Hexen in Werl
- Werler Kötte
- 29. Juli
- 7 Min. Lesezeit
Als am Steinertor Scheiterhaufen brannten
Unsere prachtvolle Stadt verfügt über einige dunkle Kapitel. Viele dieser Kapitel liegen in der Vergangenheit, was ihrer aktuellen Relevanz jedoch keinen Abbruch tut. Also steht mal wieder eine Zeitreise an. Leider keine von der Sorte „melancholisch verklärt“, sondern eher aus dem Bereich „leck mich im Arsch, kannste gar nicht glauben!“...
In diesem Zusammenhang möchte ich aus dem philosophisch tiefgründigen Independent-Film „Men in Black“ zitieren: „Ein Mensch ist clever, aber ein Haufen Menschen sind dumme hysterische Tiere, das wissen Sie. Vor 1500 Jahren hat jeder Mensch gewusst, dass die Erde eine Scheibe ist. Vor 500 Jahren hat jeder Mensch gewusst, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums ist und vor 5 min. haben Sie gewusst, dass die Menschen auf diesem Planeten unter sich sind. Stellen Sie sich nur mal vor, was sie noch alles wissen - morgen.“

Als Grundlage für diesen Bericht diente übrigens ein Beitrag aus „Werl-gestern-heute-morgen“ aus dem Jahr 1990. Werner Kohn betitelte seinen Text mit „Hexenjagd in Werl“. Sehr ansprechend geschrieben, viele Details und der Verzicht auf den mahnenden Finger des Besserwissers. Lektüre empfohlen! Exemplare gibt es in der Stadtbücherei oder bei mir ;)

Hexen- Die Forschenden des Mittelalters
Der Glaube an Zauber begleitet den Menschen wohl schon seit je her, doch die zielgerichtete Verfolgung samt Ermordung mutmaßlicher Zauberer entstand nicht von heute auf morgen, sondern entwickelte sich allmählich. So kam es um 1090 dazu, dass in Süddeutschland 3 Wettermacherinnen von Bürgern misshandelt und verbrannt wurden. Diese Morde wurden seitens der Kirche aufs Schärfste verurteilt. Diese besänftigende Rolle änderte sich über die Jahrhunderte allerdings grundlegend.
Im 12. Jahrhundert wurde die Ketzerei in einem anderen Licht betrachtet und von den Sondergerichten, der Inquisition verfolgt. Im Jahre 1254 erließ der auf den ironisch angehauchten Namen hörende Papst Innozenz IV den Erlass, dass Folter ein legitimes Mittel bei der Prozessführung sei. Dennoch lief das Geschäft der Hexenverfolgung in Deutschland recht schleppend, da die Kurfürsten und Bischöfe andere Schwerpunkte setzten, was sich aber noch ändern sollte.
Die Inquisitoren Heinrich Institoris und Jakob Sprenger beschwerten sich jammernd in Rom, weil sie ihrer heiligen Tätigkeit nicht in dem erhofften Maße nachgehen konnten. Charakterlich lässt dieses Verhalten natürlich tief blicken, denn wer seinen Willen nicht bekommt, der rennt einfach mit verheulten Augen zum Lehrer und beklagt sich über die bösen Kinder. Daraufhin befahl Papst Innozenz VIII (ja, erneut so ein Unschuldiger, wie sie in der Kirche bekanntlich weit verbreitet sind) seinen Bischöfen, dass sie dafür Sorge zu tragen hätten, den Inquisitoren gefälligst ihre Arbeit zu ermöglichen. Drei Jahre später brachte Institoris dann den „Hexenhammer“ heraus, welcher als Anleitung und Nachschlagewerk fungierte. Durch dieses päpstlich legitimierte Werk wurde der Kampf gegen die Zauberer professionalisiert und Deutschland übernahm die führende Rolle beim Ermorden der Besessenen. Strukturiertes Umbringen von Menschenmassen liegt uns eben. Doch wollen wir bei diesem düsteren Kapitel bleiben, bevor ich wieder zu sehr abschweife.

Die Maschinerie läuft an
Obwohl der Trend des Verbrennens langsam Fahrt aufnahm, gab es auch noch erwähnenswerte Fälle, die sich der neuen Mode verwehrten. Hier und da wurden Angeklagte freigesprochen; so trug sich 1582 in Bremen ein interessanterer Fall zu. Eine Frau Schepers sei vom Teufel besessen gewesen. Doch statt des (später noch konkreter beschriebenen) üblichen Prozederes, wurde ein Empfehlungsschreiben aufgesetzt. Darin wurde u.a. gefordert, dass Frau Schepers mit Barmherzigkeit begegnet werden und sie Unterstützung erfahren solle, wo immer sie auch sei. Ebenso sollte eine Pilgerreise nach St. Hubert unternommen werden. Dieser therapeutische Ansatz war allerdings eher die Ausnahme von der sadistischen Regel.
