Im Jahr 1998 veröffentlicht KONAMI Hideo Kojimas zeitloses Meisterwerk. Auch nach über 20 Jahren gilt es unter Veteranen der Konsolenkost als ein Geniestreich und hat zu einer Reihe von Fortsetzungen geführt (ja Herr Klugscheißer, MGS ist selbst ein Nachfolger, aber in seiner Gesamterscheinung das erste seiner Art) und hat Kojima den Ruf als Avantgardisten und Virtuosen beschert. Berechtigt? Der Frage möchte ich bei der rückblickenden Betrachtung des Klassikers auf den Grund gehen.
Damals…
Vorweg sei vorangeschickt, dass ich Metal Gear Solid (wie so viele andere Perlen) zunächst aus der Zuschauerperspektive erleben durfte, da mein großer Bruder am Controller saß. Aufgrund der besonderen Struktur des Spiels war dies aber durchaus von Vorteil, weil Kojimas Werke sehr dialoglastig und voller Zwischensequenzen waren und sind. Als ich Jahre später selbst an die Arbeit ging, war ich nach Erreichen des Endes durchaus stolz auf meine Leistung, wenngleich ich durch das aufmerksame Betrachten natürlich viele Kniffe bereits auf Lager hatte, die man beim ersten Zocken sonst nicht hatte.
Rambo+Bond=Solid Snake?!
Also ich zocke wegen der Handlung. Das wird man von Anhängern der jährlichen Gelddruckmaschinen FIFA (ja, da gibt es jetzt auch ne Story…echt spannend) und anderen Sportsimulationen eher seltener hören. Menschen, die Metal Gear Solid gespielt haben, dürften da eine etwas abweichende Haltung haben, denn Kojimas Leidenschaft für Cut-Scenes wirkt beinahe wie ein cineastischer Fetisch. Ohne zu sehr ins- teils widersprüchliche Detail gehen zu wollen, ein kurzer Abriss der Handlung.
Eine Gruppe von geklonten Terroristen unter der Führung von Liquid Snake und einem kunterbunten Haufen von Freaks haben ein Atomwaffenlager auf Shadow Moses Island in der Antarktis in Beschlag genommen. Dort wird eine revolutionäre Waffe gelagert (Metal Gear). Ein Kampfroboter, der Atomraketen ballern kann. Als Spieler schlüpft man in die Rolle Solid Snakes, der von seinem ehemaligen Colonel instruiert wird, nachdem er aus seiner Einsiedelei gerissen wurde (im Prinzip also John Rambo). Ohne Waffen, aber mit Zigaretten im Gepäck (dazu später mehr), reist Snake per Miniatur-U-Boot zur besetzten Insel, um den Schurken das terroristische Handwerk zu legen. Im Verlauf der Handlung trifft man auf sehr charismatische Kontrahenten, schleicht sich rennend an den Schergen vorbei und schaut stundenlange Cut-Scenes, in denen einige mehr oder weniger vorhersehbare Wendungen warten. Am Ende kloppt man sich mit seinem Zwillingsbruder Liquid und verlässt die Basis, welche sich selbst zerstört. So weit, so klischeebehaftet, so gut. Die Fortnite-Zocker dürften jetzt anmerken, dass sich der ganze Quatsch ein wenig öde anhört und niemanden vom Hocker reißen dürfte. Daher sollte ich mal auf einige Punkte eingehen, die Metal Gear zu einem Kunstwerk machen, das für immer ein Meilenstein bleiben wird.
Solid Rambo vs. Psychofreaks
Das Spielprinzip ist relativ einfach darzustellen. Aus einer erhöhten Kameraperspektive steuert man den Ramboverschnitt durch die unterschiedlichen Abschnitte. Dabei versucht man möglichst unauffällig vorzugehen und sich von den Klonkriegern nicht erwischen zu lassen. Um dies zu erreichen, greift man auf gewisse Mechaniken zurück. Auf einem Radar kann man die Gegner, Überwachungskameras und deren Blickfeld im Auge behalten, sodass man nach Studium der Laufwege gekonnt an den Patrouillen vorbeirennt. Das erscheint zunächst gewöhnungsbedürftig, da man ja sonst lieber ballernd durch die Level eilt und jeden über den Haufen schießt, der in Sichtweite ist. Die Wachen sind zwar nicht sonderlich intelligent, dennoch reagieren sie auf Spuren im Schnee oder Geräusche, die Solid Snake beim Umherlaufen erzeugt (wie es sich für ein Schleichspiel gehört, kann der Held nämlich nicht gehen oder pirschen- um sich lautlos fortzubewegen, muss man sich hinlegen und im Schneckentempo über den Boden robben).
