So, jetzt haste deine Medizin gehabt. Was ist los?“ Koslowski blickte in das leere Gläschen und fixierte anschließend den Kneipier.

„Eigentlich ist nichts.“

„Peter, es ist viertel vor 3 und du säufst hier selbstgebrannten Wacholder. Sag was los ist oder zieh Leine!“ Jochen zeigte in Richtung Tür und schien es ernst zu meinen.

„Jetzt komm mal runter! Das mit dem Dudzek krieg ich einfach nicht aus der Birne. Das letzte Schwerverbrechen war der Diebstahl von Kupferkabeln an der Baustelle im Sportpark und jetzt das.“ Jochen nickte, sein hellgrauer Pferdeschwanz wippte dabei auf und ab. Koslowski konnte sich ein Lachen gerade noch so verkneifen.

„Haste es noch nicht mitbekommen? Sieht aus, als ob es der Polter war. Habe ich die ganze Zeit gesagt!“ Er zog seine spärlich behaarten Augenbrauen hoch und wirkte ein wenig wie Koslowskis alter Deutschlehrer, wenn der mal wieder ein falsch gesetztes Komma kommentierte. Er präsentierte sein betagtes Smartphone, in dessen Browser die Homepage des Anzeigers aufgerufen war. Polter dringend tatverdächtig! Befragung läuft an. Nähere Infos folgen! Koslowski exte das Bier und orderte Nachschub.

„Niemals! Jochen, das steht im Anzeiger. Da würde ich eher glauben, dass es der Skripnik selbst getan hat.“ Er entnahm seiner Schachtel eine Menthol und schaute Jochen mitleidig an, während dieser das neue Glas platzierte und einen Strich auf den Deckel kritzelte.

„Ausnahmsweise. Die Bullen haben jetzt eh was anderes zu tun.“ Ein gläserner Aschenbecher mit geplatztem Rand kam ruckelnd zum Stehen und Koslowski zog ihn zu sich heran.

„Wenn Skripnik sowas zustande brächte, würde ich den Anzeiger auf Lebenszeit abonnieren. Hab dir doch schon immer gesagt, dass du das Gekiffe sein lassen sollst, Peter. Da kommt man nur auf krumme Gedanken und packt am Ende noch sein Meerschweinchen in die Mikrowelle.“ Koslowski ließ den minzigen Qualm aus seiner Nase entweichen.

„Ich hab kein Meerschweinchen. Aber der Polter war es trotzdem nicht!“


Sag dem Skripnik was… Danke Dieter! Wampenplautze hätte Mortuski am liebsten vor seine Karre geschissen oder dessen schnarchigen Memoiren in die Kaffeemaschine gestopft. Er verließ die Wache und verfluchte seinen Chef. Eigentlich hatte er noch nicht Feierabend, aber im Moment war es besser so.


Mit Schwindelgefühlen ging er die Bahnhofstraße herunter und nahm nicht viel wahr außer dem tierischen Drang nach einer Zigarette. Er überlegte kurz, ob ein kleiner Spaziergang im Kurpark ihn auf andere Gedanken bringen könnte und kam zu dem Schluss, dass dies tatsächlich ein guter Einfall war. Wampenplautze nutzte die Ablenkung im Schatten der Bäume, ging auf kürzestem Weg wieder aus dem Naherholungsgebiet heraus und überquerte die Straße.

„Winfried! Was machst du denn hier?!“, raunte Jochen, als der stämmige Ordnungshüter die Galle betrat. Koslowski wollte seine Zigarette schnell ausdrücken, doch Wampenplautze winkte ab.

„Korn mit nem Schuss Cola. Und nen kleinen Wacholder zum Warmwerden.“ Jochen zögerte kurz. „Jetzt mach feddich da!“

Völlig überrumpelt machte sich der Herrscher der Galle an die Arbeit und murmelte vor sich hin. „Was ist hier heute eigentlich los? Nur Dulle…“

Trotz seiner stattlichen Statur wirkte Winfried Wampenplautze wie ein kleiner Jaust, der nach einer versauten Mathearbeit vor seinem Vater saß und zwischen Geständnis und dem Recht zu schweigen pendelte. Still exte er den Wacholder. „Peter, gib ma bitte ne Kippe.“ Koslowski zögerte. „Jetzt mach feddich da!“ Leicht zittrig griff er nach einer Menthol und gab sie seinem Sitznachbarn.