In Werl kam es vor allem zwischen 1628-30 zu massenhaften Prozessen, die zur Hinrichtung von 57 Frauen (die nach Institoris natürlich besonders anfällig waren) und 16 Männern. Japp, es wurden auch Kerle verfolgt und verurteilt, doch weibliche Zauberinnen waren in der deutlichen Mehrheit. Nun wollen wir mal einen genaueren Blick auf die durchdachten Abläufe werfen, die zur effektiven Bekämpfung der teuflichen Bedrohung beigetragen haben. Nur fürs Protokoll, es war von Zauberern bzw. Zauberinnen die Rede, denn der Begriff „Hexe“ kam erst viel später auf.
Ordnung muss sein
Um einen Prozess zu beginnen, reichte bereits ein Anfangsverdacht (bspw. Irgendein Gerücht), weil es keinen expliziten Ankläger brauchte. Die widrigen Lebensumstände (Krieg, gestiegene Lebenshaltungskosten, Missernten) führten zu typisch menschlichen Verhaltensweisen. Wenn es mir schlecht geht, ist jemand anderes dran schuld. Der Nachbar hat kaum Unkraut im Garten? Bestimmt spritzt der Kerl verbotenes Vernichtungsmittel; schließlich trennt der seinen Müll auch falsch. Wenn der Arbeitskollege während der Schicht nicht einpennt, dann schluckt der bestimmt Amphetamine oder säuft Adenochrom. Solche Vorgänge gab es immer und wird es so lange geben, wie der Mensch auf der dahinsiechenden Erde wandelt. Doch genug gejammert. Sobald man den Bösewicht identifiziert hatte, lief der zuverlässige Motor der Justiz auf Hochtouren.
Exemplarischer Ablauf
Der Beschuldigte wurde vorgeladen, was gerade in Werl gleichbedeutend mit dem Todesurteil war. Ihm wurden die "Indizien" vorgelegt und er konnte sich äußern, was aber eh nichts änderte. Ein verteidigender Anwalt war übrigens nicht zugelassen, da es sich um ein Ausnahmeverbrechen handelte. Es reichte übrigens wirklich, wenn es irgendwo Gerüchte gab, dass man im Bunde mit dem Teufel war. Besonders schön ist auch, dass Gefolterte bzw. Befragte auch immer erzählen sollten, mit welchen anderen Bürgern sie denn auf dem Teufelsplatz auf der Haar herumgetanzt hätten. Somit wurde zuverlässig für Nachschub gesorgt.
Danach wurde dann die „Peinliche Befragung“ durchgeführt. Dabei geht es nicht um peinliche Erfahrungen im Vollsuff. Das Wort PEIN hat viele Bedeutungen, wie Qual, Tortur, Hölle und andere Begrifflichkeiten aus dem Wellnessbereich. In Werl wurde diese am „Runden Turm“ durchgeführt, welcher am Melstertor hergerichtet war.
Die Foltermethoden kennt man ja aus der Schulzeit. Schraubzwingen für allerlei Gliedmaßen wurden gerne als Aufwärmprogramm genutzt. Simultanes Geißeln der Rückenpartie mit Einreiben von (WICHTIG) geweihtem Salz rundeten das Programm ab. Wenn der Folterknecht an das Aufladen des Akkus gedacht hatte, gab es noch ein Best of von Modern Talking als passende Untermalung.
Kommen wir zu einigen Besonderheiten der Verfahren. Nehmen wir mal an, ein cleverer Typ (dessen Cleverheit ihn wahrscheinlich vor das Gericht brachte) würde direkt gestehen, da ihm die Ausweglosigkeit bewusst gewesen wäre. Man hätte Mister Clever dennoch zum „Runden Turm“ geführt, denn das Geständnis musste durch die Folter bzw. Befragung erhärtet werden. So oder so, der Folterknecht konnte seinen Arbeitstag also immer vorausschauend planen.
Zugeben bedeutet Folter. Was bedeutet denn dann das Leugnen? Also, tja… Wer leugnet, der macht sich einer verwerflichen Ketzerei schuldig, weshalb der antike Lügendetektortest zum Zuge kam.
ABER: Es war nicht unmöglich der Maschinerie zu entkommen. Es war eben nicht ganz so einfach. Das Entrinnen war allerdings so wahrscheinlich wie die Erfindung eines perpetuum mobiles durch Lothar Matthäus. Man musste einfach 3 Durchgänge von Folter bzw. Befragung überstehen und dabei seine Unschuld beteuern. Naja, in Werl hat keiner die Tortur mehrfach überstanden, denn alle Angeklagten wurden in der Folge getötet.
Das völlig überraschende Urteil wurde gefällt. Die (meist) Verurteilte gestand die ihr zur Last gelegten Phantastereien, nannte noch einige Namen, damit die eigentlichen Besessenen weiter auf Jagd gehen konnten und bestätigte ihre Taten nochmals bei einer öffentlichen Sitzung. Danach ging es recht schnell in Richtung Mord bzw. Erlösung.
