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  • AutorenbildWerler Kötte

Silvesterlauf

Das neue Jahr ist noch jung, dennoch blicken wir schon zurück. Vor langer Zeit haben wir uns bereits mit dem Thema Silvesterlauf beschäftigt und könnten den alten Text einfach kopieren, doch ist das Geschriebene schlechter gealtert als unser Chefredakteur.


Ende des Jahres


Wenn das Jahr zum röchelnden Schlussspurt ansetzt, decken sich die freiheitsliebenden Bürger mit knallenden und panzerbrechenden Utensilien ein, um den lästigen Wildtieren zu zeigen, wer die Krone der Schöpfung ist. Denn nur evolutionstechnisch überlegene Geschöpfe können weggesprengte Finger mit versierten und fundierten Techniken wieder an die entsprechenden Stellen tackern. Andere überprüfen betrübt ihre vergangenen Vorsätze und stellen fest, dass deren Umsetzung nicht so recht geklappt hat, weshalb der zerknitterte Zettel im Sinne der Nachhaltigkeit einfach für das neue Jahr wiederverwendet wird.


In Werl und Umgebung gibt es zum Ende eines jeden Jahres aber noch eine andere Sorte Mensch zu beobachten. Sportbegeisterte Selbstdarsteller, zu denen ich mich abgemildert auch zählen darf, treiben sich bei Wind und Wetter auf Feldwegen und vollgeschissenen Bürgersteigen herum. In hässlichen, äußerst unansehnlichen Sportklamotten, an denen Etiketten und Preisschilder baumeln, rennen sie torkelnd hechelnd durch die Gegend, damit sie für den Höhepunkt des Silvestertages bestmöglich vorbereitet sind. Es geht um den traditionellen Silvesterlauf, der bereits über 40-mal durchgeführt wurde. Im folgenden Text werde ich einige exemplarische Einsichten in das Ereignis geben, welches das Unmögliche möglich macht. Straßen werden für den motorisierten Verkehr gesperrt und Menschen bewältigen die Strecke von Werl nach Soest freiwillig per pedes.


Dem folgenden Text liegen persönliche Erfahrungen zugrunde, schließlich habe ich bereits an 9 Läufen teilgenommen. Beim ersten Mal war ich 15 Jahre alt (jaja, kicherkicher). Die Bestzeit beträgt 71 Minuten, welche auf Ewigkeit in Stein gemeißelt ist, da die letzten Teilnahmen nicht mehr von ehrgeizigen Ambitionen geprägt waren. Also rein in die muffigen Laufschuhe und auf zur Stadthalle.


Die Medaillen werden meist von lokalbezogenen Motiven aus Soest und Werl geziert.

Jährlich grüßt das Murmeltier


Dort, wo sonst ausgediente Komiker ihr Gnadenbrot verdienen, ist zu Silvester richtig was los. Denn der Silvesterlauf ist für alle gedacht, die sich freiwillig zu Fuß fortbewegen. Dabei muss man nicht zwangsläufig im Lauftempo unterwegs sein, da auch Wandern, Walking (Gehen, aber schneller als beim Wandern) und Nordic Walking (Nordisches Gehen- Skilaufen ohne Skier) auf dem Programm stehen.


Doch genug davon, widmen wir uns nun eingehender dem eigentlichen Event, dem 15-Kilometer-Lauf, für den sich jährlich tausende Menschen anmelden. Die Startgebühr von ca. 20 Tacken wird einem guten Zweck zugeführt. Dafür erhält der motivierte Teilnehmer eine Startnummer, an der ein hochmoderner Transponder angebracht ist, der die Verantwortung für die Zeitmessung übernimmt. Früher wurden statt Einwegbrocken noch mehrfach nutzbare Chips verteilt, die man an den Schuhen befestigt hat, doch Nachhaltigkeit wird bekanntlich vollkommen überbewertet.


Bereits am Vormittag startet das Event. Dann machen sich die Wanderer auf die Socken. Anschließend fällt der Startschuss für die Walker ohne und mit Stöckern. Zwischendurch rennen auch die Blagen an der Stadthalle entlang. Sie werden von den originell getauften Maskottchen der Sparkasse und den Stadtwerken begleitet und motiviert. Bevor es um 13:30 Uhr mit dem Hauptlauf weitergeht, lohnt sich ein Blick auf das Treiben vor und in der Stadthalle.


Profis, Amateure und ich


In der Stadthalle können sich Kurzentschlossene noch bis kurz vor dem Lauf anmelden und sich vor Ort direkt mit Laufklamotten und Schuhen eindecken, denn Aussteller präsentieren dort ihre hochwertigen und höherpreisigen Produkte. Draußen bereiten sich die Teilnehmer auf das Spektakel vor. Zu wummernder Musik beißen sie in Bananen, schütten sich Wasser oder blau gefärbte Sportlergetränke in den Rachen und laufen sich warm. Einige haben aus Gründen Mülltüten über ihre Kleidung gestülpt, wobei ich dieses Jahr exklusive Plastiktüten von ADIDAS erspähen konnte. Die sich vorbereitenden Massen stellen ihre pulsmessenden Hochleistungscomputer in Form von Uhren scharf, richten das am Arm befindliche Smartphone und überprüfen nochmals die musikalische Playlist.


Silvester '22. Ein guter Freund und passionierter Antisportler bereitete sich angemessen auf den Lauf vor und überstand ihn zur eigenen Überraschung.

