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  • AutorenbildWerler Kötte

Cappadocia- Als Döner noch neu war

Es ist mal wieder an der Zeit den DeLorean zu besteigen und ein paar Jahre in die Vergangenheit zu reisen. In eine Zeit, als der Döner noch etwas Neues im Land von Bratwurst mit Senf war. Heute steht er für eine Reihe von Gammelfleischskandalen gegen die einzig Tönnies anstinken könnte. Der rotierende Spieß, der vornehmlich von Jugendlichen, Besoffenen oder jugendlichen Besoffenen vertilgt wird, verfügt inzwischen über einen eher zweifelhaften Ruf. Das war nicht immer so.



Was ist das?! Wo kommt da die Currysauce oder Mayo drauf?


Ich war noch eine aufstrebende Jungkötte. Im Pokémon-Portemonnaie klirrten 5-Markstücke, mit denen ich bei Tinas Toys und der Videothek Spaß einkaufen bzw. leihen konnte. Meine Ernährung bestand größtenteils aus frittierten Leckereien, die man bekanntlich zu jeder Tageszeit genießen sollte. In diesen sorgenfreien Tagen eröffnete Cappadocia in den Räumlichkeiten „Alt-Werls“.


Meinen ersten Döner genehmigte ich mir auf Geheiß meines werten Herrn Cousins, der mich zum ersten Besuch begleitete. Früher war ich (rein subjektiv betrachtet) weniger experimentierfreudig und offen für ungewohnte Abenteuer, weshalb mein erster Döner lediglich aus Fleisch und scharfer Sauce in einem Fladenbrot bestand. Kostenpunkt laut erinnerungsstärkerer Leser 5 DM (Danke für die Hinweise).


Was soll ich sagen? Es war nicht frittiert, weder Senf, Currysauce noch Frittensalz dienten der Verfeinerung und es war dennoch ein Erlebnis. In der Folge wurde ich zum Stammkunden bei Cappadocia, was durch einige Faktoren begründet war.



Imbiss? Restaurant? Marias Köttenstube!


Bevor deutschlandweit die Dönerkriege tobten, in denen der Preiskampf absurde Ausmaße annahm, was wiederum zu einer Abwärtsspirale in Sachen Qualität führte, war die Welt noch in Ordnung. Regelmäßig führte ich meinem Körper bei Cappadocia lebenswichtige Fettdepots zu. Woran lag es?


Aus heutiger Sicht mutet es recht befremdlich an, wenn man bei dem Zusammenschustern von fetttriefenden Dönern an Qualität denkt, doch genau diese war ein entscheidender Grund für den Erfolg von Cappadocia. Besonders bemerkenswert ist dies, weil Werl nicht unbedingt als Hort für freudig erwartete Neuerungen und Veränderungen gilt.


Einst die heißeste Dönermanufaktur Werls.

Sobald man die Pforte durchschritten hatte, wurde man von Maria freundlich begrüßt. Zunächst erschien dies für mich sehr irritierend, war ich doch an die Werler Mundart gewöhnt. Die Chefin wirkte auf mich immer wie eine Frau, die eine ganze Horde von Köttenkindern in den Griff bekommen hätte. Sie war bestimmt, hatte immer lockere Sprüche zur Hand und doch immer diese einzigartige, warmherzige Ausstrahlung, die man sonst nur von fiktiven Rollen kannte. Okay, wir haben die Begrüßung absolviert und wollen nun einen Döner zum Mitnehmen (aussterbende Wortkombination, denn "to go" spart bekanntlich Unmengen an Zeit) bestellen. Hinter der Glasscheibe befanden sich allerlei Behältnisse mit selbst zusammengerührten Saucen, frisch geschnibbelten Salaten und über allem schwebte eine Sauberkeit, die beinahe neurotisch wirkte.


Das Fladenbrot wurde zwischen die Platten des Grills gebettet und der rotierende Fleischspieß garte duftend vor sich hin. Der Spieß war einer der Hauptgründe für einen Besuch bei Maria, denn dieser wurde im Haus täglich frisch aufgeschichtet. Da ich Salat damals für eine hochgefährliche Substanz hielt, fügte ich meinem Döner erst sukzessive mehrere Zutaten hinzu. Trotz meiner Schnöggeligkeit wurde mein Fladenbrot immer randvoll gestopft, sodass der für Grünzeug reservierte Raum nicht luftleer blieb, sondern mit abgesäbelten Fleischstücken gefüllt wurde. Aus rein ökonomischer Sichtweise sicherlich ein fragwürdiges Vorgehen, aber für eine verkaterte Jungkötte eine willkommene Abwechslung.