„Winfried, tu mir bitte einen Gefallen. Kannst du mir verdammt nochmal verraten, was hier eigentlich los ist? Ich würde ja die Bullen rufen, aber die scheinen ja alle einen an der Waffel zu haben gerade!“ Die Antwort bestand zunächst aus einem kleinen Hustenanfall, der aber wieder schnell unter Kontrolle war.

„Mentholkippen habe ich schon immer gehasst. Was soll schon los sein? Wir haben uns bis auf die Knochen blamiert und das ist noch nett gesagt. Beim Anzeiger steht es noch nicht, aber die werden sich ihre schmierigen Pfoten reiben.“

„Also war es nicht der Polter…“, Koslowski drückte seine Zigarette aus; „Und soweit ich weiß, sollst du überhaupt nicht rauchen, Winfried.“


Während er tüchtig pichelte, brachte Wampenplautze die beiden Zuhörer auf den Stand der Dinge. Pottmann kam zusammen mit Tim (Wampenplautze vergaß ständig den Nachnamen des jungen Polizisten) und Polter an der Wache an. Aufgeplustert wie ein Hahn auf der Balz und mit Rasiermessern unter den triefenden Achseln. Die Information über die Befragung von Polter wurde an den Anzeiger weitergeleitet, die daraus einen dringenden Tatverdacht fabulierte. Pottmann sollte eigentlich die Ankunft der Experten aus Dortmund abwarten, war aber so fickerig, dass er Polter in die Mangel nehmen wollte, da dieser sich verplappert hätte. Wenn Ulli Pottmann Lunte gerochen hatte, half auch kein gutes Zureden mehr.


„Tja, was soll ich sagen?“, seufzte Wampenplautze schwermütig. „Hat sich rausgestellt, dass der Polter im Kurpark dem Harry eins auf die Nase gegeben und nicht seinen Cousin mit der Flasche über den Jordan geschickt hat…“ Koslowski fasste sich an die Stirn und nahm einen tiefen Schluck von seinem vierten Bier. Auch Jochen war derweil vom Ausschenken zum Konsumieren übergegangen und nippte an einem trockenen Rotwein, den er sich in eine Biertulpe gekippt hatte. Danach ging er zur Tür und hing das „Geschlossen“-Schild auf.


„Und was ist jetzt?“ wollte Koslowski wissen, der schon die nächste Kippe glühend zwischen den Zähnen hatte. Wachtmeister Winfried Wampenplautze durchlief etliche Gefühlsstationen in wenigen Augenblicken. Zunächst blickte er auf den Tresen, schlug sich anschließend die flache Hand vor die perlende Stirn und schüttelte heftig mit seinem Kopf. Darauf folgte ein Lachen, welches Koslowski an die Interpretation Jokers von Joaquin Phoenix erinnerte. Vielleicht eine Spur wahnsinniger. „Ich bin seit über 20 Jahren Bulle in dieser verkackten Stadt. Meine Olle lässt sich gerade wahrscheinlich in Dortmund von so nem Jungspund mit rasierter Arschfalte knallen, aber das kannste echt keinem erzählen.“

„Erzähl.“, meinte Jochen, der sich Wein nachschenkte.

„Ich erspar euch mal die Details, aber Pottmann kann der Sache mit Harry jetzt an Ort und Stelle nachgehen. Polter hat ihm im Verlauf der Befragung das Nasenbein zertrümmert.“

Jochen und Koslowski brachen in ein Gelächter aus, als ob der Wachtmeister gerade den Witz des Jahrtausends rausgehauen hätte. Dem ungewollten Komiker war aber nicht nach guter Laune. „Jaja, lacht ihr mal. Peter, wie ich hörte schnüffelst du jetzt schon kackenden Kötern hinterher? Und du Jochen… ach was, ihr habt ja Recht.“


Die Biere und vor allem der Wacholder lösten Wampenplautzes Zunge. Er redete sich den Frust in zunehmend lallender Weise von der Seele. Die beiden Ermittler aus Dortmund trafen ein, als Pottmann bereits zur Versorgung im Marienkrankenhaus weilte. Polter saß vorläufig hinter Gittern, würde aber im Laufe des Tages wieder frische Werler Luft atmen können.

Mortuski berief ihn direkt nach dem Vorfall in sein Büro, wo die Externen bereits mit verschränkten Armen auf ihn warteten, oder eher lauerten. Der eine stellte sich als Rüdiger Berger vor und gehörte zu diesen junggebliebenen Kerlen, für die man sich als Sohn oder Tochter bei etlichen Anlässen schämte. Jedenfalls vermutete Wampenplautze das, als er dessen löchrige Jeans erblickte. Daneben saß Gökhan Demir, vielleicht Anfang 30 mit einem akkurat getrimmten Bart und der Ausstrahlung eines Ermittlers, der in seinen ersten Jahren wohl oft als Zivi ran gedurft hatte.


