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Time Crisis- Ballern auf Bildschirme

Autorenbild: Werler KötteWerler Kötte

Wir befinden uns in der Mitte der legendären 90er. Scooter brüllt Philosophisches in die Mikros, Thomas Gottschalk ist noch nicht auf Pflegepersonal angewiesen und die Gummibären hüpfen hier und dort und überall. Eine aufregende Zeit.


Als Kind war ich regelmäßig im Nachbarland, wo die wichtigste Erfindung der Menschheit stattfand. Richtig, Belgien und Fritten. Auf einer Kirmes in Charleroi verzichtete ich auf Karussells oder Achterbahnen, lungerte stattdessen in einer Spielhalle herum. Im Gegensatz zu teutonischen Rummelangeboten, wo man Kleingeld in Automaten schiebt, und auf Zuwachs hofft, standen hier zahlreiche Videospielautomaten zur Verfügung. Autofahren, virtuelles auf die Fresse hauen und Lightgun-Shooter.


Die meisten Taler wanderten in den Automaten von „Time Crisis“. Ein klassischer „Railshooter“, bei dem man eine höchst originelle Geschichte erleben durfte. In der Rolle Richard Millers, der Ein-Mann-Armee mit schicker Lederjacke, musste man die Tochter des Präsidenten von einer Insel befreien, die von einer Gruppe Terroristen besetzt war. Mehr dazu später. Zurück im Lande der Currywurst entdeckte ich die Umsetzung für die Playstation 1 in der Videothek gegenüber von Rewe. Neben der CD konnte man die G-Con 45 entleihen, ein zeitloses und äußerst präzises Werkzeug. Auf dem kleinen Röhrenfernseher daheim ballerte ich also wild drauflos, bis ich lange genug gebettelt hatte, um ein eigenes Exemplar geschenkt zu bekommen. Dieses wurde in einem Einkaufszentrum nahe Charleroi erworben. Damals wurde die makellose Pappverpackung noch mit belgischen Francs bezahlt.

 


Die Knarre ist alt und dreckig. Genau wie ich :D

Spielhalle im Kinderzimmer

 

Ich habe früher ebenso gerne an der Playsie gehockt, wie ich es heute noch tue. Mit dem Unterschied, dass mir deutlich mehr Zeit für das Starren auf pixelige Bildschirme zur Verfügung stand, weshalb ich Time Crisis wie ein Bekloppter zockte. Bevor die Action losgehen konnte, musste man die meiner Ansicht nach ziemlich stylische Wumme an Fernseher und Konsole anschließen. Danach wurde das gute Teil kalibriert. Man zielte auf ein Fadenkreuz und stellte durch das Betätigen des Abzugs ein, wo die Schüsse landeten. Schwierig zu erklären, aber man konnte beispielsweise auch bewerkstelligen, dass die Wumme im Stile eines Kirmesgewehres nach rechts oder links zog. Nach Auswahl des Schwierigkeitsgrades ging es dann auch direkt los, denn bei einer Spielhallenumsetzung hatte man nicht mit viel Vorgeplänkel zu rechnen, was als Entschuldigung für die recht seichte Story herhalten darf.

 

Handlung wird überbewertet

 

Wenngleich es sich um kein episches Meisterwerk handelt, reicht das überschaubare Konstrukt als Rahmen für das Gameplay. Außerdem waren die Actionfilme der 90er jetzt auch nicht unbedingt von durchdachten Inhalten geprägt, wodurch es schon als eine Art Parodie durchgehen könnte.


Die Tochter des Präsidenten wurde von einem adrett gekleideten Bösewicht mit schäbiger Lache entführt. Auf einer Insel hat sich der Schurke mit seinen Schergen verschanzt und es gibt nur eine Rettung. John Rambo… ne James Bond… fast, Richard Miller soll das aussichtslose Unterfangen in Angriff nehmen.


Auf der Insel angekommen mäht er die Bösewichte reihenweise über den Haufen, hat aber titelgemäß nicht viel Zeit. Zwischendurch schwenkt die Kamera auf den Kirchturm, dessen Uhr gnadenlos tickt. Noch heute, wenn ich über den Werler Marktplatz torkle und mein Blick auf eine der Kirchenuhren gerichtet ist, denke ich an die ikonische Kamerafahrt und das heroische Abenteuer mit kabelgebundener Knarre.  