Ich möchte hier keine Grundsatzdiskussion vom Stapel lassen, dennoch sollte am Rande erwähnt werden, dass eine möglichst fleischarme (idealerweise fleischlose) Ernährung aus meiner Sicht das zu erreichende Ziel darstellen sollte. Und nein, Vegetarier und Veganerinnen müssen nicht auf notwendige Inhaltsstoffe verzichten. Auch Gäste, die sich gegen den Konsum von Fleisch entschieden hatten, kamen bei Maria auf ihre Kosten. Eine saftige Salattasche konnte man sich schließlich ebenso gönnen, wie eine Pommestasche, die nirgends so gut mundete. Maria und Co. bestrichen nämlich die Innenseite des Fladenbrotes mit der gewünschten Sauce, die nach Befüllung mit Fritten erneut auf die goldgelben Himmelstäbchen geträufelt wurde.


Dinieren- Erste Erfahrungen einer Kötte


Die ersten Besuche bei Cappadocia waren vornehmlich der Mitnahme von bestellten Waren vorbehalten, die man sich dann auf den Treppen der Basilika, im Kurpark oder an anderen exklusiven Plätzen in den gierigen Schlund stopfte. Dort war man auch vor belustigten Blicken anderer Mitbürger geschützt, denn das unfallfreie Vertilgen eines Döners muss intensiv geübt werden, weil die Kalorienbombe ungewohnt unhandlich war und Flecken auf allen Kleidungsstücken fast vorprogrammiert waren.

Nach intensiven Trainingseinheiten fühlte ich mich bereit und entschied, dass ich in Begleitung meines Lieblingsmenschen mal auf erwachsene Ausgehkötte mache und im Gastraum speise. Statt an der Theke halt zu machen, musste man einige Stufen in die erste Etage erklimmen und fand sich in urigen Räumlichkeiten wieder. Eine runde Theke war zentral verortet und die Sitzplätze bestanden aus hölzernen Stühlen und gemütlichen Bänken.


Stairway to heaven- sah früher allerdings anders aus.

Nachdem man seinen pubertierenden Körper am Tisch gelagert hatte, kam Barbie schon um die Ecke. Ich weiß nicht, ob man Barbie, Barby, Babi oder wie auch immer schreibt. Ebenso habe ich keine Ahnung, wie der Kerl wirklich heißt, aber das tut wenig bis gar nichts zur Sache. Barbie hatte eine eher schmale Statur, war aber ein ziemlicher Lulatsch. Er nahm die Bestellung auf, setzte sich gelegentlich für einige Minuten dazu, plauderte aus dem Nähkästchen und merkte sich (wie auch Maria) die Vorlieben seiner Gäste, sodass man bei folgenden Besuchen eigentlich nichts mehr sagen musste. Nachdem das Mahl in zivilisierter Weise beendet wurde (man aß schließlich von einem richtig echten Teller), wurde noch ein Apfeltee serviert. Das war ebenfalls gewöhnungsbedürftig, da ich ansonsten nur zuckrige Limonaden oder leberschädigende Mischen in die Kehle kippte. Dennoch entwickelte sich dies zu einem rituellen Abschluss, welcher die Köttenfütterung angenehm aufwertete.



Die Dönerkriege


Es wird Zeit, dass wir uns einem düsteren und brutalen Kapitel der Werler Stadtgeschichte nähern. Es geht um die wüsten Dönerkriege, denen viele Kötten zum Opfer gefallen sind. Verstopfung, feinster Dünnpfiff, spontanes Erbrechen und hartnäckige Magenkrämpfe setzten selbst den hartgesottenen Gourmets zu. Dönerbuden wurden zu wahren Goldgruben bzw. erfreuten sich bei den hungrigen Suffköppen und allen, die „mit alles“ in seinen vielfältigen und sprachlich grauenvollen Variationen sagen konnten, stetig wachsender Beliebtheit. Popkulturelle Referenzen von Erkan und Stefan, Ballermann Hymnen, pseudolustige Anekdoten und allgemein eine annähernd omnipräsente Aufmerksamkeit führten zu Konkurrenzkämpfen, die viel Leid verursachten.


Wir Deutschen sind für viele erstaunliche Fähigkeiten berühmt bis berüchtigt. Wir haben Scheuklappen auf, die es an ein Wunder grenzen lassen, dass wir morgens den Weg ins Badezimmer finden. Wir können uns nur auf ein Problem zur selben Zeit konzentrieren und das auch nur, wenn es uns direkt betrifft. Ich könnte jetzt noch fortfahren, aber ich schweife schon wieder ab. Okay, eins ist noch wichtig. Wir achten auf den Preis. Deshalb lernte ich schon früh, dass ein Studium der bunten Prospekte von Coop und Plus zwingend erforderlich ist, wenn ich erfolgreiche Schlachten zwischen den prall gefüllten Supermarktregalen führen wollte.