„Da habt ihr aber einen ordentlichen Haufen Scheiße gebaut.“, legte Berger los. „Und dann vergessen abzuziehen.“ Er schmunzelte, als ob seine Bemerkung in irgendeiner Parallelwelt lustig gewesen wäre, was Wampenplautzes Meinung weiter verfestigte. Demir übernahm die Gesprächsführung, denn er schien zu merken, dass die Spannung im Raum nicht gerade förderlich war. „Das stimmt, aber nun ist das Kind im Brunnen.“ Wampe nickte stumm und biss sich fest auf die Kauleisten. „Der Polter war es nicht und euer Schmierblatt hat ihn öffentlich bereits als Täter präsentiert?“ Der Skripnik würde sich rauswinden, wie eine eingeölte Schlange, denn es war nur von dringendem Tatverdacht die Rede, aber wie das bei den Kötten hier ankam, stand außer Frage.


Berger scharrte mit den Hufen, doch Demir ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Zunächst veranlassen wir die Pisser zu einer Richtigstellung. Du kümmerst dich darum, sobald wir hier fertig sind. Wir haben hier einige unserer Akten dabei, die etwas Licht in die Sache bringen könnten.“ Er blätterte in einer schmalen Mappe und legte einige getackerte Berichte auf den Tisch, sodass Mortuski und Wampenplautze einen Blick darauf werfen konnten. „Bevor ihr jetzt ihr ne halbe Stunde lesen müsst, fasse ich es gerne zusammen.“ Bergers Tonfall hatte nicht nur eine Spur von Arroganz, sondern begann schon fast zu triefen. „Der Dudzek war auch in Dortmund kein Unbekannter. Mit einem Schrotthändler namens Fritz Tauchert, besser bekannt als FOTZE verschob er nicht unerhebliche Mengen von Diebesgut. Autos, Fernseher, gefälschte Brocken und son Zeugs. Seit wir Fotze etwas mehr auf die Finger gucken, sind seine Aktivitäten zurückhaltender geworden.“ Son Quatsch…Als ob irgendwelche Hehlervögel aus der hässlichen Stadt hier runterkommen, um dem Dudzek in aller Öffentlichkeit ne Pulle in den Hals zu rammen.

„Aus den vorliegenden Chatverläufen wird deutlich, dass Dudzek letzte Woche eine Lieferung mit Autoteilen schuldig geblieben ist.“ Demir lächelte und entblößte dabei Zähne, die bei der richtigen Sonneneinstrahlung wohl blenden würden. „Natürlich ist es nicht als Beweis tauglich, weil die in codierter Weise miteinander geschrieben haben, aber das verschafft uns immerhin ein Motiv.“ Berger räusperte sich und beugte sich nach vorne. „Bis zu einem Motiv seid ihr mit eurem Rumeiern bisher noch nicht gekommen, oder?“ Jetzt ist aber auch mal gut.

Wampenplautze hatte die Schnauze voll. „Ich ruf jetzt den Skripnik an und mach dann Feierabend.“ Mortuski traute seinen behaarten Ohren nicht und schüttelte überrascht den Kopf. „Ihr Experten habt doch überhaupt keine Ahnung. Wenn das diese Fotze oder der Fotze? war, dann werde ich Mitglied bei den Zecken und schlaf in schwarz-gelber Bettwäsche. Guckt ihr mal bei euch, ob der Fotzenkerl was damit zu tun hatte, aber ich weiß, dass es ein Werler war. Ne richtige Kötte! Ich geh mir jetzt einen saufen, mehr können wir hier doch eh nicht!“

Wie gelähmt betrachteten Demir, Berger und der völlig perplexe Mortuski, wie Wampenplautze die Tür hinter sich zu knallte und mit stampfenden Schritten über den Flur in Richtung Ausgang marschierte.


Und Wampenplautze hatte gesoffen. Mittlerweile war es schon nach 21 Uhr, die Galle roch nach Mentholzigaretten und der Polizist ließ sich ein Taxi rufen. Jochen hatte das Schild an der Tür im Verlauf des Abends nicht wieder herumgedreht, sodass die drei eine geschlossene Gesellschaft bildeten. Koslowski verabschiedete sich ebenfalls, wollte aber noch nicht nach Hause. Er wollte noch einen abendlichen Spaziergang machen, um einen klaren Kopf zu bekommen und dann im Büro schlafen.