Für abscheuliche Taten braucht es keine Horrorfilme oder Dokus über Massentierhaltung, weil der Mensch in der Realität einfach schon immer seine Kreativität gezeigt hat. Vierteilen gehört zu diesen fabelhaften Aktionen, die auch im Zusammenhang mit der „Hexenverfolgung“ Anwendung fanden. Klassisch war der Scheiterhaufen, wobei den Gestehenden meist ein humaner Tod gewährt wurde. Entweder wurde die rechtmäßig verurteilte Hexe bereits vor dem Verbrennen enthauptet oder das Anbringen von Pulversäckchen am Hals sollte zu einer Verkürzung des Leides führen. Wir sind schon ne bemerkenswerte Spezies.

Werler Talentschmiede- Kommissar Reinhartz
Um die windigen Zauberer und dämonischen Zauberinnen ihrer gerechten und gerechtfertigten Strafe zuzuführen, mussten spezialisierte Spezialkräfte ans Werk. Sogenannte Kommissare begleiteten die Prozesse und hatten meist eine juristische Vorbildung. Ihre Knochenarbeit wurde ganz anständig entlohnt und zwar pro Haftbefehl, pro Urteil, pro Folterdekret, pro Foltertag und die Spesen gingen natürlich auch aufs Haus. Hinzu war der Pfad für die weitere Karriere prachtvoll geebnet. In Werl gab es mehrere Männer, die sich einen eifrigen Ruf verdienten. Dr. Christian Kleinsorge und Dr. Oger Brandis versahen neben dem Amt des Hexenkommissars auch den Posten des Bürgermeisters.
Aber besonders hervorzuheben ist Caspar Reinhartz, der ebenfalls ab und an Bürgermeister war (1630-34/ 1642-45 und 1648-53) und einen Ruf als herausragender Jäger genoss. Im Rahmen einiger Verdächtigungen kam es dazu, dass sich potentielle Zauberinnen mit einigen zwielichtigen Gestalten verschworen und ein Attentat auf Reinhartz planten. Die auf ihn gerichteten Schüsse verfehlten seine Gurgel nur um wenige Millimeter und zerfetzten seinen anmutigen Kragen. Lediglich ein Gerichtsschreiber und ein Diener verstarben bei dieser Aktion, und die sind bekanntlich nicht so wichtig.
An den Verschwörern wurde ein Exempel statuiert. Eine beteiligte Frau wurde enthauptet und verbrannt. 2 Männer wurden gevierteilt und ihre Überreste auf Räder gehängt, die wiederum an Straßen in Arnsberg und Balve platziert wurden. Wer mehr über Vierteilung wissen möchte, kann es gerne nachlesen, doch ich möchte hier nur so viel sagen. Es gibt wahrscheinlich angenehmere Wege, das Zeitliche zu segnen…
Genug gefackelt, Schicht auf dem Scheiterhaufen
In den Jahren zwischen 1628 und 1630 waren die Werler fleißig und haben ihre heiligen Pflichten eifrig erfüllt. Danach war irgendwann auch mal gut und die ureigene Idiotie des Menschen fokussierte sich auf andere Bereiche, die zuvor vernachlässigt worden sein mussten. Einzig in den 1640er gab es noch ein kurzes Aufflackern des Wahnsinns, als Dr. Heinrich Schultheis in Werl verweilte. Der Kerl hatte u.a. eine Art Bedienungsanleitung für „Befragungen“ auf das bemitleidenswerte Papier gebracht. Darin wird beispielsweise empfohlen, möglichst langsam mit den Schraubzwingen zu agieren und beim Veredeln der Wunden auf gesegnetes Salz zu achten…
Wahrscheinlich wurde die systematische Ermordung der Zauberer*Innen irgendwann auch einfach zu teuer. Neben den horrenden Personalkosten für die Kommissare und Folterknechte (die ja auch noch fressen und saufen wollten), mussten auch Kosten für Gericht, Gerichtsschreiber, das gute Brennholz und den Henker bestritten werden. Und bei den Verurteilten war in der Regel wenig zu holen, denn einige Mechanismen ändern sich halt nie. Nach unten treten ist eben einfacher. Meist landeten nämlich nicht Adlige oder gar kirchliche Würdenträger auf dem Lagerfeuer, sondern Arbeiter*Innen, Landstreicher*innen, das ganz einfache Volk eben.
Wie eingangs erwähnt, sollte man jetzt nicht den vom Smartphonewischen verseuchten Finger heben und meinen, dass wir heutzutage ja viel schlauer seien. Nein, wir sind evolutionstechnisch gesehen nicht viel weiter gekommen und ein Blick in die Kommentarspalten aller Angebote, die Kommentarspalten enthalten, reicht aus, um das Schlimmste zu befürchten. Wenn die Menschen (falls es sie noch geben sollte) in einigen hundert Jahren auf unsere Zeit sehen, wird ihnen vom Kopfschütteln wahrscheinlich ein Schleudertrauma verpasst.
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