Weihnachten 2001, unter dem obligatorischen Tannenbaum befindet sich ein unscheinbares Spiel für die Playstation 2, das einen Wendepunkt darstellt. Wie der Überschrift zu entnehmen ist, handelt es sich dabei um GTA III, welches die klobige schwarze Konsole in der Folge heiß laufen ließ. Diese Spielereihe ist generell ein umstrittenes Gesamtkunstwerk und der erste Ableger für die PS2 war ein folgerichtiger Schritt, an dem sich alle anderen Konkurrenten vergeblich messen lassen mussten. Doch gehen wir chronologisch vor, denn wenngleich es die erste Umsetzung in einer 3D-Welt ist, geht GTA III eigentlich nur den vorgezeichneten Weg der Vorgänger konsequent weiter.
Ballern und Rasen
Die ersten beiden Teile der ver****t erfolgreichen Spielereihe verdanken ihre Geburt einem Bug bei der Entwicklung eines Rennspiels, bei dem die Autos Passanten über den Haufen fahren konnten. Diesen Fehler im Programm entwickelten die Designer weiter und Grand Theft Auto erblickte das Licht der Welt.
Man holte sich an permanent klingelnden Telefonzellen (ist halt alt) seine Aufträge ab und steuerte seine Spielfigur aus einer pixeligen Vogelperspektive. Bombenanschläge, Attentate, Fluchtmissionen und Beschattungen sorgten dafür, dass Abwechslung geboten war. Im Radio liefen je nach geliehenem Fahrzeug unterschiedliche Radiosender. Wer sich etwas zu auffällig verhielt, musste sich mit der Staatsgewalt auseinandersetzen, die rammend und schusswaffengebrauchend Jagd auf den Kriminellen machte.
Im zweiten Teil wurde der Ansatz weiterentwickelt (GTA London 69 lassen wir mal als amüsantes Add-On beiseite). Nun traten in der Stadt verschiedene Gangs auf, deren Respekt man sich durch die Erfüllung von Missionen verdienen konnte. Falls man bei einer Bande hoch im Kurs stand, waren die anderen Vereinigungen weniger begeistert und verhielten sich dementsprechend aggressiv, wenn man sich in deren Territorien rülpsend und furzend vergnügte.
Wenn Tarantino ein Spiel machen würde…
Was ist das Besondere an GTA? Die Altvorderen, die mit Videospielen fastfoodfressende, sozial isolierte Freaks verbinden, werden jetzt sagen, dass es sich bei dieser verwerflichen Spielserie um den wahr gewordenen Alptraum jeglicher Vernunft handelt. Schließlich werden menschlicher Grausamkeit dort nur sehr geringfügige Grenzen gesetzt. Mord, Totschlag, Diebstahl, Sachbeschädigung und organisiertes Verbrechen an sich werden glorifiziert bzw. stellen den Hauptbestandteil der Handlungen dar. Quentin Tarantino würde kurz konstatieren, dass sich das nach einer Menge Spaß anhört und so ist es auch.
Kommen wir zunächst grob zur Handlung, die an einen modernen Gangsterfilm erinnert. Die namenlose Spielfigur flüchtet anfangs mit einem weiteren Häftling aus einer Strafanstalt. In der ersten Mission kann sich der Möchtegernkriminelle also etwas mit der Steuerung vertraut machen und mit einem Fahrzeug über die Straßen heizen, um ein neues Leben als Ganove beginnen zu können. Der Mithäftling ist ein Bombenexperte und auf die Modifizierung von Autos spezialisiert. Dazu kommen wir später nochmal kurz, wenn es um die spielerischen Elemente geht.
Nachdem man die Startmission erfolgreich absolviert hat, kann man sich allmählich mit den Gestalten bekannt machen, die einen ab sofort begleiten. Zunächst erledigt man etwas Drecksarbeit für eine kleine Gruppe von Mafiosi. Vor allem spielt man den Taxifahrer, schüchtert zahlungsunwillige Schuldner ein und klettert langsam die Karriereleiter der Gesetzlosigkeit hinauf.