Jochen räumte sein Reich noch ein wenig auf und gönnte sich einen Gin, den er seinen Kunden nicht anbot, da er für den Werler Gaumen zu fein war. Während aus der Stereo-Anlage klassischer Rock dröhnte, besuchte er noch einmal die Homepage des Anzeigers.


Polter attackiert Beamte. Laut Polizeiangaben habe er aber nichts mit der Mordtat an Dudzek zu tun gehabt. Wir bleiben an der Sache dran. Morgen zum Frühstück gibt es ein ausführliches Update mit den neuesten Erkenntnissen!



-8-

Tampons in Altkleidern


Koslowski öffnete seine verklebten Augen. Er lag auf dem Sofa, der Rücken sendete jammernde Signale des Schmerzes in Richtung Hirn, das mit dem Kater aber schon reichlich Beschäftigung hatte. Es war noch früh morgens, doch das unbequeme Lager erübrigte Gedanken an weiteren Schlaf. Koslowski ging auf den Balkon und schaute sich das morgendliche Treiben in der Fußgängerzone an, während er an der obligatorischen Menthol zog.


„Ich ficke dein verficktes Leben und deine dumme Nuttenmutter!“, brüllte Kimberly Fuchs und rotzte dabei einen Schwall milchiger Rotze in Richtung eines Jugendlichen, der vor DM in sein Handy starrte und dringend einen Gürtel für seine Hose zu brauchen schien. „Ich rede mit dir oder bist du behindert, du dumme Schwuchtel!“, führte Kimberly weiter aus. Das schien dem jungen Mann mit der schlichten weißen Jacke und der goldenen Kette um den glatt rasierten Hals nicht sonderlich zu gefallen. Er ging mit großen Schritten auf die zierliche Gestalt zu und brüllte dabei: „Verpiss dich, sonst versohl ich deinen dürren Drogenarsch hier vor allen Leuten! Hau ab, ich schwör, ich bring dich um!“


Koslowski drückte seine Zigarette aus und wusste, dass es sich jetzt entscheiden würde. Entweder würde Kimberly nun die Zeichen erkennen oder ein Großaufgebot von Uniformierten würde in einigen Minuten die Fußgängerzone bevölkern. Sie rotzte nochmals in die Richtung des Jünglings und zog dann fluchend von dannen. Ein klassischer Auftakt für einen Tag in Werl.

Die gestrige Meldung über den dringend tatverdächtigen Sebastian Polter möchten wir an dieser Stelle korrigieren. Es handelte sich lediglich um eine informelle Befragung.

Wampenplautze fragte sich, in welcher Schriftgröße die Schreiberlinge diesen kleinen Satz auf der vorletzten Seite verfasst hatten, denn er musste schon sehr genau hinschauen, um diese Korrektur zu erkennen. Egal, Skripnik hatte damit seine Schuldigkeit getan und konnte weiter wilde Spekulationen unters Volk mischen.


Bei Mortuski durfte er sich vorhin den Anschiss seines nicht gerade kurzen Lebens abholen, doch ging es ihm weiter am Arsch vorbei, als er es befürchtete. Berger und Demir hörten sich im Umfeld der Imbissbude Dönermann um. Wampenplautze wollte sich in der Stadt einen starken Kaffee mit Koffein gönnen und dann kurz zu Pottmann, der mit dickem Verband aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Der Kaffee von Hünnies brachte seinen üppigen Bauch zum Rumoren, doch der war nach dem gestrigen Besäufnis einfach notwendig. Zu Fuß machte er sich auf den Weg zu Pottmann, der nahe Kaufland in einer Mietwohnung krankfeierte.

„Wampe! Komm doch rein.“ Warum ist der so gut gelaunt? Winfried nahm auf dem zeitlos hässlichen Sofa mit aufgedruckten Figuren aus der Geometrie Platz und atmete erst einmal durch. Er wollte es nicht zulassen, dass zwei dahergelaufene Möchtegern-Sherlocks aus der verbotenen Stadt hier den Fall aufklären würden und die Werler Polizei wie ein Haufen grenzdebiler Nichtskönner dasteht. Darum wollte er mit seinem Kollegen noch einmal überlegen, was sie übersehen haben konnten.


