Vorweg, hier geht es nicht wirklich um die schulische Institution, die Bildungseinrichtung oder anderen Firlefanz aus dem edukativen Bereich. Zwar habe ich mein Abi am ÄMG absolviert und stand mehrfach auf der Bühne in der Aula, wo ich mit frenetischem Applaus übergossen wurde, doch heute soll es um den Schulhof als Schauplatz von Freizeitaktivitäten gehen.
Pöhlen
In Deutschland herrscht König Fußball. Alles andere ist Tischtennis. Traditionell wird auf Äckern gespielt, die mit Maulwurfshügeln übersät sind oder eben auf gemähten Kunstrasenfeldern. Die heutige Generation ist bezüglich des zu bespielenden Untergrundes ziemlich verwöhnt. Früher (ja, als alter Mann darf ich das so formulieren) wurde auf Kiesplätzen gepöhlt, die man vorher mit Glasscherben bestreut hat. Doch soll es hier ja um das MG gehen, wo gelenkschonender Asphalt verlegt ist.
In den Pausen mussten wir uns mit einem „Softball“ begnügen, damit wir uns bei gezielten Schüssen auf die Nase nicht selbige brachen. Doch nachmittags hatten die verweichlichten Lehrkräfte keine Macht mehr über uns. Traditionell trafen wir uns am Freitagnachmittag auf dem Schulhof (ab halb 3). Damals hatten die Tore auf dem Schulhof allerdings kein Netz aus Stahl und die Sitzgelegenheiten vor der Mauer existierten ebenfalls nicht. Auf derartige Annehmlichkeiten konnten wir auch gut verzichten; schließlich trafen wir uns nicht für eine ausgiebige Wellness-Session.
Um den Weg aus dem düsteren Norden zum MG zu bewältigen, stieg ich entweder auf das Rad, marschierte mit der ledernen Pocke unterm Arm los oder nutzte den Tretroller. Wenn ich mal als Erstes die Arena erreicht hatte, feilte ich ein wenig an meiner überschaubaren Technik, indem ich über den Asphalt dribbelte, ein wenig jonglierte und den Ball wie ein Bestusster gegen die Mauern drosch.
Tröpfchenweise trudelte der Rest der Truppe ein. Die Meute bestand aus engen Freunden, über deren Existenz ich mich noch heute freue. Man kannte sich über Dritte, ging gemeinsam zur Schule oder pöhlte am Wochenende zusammen in der Kreisliga.
Je nach Gruppenstärke wurde eine Runde „Hoch 1“ zum Aufwärmen gespielt. Die Regeln sind in keinem Schriftstück der FIFA festgelegt und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Für diejenigen, die ein bisschen Kenne von der Materie haben, hier unsere Eckpunkte.
Torwart 12, Rest 10 Punkte, Torwart darf sich nur im Halbkreis bewegen, retten ist Pflicht, Tor 1 Punkt, Kopfball 2 Punkte, gespielt wird mit Luftlinie, es gibt einen Schwimmer, der Verlierer bekommt Arschschießen (Anzahl der Schüsse wird vor Beginn festgelegt).
Sobald ausreichend Kötten anwesend waren, wählten wir die Teams. Das Treiben auf dem steinernen Platz war geprägt von der einzigartigen Mischung, die man bekommt, wenn befreundete Bekloppte gegeneinander antreten. Technisch teils sehr anspruchsvoll, situativ extrem ehrgeizig, aber immer mit der nötigen Prise deftigem Humor, der zwischen hämischem Sarkasmus und wertschätzender Anerkennung pendelte. Bei einigen geglückten oder weniger geglückten Aktionen flog der Ball über das Dach der ehemaligen Turnhalle (jetzt Mensa) bis in die Gärten von Anwohnern oder in den Bereich hinter der Aula. Zwar versuchte ich mich auch als Feldspieler, doch meist stand ich im Tor herum. Da fühlte ich mich eben am wohlsten und konnte an der nachhaltigen Zerstörung meines Körpers arbeiten, indem ich Hechtsprünge auf Asphalt vollführte.
Zwischendurch wurden gezuckerte Getränke konsumiert, rebellisch an Sportzigaretten gezogen und über die weiteren Aktivitäten am Wochenende debattiert. Das Freitagspöhlen war eben eine multifunktionale Veranstaltung. Man verbrachte wertvolle Zeit miteinander, tat seinem Körper ungut Gutes und schmiedete unheilvolle Pläne.
Flutlichtspiel
Das ÄMG war nicht nur Schauplatz von wöchentlichen Schlachten mit ramponierten Kunstlederbällen, sondern auch Freiluftclub, bei dem es keine lästigen Türsteher oder horrende Eintrittspreise gab. So begab es sich, dass in unterschiedlichen Personenkonstellationen freitagabends tüchtig gepichelt wurde.