Währenddessen sitze ich vor der Stadthalle und rauche mir erstmal eine, schließlich muss die Lunge Betriebstemperatur erreichen. Derweil frage ich mich, warum die Leute hier die ganze Zeit umherrennen, denn ab 13:30 Uhr haben sie immerhin noch 15 Kilometer vor sich. Aber was weiß ich schon? Da viele Fußballprofis Werbung für isotonische Getränke auf Hopfenbasis machen, gönne ich mir eine Flasche Veltins, zu der die nächste Kippe angezündet wird. Die Blicke, die ich ernte, reichen von Erheiterung bis zu blankem Entsetzen. Das Bier wirkt, die Blase meldet sich, also begebe ich mich zum Pengelpad, wo die Herren der Schöpfung Bäume und Büsche besprenkeln. Die Toiletten in der Stadthalle sind in der Regel überfüllt.

Zwar falle ich durch mein Verhalten ein wenig aus dem Raster der ambitionierten Laufschuhträger, doch gibt es noch andere Spaßvögel. Wikinger, Leute mit aufblasbaren Schwimmringen in Form von Drachen oder anderweitig kostümierte Jecken lockern das von enganliegenden Funktionstextilien geprägte Bild. Imponierend sind die Kerle, die in kompletter Feuerwehrmontur an den Start gehen.


Pikachu ging 2019 an den Start.


Der Startschuss, meist von Lokalprominenz (einst ballerte Frau Lückenkemper mit der Wumme) durchgeführt, nähert sich, weshalb ich zu den anderen Laufwütigen auf die Straße vor dem Tapetenhaus gehe. Wie kann sich so ein Laden eigentlich halten? Ach, das ist ein anderes Thema.


Los geht’s!


Der Masse wird stimmungstechnisch ordentlich eingeheizt, wovon ich aber wenig mitbekomme, da ich bereits zur Musik tänzle. Endlich knallt es. Doch es ist wie morgens auf der A44. Alle stehen rum. Allmählich löst sich der Knäuel auf und man kann Richtung Startlinie flanieren. Nach und nach sind bereits laufähnliche Bewegungen möglich.


Relaxo, Menschenmassen und ein Tapetenhaus

Im Slalom manövriert man sich durch die Teilnehmer. Den Kreisverkehr am Kaufland passiere ich entgegen der Fahrtrichtung, wobei die Uniformierten tatenlos zusehen. Bis zur Ampel, nach der es auf die ehemalige B1 geht, säumen Zuschauer die Straßenränder. Und genau das ist einer der Gründe, weshalb der Lauf etwas Besonderes ist. Während ich beschwingt über den Asphalt laufe (noch liegt ja keine nennenswerte Distanz hinter mir), erspähe ich alle paar Sekunden bekannte Gesichter. Man winkt, grüßt, tauscht Nettigkeiten aus oder wünscht einen guten Rutsch. Viele Blagen recken ihre Händchen und wollen abgeklatscht werden. Da ich die letzten Male partiell oder gänzlich kostümiert die 15 Kilometer in Angriff genommen habe, sind meine Pfoten recht begehrt.


Unterwegs werden die ersten Blasen entleert, einige fangen bereits an zu hecheln und man kämpft sich von Dorf zu Dorf. Denn dort steht die Anhängerschaft und motiviert die erschöpften Athleten. Wie es sich für eine deutsche Veranstaltung gehört, spielt Bier dabei eine gewichtige Rolle. Doch auch trommelnde Musikanten, kreativ gestaltete Plakate und applaudierende Menschen verbreiten positive Stimmung.


Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Leute sich Zeit nehmen, um dem Event beizuwohnen. Sie geben den Laufenden ein gutes Gefühl, feuern sie an (auch wenn man im Schritttempo und Schnappatmung am Ende des Feldes dahinschleicht) und helfen denjenigen, die so eine Distanz nicht mal eben mit Wegbier und einigen Sportzigaretten bewältigen können.


Mal wieder ein bekannter Starfotograf...

Endspurt


Irgendwann passiert man endlich das Ortseingangsschild von Soest. Die Lunge pfeift aus dem letzten Loch und zu allem Übel rennen einem irgendwelche Irren mit der Medaille um den Hals schon wieder entgegen. Ja, die laufen einfach wieder zurück! Vielleicht haben sie ihre Bahncard vergessen oder den Herd angelassen. Dann das letzte Schild- 14 Kilometer. Also noch einmal auf die Zähne beißen. Doch die letzten Meter ziehen sich wie geschmackloser, vollkommen zerfledderter Kaugummi. Sobald das Kopfsteinpflaster die malträtierten Füße streichelt, wird ohne Rücksicht auf Verluste gesprintet. Endlich läuft man durch den Bogen. Als Lohn für die Mühen, wird einem die schicke Medaille um Hals geworfen.


Dieses Jahr wurde ich gefragt, ob es nicht warm gewesen sei. Ja, die Temperaturen waren tatsächlich beinahe frühlingshaft, wenngleich Wind und Regen für Erfrischung sorgten. Die Frage zielte aber auf mein Outfit ab. Nachdem ich 2019 als Pikachu gelaufen bin, habe ich mir eigentlich geschworen, nicht mehr in einer mobilen Sauna herumzurennen. Doch Vorsätze sind ein Thema für sich, weshalb Relaxo die angemessene Wahl war.


Leider werden die Finisher im Ziel mit Warsteiner versorgt, weshalb ein Gang zur Frittenbude empfohlen wird, wo es auch genießbare Getränke gibt. Da die Beine brennen, die Oberschenkel vor Schmerzen den Dienst versagen und man einfach fertig ist, nimmt man sich vor, im nächsten Jahr auf den Quatsch zu verzichten. Was dabei rauskommt, ist hinlänglich bekannt.




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