Ein handelsüblicher Deutscher achtet sehr auf seinen tempelartigen Körper. Nur feinste Waren finden ihren Weg in den teutonischen Schlund. In Plastikfolie geklöppelte Kadaverreste eingepferchter Nutztiere, Dosenbier aus der Kühlbox, aufgetaute Torten mit einer reichhaltigen Auswahl von Aromen und Kaffee. Was für den gigantischen SUV die Diesel-Zapfsäule, das ist für den Deutschen die Kaffeekanne.
In Werl gibt es zum Befüllen des Koffeintankes einige Anlaufstellen, bei denen man sich mit dem kostbaren Gut eindecken kann. Entweder klassisch zum Mitnehmen, denn wer will schon zu lange an einem Ort verweilen, wenn es doch noch so viel zu sehen gibt. Außerdem kann man die formschönen Pappbecher samt Plastikdeckel unterwegs in bzw. neben einen Mülleimer schleudern. Oder man hockt sich irgendwo hin, wo man von den mit TEDi-Tüten beladenen Mitkötten bestaunt werden kann. Neben den bekannten Barista-Shops von Mecces bietet Werl aber auch noch historisch wertvolle Orte des klassischen Kaffeekränzchens. Ein Beispiel dafür möchten wir heute in den Blick nehmen.
Zeitreise ins Waffelstübchen
Wer ein außergewöhnliches Erlebnis erleben möchte, der besucht das Waffelstübchen, wo die Welt noch in Ordnung, aber auch gewöhnungsbedürftig ist. Statt der gewohnten Begrüßungsfloskeln „Kehr, halt die Fresse!“ oder „Sieh zu, dass du wegkommst!“, wird man hier als verehrter Gast in Empfang genommen. Der Aufsteller in der Fußgängerzone kommt wie ein dadaistischer Formatierungsalbtraum daher. Wer sich von dieser künstlerischen Herangehensweise nicht abhalten lässt und das Betreten der Räumlichkeiten wagt, wird dafür fürstlich belohnt.
Überall im Inneren findet das glasige Auge anachronistische Merkmale, die der Dekoration dienen sollen. Püppchen, die auf keinem Trödel der Welt einen Abnehmer finden würden, kunstvoll drapierte Tässchen, Flyer, die in etwa so aktuell wie die Duden-Ausgabe des Anzeigers sind und weitere Unikate, die verdeutlichen, dass hier ein anderer Wind weht. Aus dem Radio dudelt deutsche Schlagermusik, an den mit Fliesen versehenen Tischen sitzen Cyborgs, die ihre labil wirkenden Leiber mittels berollten Maschinen durch die Gegend manövrieren. Sie wirken gebrechlich, zeigen aber im verbalen Bereich die ortstypischen Ausprägungen.
Weniger aufgeklärte Menschen bezeichnen die Cyborgs im Übrigen als Rentner*innen oder schlicht als Senior*innen. Diese hybride Lebensform trifft sich regelmäßig im Waffelstübchen und parkt das hochtechnisierte Fortbewegungsmittel seitlich des Eingangs. Am Tisch gönnen sich die Grüppchen dann klassischen Filterkaffee (den man sonst fast nirgends mehr ergattern kann), Sekt, Radler und üppig beladene Waffeln.
Sie sprechen über die Vergänglichkeit ihrer irdischen Erscheinungsbilder, die Erfolge durch hochmoderne Ersatzteile aus der Cyberkinetik und machen sich über die jeweiligen Gatten lustig, die den Weg zur Stammkneipe kaum mehr eigenständig bewältigen können. Trotz des hohen Anteils robotischer Bestandteile der rüstigen Rentnerdamen, versprühen sie in der Regel mehr Lebensfreude als bezahlte Animateur*innen in den aufgehübschten Ressorts der Urlaubsgebiete.
One Man Show Eller
Im Waffelstübchen rennen nicht flinke Damen und Herren mit Tabletts durch die Gegend, um ihr Taschengeld aufzubessern oder das Studium zu finanzieren. Alles was dort stattfindet, geht auf die Bemühungen eines Mannes zurück. Michael Eller rührt den Teig für die namensgebenden Waffeln an, nimmt Bestellungen auf, bedient die Filterkaffeemaschine, bugsiert die Gläser, Pullen und Tässchen auf einem silbernen Tablet, verfeinert das Gebilde noch mit einem Keks und transportiert dies dann elegant zu jeweiligen Tisch.
Man merkt, dass er schon lange dabei ist, denn er kennt Werl so gut, wie ein Pfandautomat Einweg von Mehrweg unterscheiden kann. Viele Vorgänge im Waffelstübchen wirken etwas aus der Zeit gefallen. So rechnet der Wirt die jeweiligen Beträge schneller im Kopf aus, als ich sie in einen Taschenrechner würde eintippen können. Allgemein sollte man keinen Schnickschack wie Tablets, Club Mate oder die Begleichung der Schuldigkeit per paypal erwarten. Bubble Tea wird man ebenso vergeblich suchen, aber den gibt es ja mittlerweile auch am anderen Ende der Fußgängerzone.
Hip, Hipper, künstliches Hüftgelenk
Im Waffelstübchen rennen (in der Regel) nicht pubertierende Köttenkinder herum, die sich ihre neuesten Tik-Tok Videos vorspielen. Es ist ein gediegenes Etablissement, in dem der Altersdurchschnitt jenseits des Renteneintrittsalters ist. Dennoch fühlt man sich als noch arbeitspflichtiges Rädchen im Getriebe der Wirtschaft nicht unwillkommen. Im Gegenteil, besonders in gewissen Lebensphasen wirkt ein Besuch wie ein Sprung in den Jungbrunnen. Schließlich zeigen einem die anderen Gäste, dass man auch nach etlichen Jahrzehnten in Werl noch Zeit und Kraft für ein paar Späßchen haben kann.
Andere Cafés sind sicher auch einen Besuch wert, doch das Waffelstübchen scheint es schon seit der Stadtgründung zu geben, weshalb es die Pflicht einer jeden Kötte ist, einmal auf einen Filterkaffee reinzuschauen.
Demnächst werde ich auch mal andere Betriebe aufsuchen und á la Rach* testen.
*so einer wie Frank Rosin**
** testet Restaurants und erklärt den Leuten, wie man ein Brot schneidet.
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