Nach dem Pöhlen ging es kurz nach Hause, denn wer sich körperlich verausgabt, braucht eben Kalorien. Frisch frittierte Fressalien landeten im knurrenden Magen. Anschließend ein Hüpfer in die schaumüberlaufende Badewanne und schon war man bereit für den folgenden Rave. Falls man noch nicht ausgestattet war, musste noch etwas Fusel besorgt werden. Gelegentlich gab es Fehlversuche, aber meist kamen wir mit unseren dezent jugendschutzwidrigen Wünschen an den Supermarktkassen durch.
Sobald sich die Sonne in den Feierabend verabschiedete, trudelten die geladenen Gäste auf dem Schulhof ein. Zu Beginn wurde erst einmal geschaut, was die gemeinschaftliche Bar so zu bieten hatte. Eine vielfältige Mischung, die ihre Wirkung nicht verfehlen würde…
Anfangs kommunizierte man noch in erhabener Weise, diskutierte die großen und kleinen Fragen der Welt, bildete Hypotaxen (hat nix mit gelben Autos oder Immobilienfinanzierung zu tun) und erfreute sich am unbeschwerten Dasein. Das blieb allerdings nicht lange so, denn sukzessive wurden die Mitbringsel in die trockenen Kehlen gekippt. Jägermeister mit Fanta, Cool Up (färbte oralen Auswurf lustig bunt), allerlei Gebrautes, Billig-Wodka mit Billig-O-Saft, Korn mit Cola, brasilianischer Zuckerrohrschnaps, Sangria (stilvoll aus dem Tetrapack) und was man sonst noch so aufgetrieben hatte.
There’s a party
Allmählich setzten schließlich die verheerenden Auswirkungen der Volksdroge ein. Die anfangs durchdachten Wortmeldungen, die stilistisch druckfertig waren, begannen in allen Bereichen an Qualität zu verlieren. Irgendwann hätte es nicht einmal mehr für eine Veröffentlichung im Anzeiger gereicht, was da aus den stinkenden Schlünden zutage trat. Neben der Tatsache, dass man das Gelaber selbst im konzentrierten Zustand kaum verstehen konnte, gehörte es inhaltlich in die Kategorie „besoffenes Gelaber“. Dennoch rückte man durch die Debatten über Musik (alles scheiße außer Backstreet Boys) und Filme (Matrix ist doch wie Platos Höhlengleichnis. Nur mit Geballer.) enger zusammen, sodass der Schulalltag deutlich konfliktfreier ablief. Man verstand besser, was die Halbwüchsigen so beschäftigte.
Nach einiger Zeit wurde Musik angeschmissen. Anfangs noch mit Ghettoblaster. Das ist eine Bluetooth-Box, in die man Kassetten und CDs kloppen konnte. Ne, das erkläre ich jetzt nicht. Mit den Jahren dienten dann auch USB-Sticks mit völlig legal erworbenen Inhalten der Beschallung des Schulhofes. Derweil taten wir das, was Betrunkene nun einmal tun. Halsbrecherische Kletteraktionen an den Mauern, lautstarkes Grölen, Bewässern der Büsche, pseudocooles Ziehen an Zigaretten und einige gingen auch amourösen Handlungen nach.
Hol doch die Bullen!
Wer sein schmuckes Häuschen in der Nähe einer Schule hat, dem hat das Leben übel mitgespielt. Morgens heizen die Eltern mit ihren Karren durch die Straßen, um ihre Blagen loszuwerden. Mittags fabriziert unser aller Zukunft einen permanenten Lärm beim Spielen, Raufen und Rumtoben. Nachmittags herrscht ballinduziertes Getöse, den die Taugenichtse mit Basketball und Lederpocke erzeugen. Und selbst am Abend hat man nicht seine verdiente Ruhe, wenn nicht ganz jugendfreien Texte von deutschen Rappern durch die heruntergelassenen Rollläden tönen. Als guter Deutscher bleibt einem nix anderes übrig, als die Cops zu alarmieren. So kam es, dass regelmäßig Uniformierte nach dem Rechten sahen.
Beim ersten Besuch appellierten die Hüter von Recht und Ordnung an Moral und ähnlichen Firlefanz. Seid mal etwas ruhiger, die Anwohner haben sich beschwert. Dem leisteten wir natürlich umgehend Folge. 5 Minuten lang. Als der Streifenwagen wenig später wieder auftauchte, flüchteten wir in feinster Parcours-Manier vom Schulhof. Schließlich gab es noch andere Orte, an denen man den Abend ausklingen lassen konnte.
Auch wenn wir es gelegentlich durchaus übertrieben haben, hielt sich das Ausmaß destruktiver Handlungen meist in erträglichen Grenzen. Wir nutzten die Mülleimer für unseren Unrat und erkannten, wann es Zeit für die letzte Runde war. Irgendwann wurden unsere freitagabendlichen Veranstaltungen allerdings gekapert. Mehr und mehr Jugendliche strömten auf den Schulhof. Der Charme ließ nach, sodass wir eher an anderen Orten den alterstypischen Aktivitäten nachgingen. Wo? Das verrate ich ein anderes Mal.
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