Die bewaffneten Gegner gleichen wie ein Ei dem anderen, unterscheiden sich lediglich in der Farbe ihrer Unformen. Die blau gekleideten Hampelmänner sind in etwa so treffsicher wie die Gewehre der Bundeswehr. Die roten Halunken sind hingegen wirklich gefährlich, denn sie wissen, wo sie hinballern.  


Etappenweise warten wiederum andere Kaliber auf Miller, die etwas mehr Aufmerksamkeit erfordern. Ein Wolverine-Cosplayer hat es mit rasiermesserscharfen Klauen auf unseren Helden abgesehen, verdunkelt gar die Arena und wird dennoch über den Haufen geschossen.


Nachdem man sich der widerlichen Widersacher entledigt und schätzungsweise tausende Menschenleben ausgelöscht hat, kommt es zum Showdown. Der messerwerfende Unhold ist geschwind unterwegs, weicht Kugeln im Matrixsstil aus, hat aber letztlich keine Chance.

Genug zur Handlung, sie ist genretypisch und eher zu vernachlässigen. Wichtig ist bekanntlich auf dem Platz und damit wollen wir uns nun beschäftigen.  

 

Töten macht Spaß!

 

Jaja, die Videospielbranche ist wahrscheinlich für mehr Morde und Tötungen verantwortlich als alle Armeen, Waffengesetze oder gesellschaftliche Entwicklungen zusammen. Selbst John Rambo, dem Terminator oder der Besetzung des wilden Westens samt glorifizierender Verwurstung durch die Filmindustrie klebt deutlich weniger Blut an den vom Geldzählen verhornten Fingern. Blagen spielen Räuber und Gendarm, Cowboy und Indianer oder ballern sich mit Wasserpistolen, Nerf-Guns oder selbstgebauten Waffen (Luftpumpe, Gummihandschuh) die Augen aus der Fresse. Lasertag und Paintball dürfen natürlich auch nicht vergessen werden.  


Die Aufnahme zeigt Time Crisis 2 für die PS2. Das Erstlingswerk hatte ich erst kürzlich in Enschede neu ergattert.


Bei Time Crisis wurden immerhin nur abgrundtiefböse Menschen vom tristen Dasein befreit. Wie das genau vonstattenging, damit wollen wir uns nun etwas eingehender beschäftigen. Denn das Vorgehen bei Lightgun-Shootern variiert in Sachen Ablauf, Steuerung, Waffenauswahl und Schwierigkeitsgrad teils enorm.


Wie bereits erwähnt handelt es sich bei der Dienstwaffe gewalttätiger Blagen um die G-Con45. Das Schießeisen aus Plastik verfügte über den obligatorischen Abzug und zwei Knöpfe an den Seiten, die man bequem mit Daumen bzw. Zeigefinger erreichen konnte.


Die Perspektive des Avatars (Richard Miller) war vorgeben, weshalb man sich nicht mit schnöden Bewegungen befassen musste, sondern sich vollkommen auf das Abknallen austauschbarer Bösewichte konzentrieren konnte. Richard Miller ist lediglich mit seiner Handfeuerwaffe ausgestattet, in dessen Magazin knapp 10 Schüsse passen, wobei im unsichtbaren Holster ein unbegrenzter Nachschub verstaut war. Sobald Zwischensequenzen beendet waren, in denen der Protagonist tarzantastisch von Kränen in die Arena des Gemetzels geschwungen war, suchte er sich irgendwo Deckung. Das ist toll, denn so ist man vom Kugelhagel der Halunken geschützt. Allerdings tickt die Uhr gnadenlos herunter und zum nächsten Abschnitt kommt man nicht durch Warterei. Also das seitliche Knöpfchen halten, um das Köpfchen aus der Deckung zu manövrieren und die Blitzbirnen reihum ins virtuelle Nirwana schicken.


So ballert man sich etappenweise weiter, holt Helikopter vom Himmel, wrackt Autos ab, weicht rot eingefärbten Schüssen aus und treibt die „Handlung“ voran, bis man die Präsidententochter rettend befreit hat.


Trotz pixeliger Grafik herausragend gut gealtert.

Auf der Playstation 1 gab es sogar eine Bonusmission, in der man sich durch ein Hotel samt Casino schießen konnte. Auch wenn man auf die Nutzung eines Röhrenfernsehers angewiesen ist, sollte jeder mal in den haptischen Genuss einer GCon-45 gekommen sein.

 

 

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