„Wie geht es Dir eigentlich? Ganz schön dämlich gelaufen, ne?“, wollte Wampenplautze in seiner gewohnt sensiblen Art wissen.

Ulli Pottmann setzte sich auf den Sessel, das kaum durchgesessener hätte aussehen können. „Kehr halt doch die Schnauze! Ich war mir eben sicher und der Polter ist doch auch dulle. Mit der Nase ist schon okay. Hätte eigentlich auch arbeiten können, hatte aber keinen Bock. Kaffee? Wasser? Schnaps?“ Ein Schnaps wäre jetzt angebracht, aber angesichts des gestrigen Besäufnisses wäre es jetzt nicht die beste Idee. Er schüttelte seinen Kopf und beugte seinen massigen Körper nach vorne.

Ulli, was haben wir übersehen? Du warst doch als erstes am Tatort.“ Pottmann runzelte die Stirn. „Nix. Alles nach Lehrbuch. Ich hab mir nichts vorzuwerfen!

Mann, was bist du für ein Hampelmann! Ich will dir doch gar nichts! Wenn die Kackdortmunder den Fall aufklären, dann geh ich in Rente. Gib mir doch nen Schnaps.

Pottmann erhob sich umständlich, keuchte dabei angestrengt und kam nach einer Minute mit einer Flasche Korn und der guten Cola aus dem Hause Kaufland wieder ins Wohnzimmer. Er mischte 2 nach Kleber duftende Getränke zusammen und die beiden stießen an.

Was ist eigentlich mit diesen Altkleiderdingern?“, wollte Wampenplautze wissen. „Was soll mit denen sein? Da entsorgen die Schlauberger ihren Schrott und vollgeschissene Windeln.“ Beide leerten ihre Gläser und blickten sich unsicher an. „Meinst du, dass da irgendwas drin wäre, was interessant sein könnte?“, fragte Pottmann, der schon leicht lallte. Schmerztabletten und Billigfusel… „Wer weiß? Ich geh ma gucken.


Als er das Treppenhaus hinunterging, schwanke Wampenplautze kurz, was er auf die Plörre schob, die sein Kollege in dreister Gastunfreundlichkeit eingeschenkt hatte. Eiligen Schrittes marschierte er in Richtung Penny Markt und ignorierte dabei die hupenden Autos.

Vor dem Altkleidercontainer lagen etwas Schrott, eine Matratze mit Flecken in den Farbtönen bräunlich bis gelblich und ein Stapel Altpapier. Wampenplautze konnte keine regelmäßigen Leerungszeiten auf dem Behälter erkennen und rief deshalb die Hotline an, unter der einige Pimmel gesprüht waren.


Wenig befriedigend und erbaulich fluchte sich der Wachtmeister durch die Ebenen der automatisierten Anrufbeantworter, bis er nach fast 5 Minuten endlich ein menschliches Gegenüber an der Strippe hatte. „Ach, ihr habt auch echte Mitarbeiter! Tolle Sache. Fasse mich kurz, Polizei in Werl hier am Hörer. Wann wurde der Altkleiderkasten beim Penny zuletzt geleert?Vielen Dank. Tschö.


Koslowski vertrat sich ein wenig die verkaterten Beine und hatte dabei mit sich ankündigenden Krämpfen zu kämpfen. Es war zwar noch nicht die Zeit für ein anständiges Mittagessen, aber das Frühstück hatte er verpennt. Deshalb gönnte er sich eine Portion Fritten bei Olga, die ihn mitleidig beäugte. „Bisschen viel getrunken, Peter?“ Koslowski nickte. „Dann nimm dir noch ne Cola und tu dir die Ruhe an.Echt zu gut für Werl, die Frau…


Fett und Zucker brachten wieder eine Spur von Leben in den geplagten Leib des Schnüfflers. Für Werler unüblich schmiss er die Pappschale in den Mülleimer und machte sich auf den Weg in den Kurpark. Sebastian Polter kam ihm entgegen. Rote Birne und den Ausdruck eines menschlichen Vulkans im Gesicht, der kurz vor der Eruption steht. Koslowski grüßte, doch Polter ging einfach vorbei und murmelte dabei Den mache ich fertig, den Wichser. Breche ihm die verkackten Finger. Nie wieder schreibt der was. Koslowski kombinierte im Stile seines fiktiven Kollegen aus der Baker Street, dass Florian Skripnik wohl gleich Besuch bekommen würde und stellte sich vor, wie Sebastian Polter ihm eine Tastatur durch das Gesicht zog und mit einem gezielten Tritt Rühreier produzierte. Schmunzelnd passierte er den Eingang zum Kurpark und wich dabei einigen formschönen Hundehaufen aus.


