Videospiele haben Kinofilme in Sachen Umsatz und Budgets bereits hinter sich gelassen. Werke, die auf modernen Konsolen laufen, erreichen einen visuellen Grad an Detailreichtum, der mich immer wieder überrascht und fasziniert. Das war freilich nicht immer so. Sogenannte „Text-Adventures“ verzichteten zu Beginn der 70er Jahre gänzlich auf grafische Spielereien. Im weitesten Sinne waren dies spielbare Bücher, wie man sie teils auch aus der analogen Welt kennt. Als Kind las ich z.B. „Gefahr im Strafraum“, bei dem man je nach Entscheidungen auf anderen Seiten weiterlesen musste. Die Text-Adventures waren da eine Spur interaktiver. So tippte man auf der Tastatur Befehle ein („Nimm“, „Guck“ „Geh mal an die frische Luft“) und die Geschichte veränderte sich dementsprechend. Die textbasierte Handlung führte dazu, dass die imaginären Bereiche stimuliert wurden. Wer kennt nicht die Phrasen, die nach Romanverfilmungen ausgespien werden? „Das habe ich mir beim Lesen aber anders vorgestellt.“
Point and Click- Eine Ära
In den 80er Jahren wurde die Idee des Text-Adventures nun auf die nächstlogische Ebene gehievt. Vor allem die Werke aus der LucasArts Schmiede erreichten Massen an pickligen Zockern mit ihren „Point and Click“ Adventures. Die Vorgehensweise folgte dabei obligatorischen Mustern mit einigen Variablen. Der Spieler bewegte einen Cursor über den Bildschirm und interagierte mit der Umgebung, Personen, untersuchte Gegenstände, kombinierte diese, um beispielsweise verschlossene Türen zu öffnen oder mysteriöse Mechanismen auszulösen. Grafisch wurde meist auf einfachen Comicstil gesetzt. Jeder, der mehr als 30 Lenze auf dem Buckel hat, dürfte Klassiker wie Monkey Island kennen, die nicht nur durch ansprechendes Äußeres, sondern auch mittels merkwürdigen Humors für Unterhaltung sorgten. Meine ersten Erfahrungen mit dem entschleunigten Genre machte ich allerdings auf der Playstation 1, die nicht unbedingt für derartige Herangehensweisen konzipiert wurde. Dennoch fesselte mich Baphomets Fluch von der ersten Minute und prägte die bereits gefestigte Ansicht, dass Computerspiele nichts anderes als Kunst sind.
Paris im Herbst
Schon die Eingangssequenz zieht den betrachtenden Abenteurer in den Bann. In liebevoll handgezeichneten Animationen lernen wir unseren Helden kennen, der als amerikanischer Tourist in einem Pariser Café das Leben genießt. Als ein Clown mit Akkordeon die Szenerie betritt, ändert sich das beschauliche Dasein allerdings nachhaltig, denn der kostümierte Kinderalbtraum platziert eine Bombe im Innenraum, die den kleinen Laden in Schutt und Asche legt.
Nach dem Intro geht es direkt medias in res. Wir betreten den Schauplatz der Detonation. Einen Mann hat es tödlich erwischt, aber die Kellnerin lebt noch, hat aber einen Schock erlitten. Wir befragen sie und können uns als Arzt ausgeben, ihr einen Schluck Alkoholisches reichen und verlassen anschließend den Tatort. Daraufhin folgt einer meiner liebsten Dialoge der Videospielgeschichte. Ein Gendarm zielt mit seiner Wumme auf uns, wir sollen die Hände hochnehmen und stehenbleiben. George entgegnet: „Nicht schießen, ich bin unschuldig, ich bin Amerikaner.“ Die Antwort des Uniformierten: „Können Sie sich nicht für eins entscheiden.“ Wir folgen dem Witzbold zum Tatort, wo ein weiterer Detektiv wartet. Der Sherlock Holmes Verschnitt wirkt rhetorisch geschult, während der Witzbold auf die Leiche einredet, sie solle aufhören, sich tot zu stellen. Der Ton, den Baphomets Fluch im Verlauf seiner Handlung trifft, ist also schon früh festgesetzt. Ernsthaftigkeit und Humor, teils schwarz eingefärbt.
Unterwegs mit Scully
Die Präsentation von Videospielen ist in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Damit ist einerseits die visuelle Aufmachung gemeint, andererseits aber auch die Beachtung von scheinbaren Nebensächlichkeiten. Unter anderem stellt die Synchronisation von interaktiven Geschichten eine Hürde dar, an der viele gute Ideen scheitern. Baphomets Fluch hingegen lässt hier stählerne Muskeln sprechen. Alexander Schottky verleiht George einen erstaunlichen Tiefgang, der sich durch dezent vorgetragene Ironie auszeichnet. Im weiteren Handlungsverlauf lernen wir Nicole Collard, eine ambitionierte Journalistin kennen, die wir zeitweise steuern dürfen. Sie wird von Franziska Pigulla synchronisiert, welche vor allem durch „Akte X“ bekannt sein dürfte, wo sie Dana Scully, die weibliche Protagonistin ihre Stimme lieh. Die hohe Qualität der Vertonung reicht bis in die kleinen Nebenrollen. Der spielsüchtige Bauarbeiter, der Verkäufer im Karnevalsladen, der angeberische Veteran, die ehemalige Sängerin von Weltruhm, die im Hotel das Personal auf Trab hält oder die weissagende Floristin. Alle Charaktere verfügen über einen Tiefgang, den Hauptfiguren deutscher Filmproduktionen in den kühnsten Träumen nicht erreichen würden.
Irland, Schottland Hauptsache Italien
Während man versucht, den Kostümkiller zur Strecke zu bringen, reist man um die halbe Welt. Eines haben die Schauplätze von Baphomets Fluch aber gemein. Die Orte haben jeweils ihren ganz eigenen Charme, der durch die aufwändige Arbeitsweise handgezeichneter Grafik erreicht wird. Die Rätsel, die gelöst werden wollen, reichen von „da wäre ich auch im Suff draufgekommen“ bis hin zu „dafür hätte ich mehr saufen müssen“.
Die Handlung spinnt sich im Laufe der Zeit immer weiter. Nebenkriegsschauplätze, Mordanschläge, Intrigen, bitterböser Humor und letztlich eine Verschwörung, die jedem Telegramfanatiker die Konserven aus dem Regal pusten würde.
Fortsetzungen, Wiederverwertung, Fazit
Durch den Erfolg ließ ein Nachfolger nicht lange auf sich warten. Teil 2 folgt dabei den bewährten Mechanismen. Danach wurde es länger still um die Spielereihe, bis Teil 3 mit direkter Steuerung und klobiger 3D Grafik die eingefleischten Fans massiv enttäuschte. U.a. deshalb werkelten Fans an einem inoffiziellen Titel (Baphomets Fluch 2.5), für den sogar Alexander Schottky gewonnen werden konnte. Respekt auch für die Revolution Software, da auf Klagen oder sonstigen Nonsens verzichtet wurde.
Inzwischen kann man das zeitlose Meisterwerk auch unterwegs zocken, denn überarbeitete Umsetzungen für den Nintendo DS und Smartphones sind für nen schmalen Taler zu ergattern. Daher also der dringende Appell an alle unkundigen Fortnite-Spieler (viel Spaß dabei), probiert es aus, ihr werdet es nicht bereuen.
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