Papierkram
- Werler Kötte

- 12. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Auch im Jahr 2025 ist eine Welt ohne Papier nicht vorstellbar. In Deutschland nimmt das faserige Produkt eine ganz spezielle Rolle ein. Ohne Papier würde hier nix laufen; höchstens aus dem Ruder.
Papier- Gedächtnis 2 go
Im Alltag wird Papier gerne beschrieben, um die Festplatte zwischen den Ohren zu entlasten. Auf kleine Notizzettel werden die geplanten Einkäufe aufgelistet. Karotten, Eisbergsalat, Humus, Vollkornbrot und Haferflocken. Dass letztlich Chips, Bier, Pommes und Fleischwurst samt Toastbrot im Korb landen, da kann ja das Zettelchen nichts für.

Im Büro wird noch schnell die Nummer des nervtötenden Kunden auf ein buntes Post-It gekritzelt, damit sich ein x-beliebiger Kollege mit dem Idioten befassen kann. In der heimischen Krimskramsschublade (Knöpfe, leere Batterien, Tesafilm, Briefmarken und abgelaufene Kopfschmerztabletten) lagert das Passwortbuch. Hier stehen alle wichtigen Zugangsdaten. Natürlich sind die jeweiligen Einträge mehrfach durchgestrichen und neu angelegt, denn manchmal verlegt man das wertvolle Büchlein halt bzw. ist zu faul, um es aus der überfüllten Schublade zu bergen.
Der kleine Bruder des Schildes
Wir Deutschen machen gerne auf alles Mögliche aufmerksam. Dazu nutzen wir beispielsweise Schilder. Unsere Öffentlichkeit ist mit allerlei Schildern zugepflastert. Das blecherne Hinweisen kostet aber auch ne Stange Geld. Im Kleinen nutzen wir papierne Schilder, um unseren Bedürfnissen, Aussagen oder Wünschen einen offiziellen Hauch zu verleihen. Profis laminieren die Werke zusätzlich ein, um noch mehr Autorität zu erzeugen.
An Briefkästen kleben Aufforderungen, das Einschmeißen von Reklame (gedruckte Werbespots) zu unterlassen. An die Windschutzscheibe des raumnehmenden SUVs hinterlassen wir einen liebevoll gestalteten Zettel, auf dem in Schönschrift steht „Hab dir die Karre zerkratzt! Wer so parkt, kann froh sein, dass ich die Reifen nicht aufgeschlitzt habe.“ Im Hausflur weisen wir auf unsere Geburtstagsfeier hin und bitten um Nachsicht bezüglich der zu erwartenden Lautstärke (das Erbrochene vor der Türe mal außer Acht gelassen). Allerdings laden derartige Hinterlassenschaften zum Dialog ein, was ja prinzipiell ne gute Sache ist. So kalligraphiert die Nachbarin unter die Information „ab 22 Uhr werden die Bullen gerufen, du linksgrünversiffter Gutmensch“.

Im Schaufenster der Pizzeria klebt ein handgeschriebener Zettel, auf dem in eiliger Schrift „nur Bargeld“ steht. Im Café wiederum ist in Plakatgröße „Geschlossene Gesellschaft“ zu lesen. An der Pforte zur Kneipe ist wiederum ein Blättchen angebracht, auf dem der durstige Malocher „bin kurz kacken“ lesen muss, um sich anschließend zu fragen, ob er sich nicht lieber daheim einen hinter die Binde kippen möchte. Nein, natürlich nicht, da wartet doch die Olle, die wieder nur meckern wird 😉
Hammse das schriftlich?
Ein mündlicher Vertrag ist rechtlich bindend, das weiß man. Doch ohne glaubwürdige Zeugen ist das gesprochene Wort im Zweifel wert- und nutzlos. Daher neigen wir dazu, alles schriftlich zu fixieren, was wir miteinander besprechen. Damit meine ich jedoch nicht die Handyverträge in Bibellänge, die Finanzierung für die Karre oder den Kassenzettel für die Filterkaffeemaschine.
Kassenzettel sind für uns unabhängig davon äußerst wichtig und erinnern uns an überlegte Anschaffungen. Sie werden gerahmt, einlaminiert, säuberlich in Schuhkartons gebettet oder in die Krimskramsschublade befördert. Man weiß ja nie, wann man das bedruckte Thermopapier gebrauchen kann.