Im Verlauf der Handlung, die viel mit Klischees und draufgängerischen Gangstern herumspielt, werden die zu Spielbeginn abgesperrten Bereiche der Stadt freigeschaltet. Liberty City erinnert in seinem Aufbau an New York City. Wohngebiete mit riesigen Mietshäusern, ein Hafen und ein Vorort, an dem die Besserverdiener ihr wohlbehütetes Dasein fristen (bis eine Mission zu ihren Villen führt). Immobilienhaie, Nachtclubbesitzer, Filmproduzenten und verschiedene Gangs leisten ihren Beitrag zum Fortschritt der Story, die auf den betrachtenden Zocker unterhaltsam wirkt und immer leicht bis stark überzeichnet ist. Die Synchronisation war schon bei den ersten Schritten in der großen, weiten 3D-Welt ein Faktor, der von Rockstar Games ausreichend Aufmerksamkeit erhalten hat.
Allgemein macht die Präsentation der moralischen Fragwürdigkeit einen Großteil der berechtigten Faszination aus. Daher wollen wir uns die vielen kleinen Puzzleteile näher anschauen, die GTA III zu dem Meilenstein gemacht haben.
Sandkasten für Erwachsene
Zunächst muss erwähnt werden, dass der Schritt in die dritte Dimension die Voraussetzungen für die Fülle an Details geschaffen hat. Der Möchtegern-Scarface, welcher sich den Weg vom Fußabtreter zum Boss durch ehrliche Kriminalität erarbeiten möchte, kann sich theoretisch frei in der (für damalige Verhältnisse) riesigen Stadt bewegen. Anfangs sind einige Stadtgebiete noch durch Straßensperren blockiert, doch ändert das nichts an dem Prinzip.
Diese vorgegaukelte Freiheit sorgt beim Erlebnis für erhabene Momente, die man sonst eher selten hatte, wenn man die Knoten des Kabels gelöst hatte, um seinen Controller zu malträtieren. Denn man kann sich von Mission zu Mission bewegen, damit die Handlung vorangetrieben wird oder sich zwischendurch eine Auszeit gönnen und das sadistische Kind herauslassen. Mit einem Sportwagen durch die Straßen heizen, per Sprungschanze einen spektakulären Stunt hinlegen und im Anschluss aus dem qualmenden Gefährt flüchten, bevor es in die Luft fliegt. Oder man geht auf die unschuldige Bevölkerung los, wobei man sein reichhaltiges Waffenarsenal nutzt. Die Ordnungshüter quittieren dieses Vorgehen wiederum mit entsprechenden Kontermaßnahmen, die sehr authentisch das Klischeebild der amerikanischen Polizei widerspiegeln. Rammend, brüllend, ballernd und mit Unterstützung aus der Luft wird dem Wüstling beigekommen.
Nebenmissionen lockern das gewaltgespickte Treiben auf dem Bildschirm auf. So kann man sich ein Taxi „leihen“, um in der Folge Fahrgäste zu ihren Zielen zu befördern (Crazy Taxi lässt grüßen). Oder man setzt sich in einen stabilen Feuerwehrwagen und lässt den Helden beim Löschen von Bränden heraushängen. Absurd muten die sogenannten „Bürgerwehr-Missionen“ an, da man sich dort als Ordnungshüter im Streifenwagen oder Panzer versucht. Der im Menschen innewohnende Sammeltrieb wird durch die Suche nach versteckten Päckchen befriedigt und an etlichen Orten kann man mit unterschiedlichen Fahrzeugen mittels Rampen oder rampenähnlichen Gebilden durch die Gegend fliegen und sogenannte „Monster-Stunts“ vollführen.
Gewalt? Freiheit? Stimmung?
Gewalt in Videospielen ist eine Geschichte voller Missverständnisse, Vorurteile und fadenscheiniger Argumentationsstrategien. Das Thema müsste allerdings in einer differenzierten Betrachtung gesondert betrachtet werden, was wir in der unvorhersehbaren Zukunft sicher irgendwann in Angriff nehmen werden.
GTA III übt eine tiefe Faszination aus, was nicht nur an der überspitzten Gewalt liegen kann. Vielmehr sind es etliche Feinheiten, die eine satirische Detailversessenheit der Entwickler zeigen.