An der Saline saßen Willi und Achim. Koslowski steckte sich eine Menthol an und näherte sich den beiden. „Wo ist denn der Rest von euch?“ Willis Züge waren ernst, entspannten sich und wechselten wieder zu einer Ernsthaftigkeit, die er sonst nur an den Tag legte, wenn es um Stummel ging. „Keule versucht gerade Harry zu beruhigen. Der hat vorhin schon wieder fast was auf die Fresse bekommen. So ein Schrank hat den Hundehaufen von seinem kleinen Handtaschenhund liegen lassen. Harry wollte ihn zur Rede stellen und ist dabei etwas über das Ziel hinausgeschossen. Keule konnte gerade noch dazwischen gehen.

Koslowski ließ den minzigen Qualm aus der Nase entweichen und unterdrückte einen Hustenanfall. „Der ist ja schon seit ein paar Wochen ganz schön daneben.“, stellte Peter fest und drückte die Kippe auf dem Mülleimer aus. „Der muss zu nem Kopfdoktor, das ist nicht mehr normal.“ Willi schaute überrascht, denn Achim sprach eigentlich nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Die drei einigten sich darauf, dass sie mit Harry sprechen wollten, sobald der sich wieder eingekriegt hatte. Vielleicht sollte sich das wirklich mal ein studierter Kittelträger angucken.


Der Inhalt des Altkleidercontainers war eine bunte Mischung aus allerlei Müll, verschmutzten Stoffresten und Kleidung, die selbst als Neuware wenig hermachte. Wampenplautze hatte dicke Arbeitshandschuhe an, während er in dem stinkenden Haufen wühlte. Kotbeutel, echt jetzt?! Er schob einige Tampons und einen zerrissenen Koffer an die Seite. Eine Jacke, mächtig abgetragen und mit dunkelroten, fast braunen Flecken lag zwischen einem Toaster und einem Paar Sportschuhen. Wampenplautze griff zum Hörer und informierte die Wache über seinen Fund.


Das Ergebnis der Laboruntersuchung musste der Wachtmeister nicht abwarten, denn die Jacke kannte er. Und den ehemaligen Besitzer des verschlissenen Kleidungsstücks kannte er ebenfalls.


Frontalllappenwatt?!“, wollte Willi wissen. Wampenplautze saß am Teich im Kurpark und nahm einen Schluck aus dem Tetra-Pak des Pfandsammlers. „Willi, der Arzt hat gemeint, dass kehr wie soll ich das jetzt erklären?! Harry hat so ne Störung in der Birne. Der kann sich nicht kontrollieren und rastet dann einfach wegen Kleinigkeiten aus. Da ist so ne Schwellung und deshalb war der auch so komisch in letzter Zeit.“ „Wie geht es denn jetzt weiter?“ Wampenplautze erläuterte das Vorgehen. Wahrscheinlich würde Harry in einer Klinik landen, wo weitere Untersuchungen vorgenommen werden sollten. Wenn er Glück hatte, konnte man den Scheiß operativ behandeln. Ob er dann im Bau landen würde, war noch unklar.

Den Bericht über die Tat schrieb Florian Skripnik nicht mehr, denn nach einem Besuch von Sebastian Polter musste er einige Tage im Krankenhaus verbringen. Auf eine Anzeige verzichtete er aber, denn Polter gab ihm zu verstehen, dass er ansonsten gerne nacharbeiten würde.


Allem Anschein nach hatte Maxim Dudzek in seiner letzten Nacht Grünglas im falschen Container entsorgt, was bei Harry für einen Kurzschluss sorgte. Somit war der Fall gelöst und die Werler konnten wieder beruhigt ihrem Leben nachgehen, sich im Supermarkt wild anpöbeln und ihren Müll im Altkleidercontainer entsorgen.


Epiwort


Und was ist nun die Moral von der Geschichte? Behandle die Obdachlosen gut, sonst stechen sie dich ab?! Kommst du nicht zum Ziel, lass dich erstmal in einer Kneipe volllaufen?! Sortiere Müll oder lebe mit den Konsequenzen?!


Naja, wir sind ja keine Märchenerzähler oder alte Griechen mit Hang zur Vermenschlichung von Tierwesen. Behandle deine Mitmenschen, wie es Olga Oblomow tun würde und sauf nicht zu viel durcheinander. Und bleib natürlich köttig!






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