Es geht beispielsweise um die scheinbar kleinen Dinge. „Hiermit bestätige ich, dass Herr Ochsenschwanz mir die Bohrmaschine in tadellosem Zustand überreicht hat. Ich trage dafür Sorge, dass diese bis zum 8.9.1971 zurückgegeben wird. Sollte die Funktionstüchtigkeit beeinträchtigt sein, verpflichte ich mich dazu, einen gleichwertigen Ersatz zu besorgen.“ Schön unterschrieben und zack hat man das Gefühl, ein geschäftemachender Geschäftemacher zu sein.
Beim Arzt muss man vor der Behandlung der juckenden Pickel am Arsch erst einmal die Datenschutzvereinbarung unterzeichnen. Datenschutz ist uns wichtig, weshalb wir in Wartezimmern grundsätzlich selektiv hören und daher nicht wahrnehmen, dass Herr Winkelpups von nebenan schon wieder Probleme mit dem Wasserlassen hat. Und selbst, wenn wir es unbeabsichtigt doch wahrnehmen, schweigen wir wie ein Grab, denn den drohenden Rechtsstreit möchten wir möglichst vermeiden.
Papier ist geduldig
Bekanntlich haben wir für alles Sprichwörter ( https://www.werler-koette.de/post/sprichw%C3%B6rter ). Papier ist geduldig, die (Schreib) Feder ist mächtiger als das Schwert. Damit kannste dir nicht einmal den Arsch abwischen. Das ist das Papier nicht wert, auf das es gedruckt wurde. Wir brauchen Papier wie die Luft zum Atmen.
Daheim notieren wir die ortsfremden Nummernschilder dieser Rostlauben, deren Fahrer pure Zwielichtigkeit ausstrahlen. Tonnenweise Zeitungen, Zeitschriften und andere Veröffentlichungen werden täglich in Briefkästen gestopft, um nach kurzem Überfliegen dem endlosen Recyclingzyklus zugeführt zu werden.
Wenn der Finanzberater irgendwelche Kurven und Grafiken auf einem Tablet präsentiert, kann man ihn nicht ernstnehmen. Kritzelt er im Beisein des Investitionswilligen hingegen Dollarzeichen auf ein Blatt, auf dessen oberen Ende ein Logo gedruckt wurde, ist die Unterschrift gewiss.
Der Betrieb von Bürgerbüros, Rathäusern und jedweden Institutionen ist ohne den Einsatz von Papier undenkbar. Anträge für eine größere Papiermülltonne, Formulare für das Aufstellen von Regalen, die genug Nutzlast für die Aktenberge eines deutschen Lebens aufweisen oder Mahnschreiben, die höflichst an die Bezahlung der in der Krimskramsschublade verborgenen Strafzettel erinnern. Schulen, die in Elternbriefen darauf hinweisen, dass man Toiletten auch aufsuchen kann, ohne diese wie den Schauplatz eines Tarantinofilms aussehen zu lassen. Ein Dasein ohne beschriebene oder bedruckte Baumleichen ist nicht darstellbar oder erstrebenswert.

Sollte der Tag jemals kommen, in dem die von mir beschriebenen Beobachtungen nicht mehr möglich sein sollten, weil alles digital oder anderweitig papierfrei vonstattenginge, wäre dies nicht mehr mein Deutschland. Als ich letztens ein Musikfestival besuchte, und das Ticket lediglich als QR Code auf dem Handy vorweisen konnte, ist ein Teil von mir gestorben, denn sicher ist sicher, weshalb jedes Ticket in ausgedruckter Form Platz in Klarsichthüllen zu finden hat. Es wird nicht wieder vorkommen. Das habt ihr hiermit schriftlich.




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