Schon in der beiliegenden Beschreibung (heutzutage kommen viele Spiele ohne das „Booklet“ aus) wird deutlich, dass GTA III nicht nur ein schnödes Rumgeballer sein möchte. Denn das kleine Heft kommt wie eine Stadtbroschüre daher. Wichtige Orte werden erwähnt, Institutionen vorgestellt und man findet abgefahrene Werbung, deren nähere Hintergründe man bei den Radiosendern hören kann. Ein gefalteter Stadtplan rundet das ganze Paket formschön ab.
Die Playstation 2 war zwar zeitweise mit den ganzen Berechnungen der Welt überfordert, sodass Abschnitte verzögert geladen wurden, aber die belebten Straßen bereiten auch heute noch Vergnügen. Wenn man die Fahrzeuge wie ein richtiger Deutscher auf der Autobahn nutzt, kommentieren dies die Passanten mit wüsten Beschimpfungen. Allgemein wirken die Bürger Liberty Citys wie Auswanderer aus Werl. Falls man einen der Fußgänger mal anrempeln sollte, reagiert dieser schon einmal mit gehobenen Fäusten. Sehr sympathisch.
Der Waffenhändler wiederum ist ein Redneck aus dem Bilderbuch der Überzeichnung. Natürlich kosten die Schießeisen ordentlich Cash, doch kann man einfach per Tastenkombination eine Hülle an Cheats auslösen (den Waffencheat kenne ich noch auswendig), was den staubigen Geldbeutel schont.
Musik in den Ohren
Bereits GTA für die Playstation 1 verfügte über Radiosender, die je nach Fahrzeug unterschiedliche Musikrichtungen wiedergaben. Auf der Playstation 2 wurde dann ein neues Level erreicht.
Wenn man die schwarze Limousine eines Mafioso borgt, dröhnt aus den Boxen klassische Musik, die das Geschehen auf dem Bildschirm teils herrlich konterkariert. Allerdings hat man als Fahrer die freie Auswahl zwischen den einzelnen Sendern und kann den Empfangsknopf auf den favorisierten Kanal drehen.
Auf „Flash FM“ finden sich etliche Hits aus den 80er Jahren wieder, die man teils auch vom Soundtrack des DePalma Klassikers „Scarface“ kennt. Rock, Hip-Hop und der eingängige Off-Beat von K-Jah bieten reichlich Abwechslung. Zwischen den einzelnen Liedern führen die Moderatoren wortreich, vulgär und humorvoll durch das Programm. Wenn man keine Lust auf das Geträller hat, hört man eben „Chatterbox“, einen Talksender, der mit skurrilen Gästen aufwartet. Die Anrufer sprechen über Kannibalismus, pädagogische Maßregelungen und sexuelle Vorlieben. So kann man sein geliehenes Fahrzeug mitten auf der Kreuzung abstellen, die anderen Verkehrsteilnehmer hupend zurücklassen, und sich in Ruhe das Gelaber reinziehen. Unterbrochen wird das Programm auf allen Sendern von Werbeeinblendungen über gewaltverheerlichende Videospiele, klagewütige Anwälte und Nachtclubs.
Urteil- schlecht gealtert, aber zeitlos
Wenn man sich heute vor den Fernseher setzt (PS2 oder auch als Download für die aktuellen Konsolen), merkt man, dass es sich bei GTA III um ein sehr besonderes Spiel handelt. Eine quirlige, satirisch aufgeladene Welt voller Kuriositäten möchte vom Zeitreisenden in Schutt und Asche gelegt werden. Die Steuerung (besonders bei der Waffennutzung) ist gelinde gesagt eine kleine Katastrophe, wobei das Autofahren sehr launig daherkommt.
Ohne dieses Spiel würde es etliche Nachfolger im Geiste wohl nicht geben. Im Rückblick sind es gerade die Nebensächlichkeiten, die in Auge fallen. Die Radiosender (Chatterbox und Lips 106) kann man sich auch heute noch anhören, da sie so skurril sind, wie fehlerfreier Bericht des Anzeigers.
Wer also zu den traurigen Gestalten gehört, die noch nie durch Liberty City geheizt sind, sollte dies dringend nachholen.
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