Ein Döner aus der Manufaktur von Cappadocia schlug mit 4-5 Euro zu Buche und hinterließ einen klaffenden Krater in den spärlich beladenen Geldbörsen Werler Feinschmecker. Hier kommen die kriegerischen Gefechte am Spieß ins blutrünstige Spiel. Die Nachfrage nach günstigen Dönern war groß und wenn der Preis stimmt, ist dem Biodeutschen der Inhalt ziemlich wurscht.


Die aus dem Boden schießenden Dönerbuden unterboten sich in unerbittlichen Preiskämpfen und nahmen dabei weder Rücksicht auf die eigene Gewinnspanne noch auf die Unversehrtheit der allesfressenden Werler (hier wäre ein Gendern übrigens fatal, da es meist männliche Prachtexemplare waren, die sich wirklich jeden Müll zwischen die kariösen Kauleisten geschoben haben). King Döner (danach Klas, inzwischen Dönerwerk --> nicht verwandt oder verschwägert mit dem König) genoss einen erhabenen Ruf und wurde von Apothekern empfohlen, falls handelsübliche Abführmittel nicht ausreichend Schwung in den Darm brachten. Kenner wussten, dass der Genuss eines King-Döners zwingend in der Nähe einer funktionstüchtigen Toilette stattfinden musste. Diese homöopathische Arznei wanderte für schmale 2,49 Euro in die Hände des wagemutigen Kunden.


Der menschenfeindliche Höhepunkt der Auseinandersetzungen wurde schließlich in der Bahnhofstraße erreicht, welche zugleich der logische Ort für die finalen Kampfhandlungen war. Hier torkelten die benebelten, dem Delirium nahen Kötten umher, nachdem sie aus den feinen Clubs geschmissen wurden. Völlig von Sinnen gerieten sie in die skrupellosen Griffel einer ranzigen Dönerbude im Miniaturformat. Für den absurd anmutenden Preis von 1,49 Euro konnte man an der Lotterie der akuten Lebensmittelvergiftungen teilnehmen und den letzten Nagel in den Sarg seriöser Dönermanufakturen hämmern.



Ruinen des Krieges


Mittlerweile gibt es deutlich weniger Dönerbuden, die (korrigiert mich bloß nicht, falls ich falsch liege) allesamt mit Tiefkühlspießen beliefert werden. Astare wirkt in diesem Segment noch am meisten wie ein Nachfolger im Geiste, wobei die zentrale Abgeschiedenheit des alten Cappadocias auch hier nicht erreicht werden kann. Die meisten Schuppen sind eher Imbissbuden, bei denen der Aufenthalt zum Essen vor Ort eher für ein eiliges Mahl geeignet erscheint, wohingegen Marias Laden zum Verweilen einlud. Ein weiterer Nebeneffekt (der aber für die allgemeine Situation der Gastronomie gilt) ist die Möglichkeit per App zu bestellen. Bei lieferandos ausgelieferten Lieferhelden kann man bequem vom Pott seine Dosis Fett bestellen, sodass die zu zahlende Provision dem zubereitenden Betrieb die marginale Gewinnmarge zerschießt und prekäre Arbeitsverhältnisse dauerhaft sichert. Wer sich allerdings einen Döner oder dergleichen liefern lässt, dem wäre wohl auch in Eickelborn nicht mehr zu helfen. Wir leben schon in dollen Zeiten.


Trotz eines weiteren Anlaufs am anderen Ende der Fußgängerzone (wo man heute theoretisch Milkshakes kaufen kann) verschwand Cappadocia von der Speisekarte Werls. Was bleibt ist ein wehmütiger Blick in die Vergangenheit. Gerne war ich Gast bei Maria und Barbie, die immer einen festen Platz in den wohligen Ecken meiner fragmentarischen Erinnerungen haben werden. Gelegentlich sieht man sie in der Fußgängerzone und wünscht sich einen neuen Anlauf. Ich wäre garantiert (Köttenehrenwort) 2-3 Mal wöchentlich zugegen.

146 Ansichten2 Kommentare

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2 Comments


cadenkelly815
Mar 13, 2023

Das ist der Döner aus meiner Kindheit. Man kann ihn nicht mehr finden. Manchmal mache ich zu Hause einen ähnlichen Döner und genieße ihn mit dem besten alkoholfreien Wein, den ich hier wähle https://www.alkoholfrei-vom-winzer.de/blogs/news/besten-alkoholfreien-weine

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Werler Kötte
Werler Kötte
Mar 13, 2023
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Ja, leider gibt es den schon einige Jahre nicht mehr

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