Nach und nach gelangt der Protagonist in verschiedene Bereiche der besetzten Anlage und schaut sich Sequenzen an, in denen die Geschichte vorangetrieben wird. Da ich nicht zu sehr auf die eigentliche Handlung eingehen möchte, sei gesagt, dass es hier und da Wendungen gibt, Charaktere ihre eigentlichen Motive verschleiern und vorhersehbare Maskeraden zu beobachten sind.
Was mich damals allerdings am meisten in den Bann gezogen hat, war die Kombination aus storylastiger Erzählung, abwechslungsreichen Kämpfen und charismatischen Gegnern, mit denen wir uns nun etwas näher beschäftigen möchten.
Kurios, cineastisch, revolutionär (Spoiler)
Das erste Duell findet in einem Raum statt, welcher eine Geisel und mächtig viel Plastiksprengstoff enthält. Der Kontrahent sieht aus wie ein langhaariger Clint Eastwood aus einem Spaghettiwestern. Revolver Ocelot schwärmt von seinem Colt und das Rumgeballer geht los. Irgendwann wird der Kampf durch das Einmischen eines Cyborg-Ninjas beendet, der dem Cowboy eine Hand abschnibbelt. Danach wird man vom Colonel angepiepst, der die 4te Wand durchbricht und einen interessanten Anti-Piraterie Ansatz kennzeichnet. Denn nun soll dessen Nichte Meryl per Funk kontaktiert werden, wobei die Frequenz auf der Rückseite der CD-Hülle zu finden ist. Nächstes Ziel ist der Anime-Enthusiast Hal, der an der Entwicklung des Kampfroboters beteiligt war. Ein mysteriöser Unbekannter warnt Snake, dass ihn eine Falle erwartet, nachdem er einen Raum voller Laserstrahlen passiert hat. Um diesen Raum zu überwinden, muss man entweder seine Infrarotbrille aufsetzen oder fleißig an den Kippen ziehen, durch deren Rauch man die fatalen Strahlen sehen kann und zeitgleich an Lebensenergie einbüßt.
Wenn man nun weiter über ein malerisches Schneefeld voller Minen marschieren möchte, wird man von einem Panzer angegriffen. Mit der richtigen Taktik stellt dieser aber kein wirkliches Hindernis dar. Bevor man den Forscher Hal Emmerich erreicht, kann man ein prachtvolles Blutbad bestaunen, das vom Cyborg angerichtet wurde, der nun auch einen Faustkampf einfordert. Während des Kampfes dürstet der Gegner nach einer Tracht Prügel und scheint in einer leicht masochistisch anmutenden Weise auf Schmerzen zu stehen. Nach dem Gekloppe stellt sich heraus, dass der Ninja ein ehemaliger Weggefährte Snakes ist (Gray Fox). Viel Zeit für melancholisches Schwelgen in Schlachterinnerungen bleibt jedoch nicht, denn nach kurzem Austausch mit Meryl wartet ein ikonischer Gegner, Psycho Mantis.
Dieser übernimmt die Kontrolle Meryls, sodass man die Mitstreiterin bewusstlos schlagen muss, um sich auf den eigentlichen Kampf konzentrieren zu können. Der gasmaskentragende Schurke weicht den Kugeln allerdings aus, wie Neo am Ende des ersten Matrix-Films. Falls man auf seiner Memory Card noch alte Speicherstände von Konami-Titeln hat, erzählt Mantis auch davon (vierte Wand mal wieder eingerissen). Die einzige Möglichkeit, um das Lesen der Gedanken zu verhindern und somit eine Chance gegen den röchelnden Drecksack zu haben, ist das Herausziehen des Controllers (ja, die hatten früher Kabel) und anschließendes Einstecken in den Slot des 2ten Spielers. Danach wird der Vogel über den Haufen gepustet.
Kurz nach der denkwürdigen Auseinandersetzung werden Snake und Meryl von Sniper Wolf, einer Scharfschützin attackiert. Zunächst verpasst diese Meryl einen Schuss, duelliert sich mit Snake, der scheinbar obsiegt und lässt beide im Anschluss gefangen nehmen. Der einarmige Bandit aus dem wilden Westen foltert Snake daraufhin und lässt ihn in eine Zelle werfen, aus der man in feinster Point-and-Click Weise entkommt.
Auf der Flucht kommt es zu einem erneuten Duell mit der Scharfschützin, für die der Sidekick Hal Emmerich romantische Gefühle entwickelt hatte. Stockholm Syndrom oder einfach ein Fetisch, wer weiß? In dem folgenden Dialog wird dann die Sinnhaftigkeit des Kämpfens infrage gestellt und auf eine Antwort verzichtet. Soll man gefälligst selbst entscheiden, inwiefern Krieg, Rumballern und Meucheln sinnvoll sein kann.
Weitere Kämpfe u.a. gegen Vulcan Raven, einem Schamanen, der nur in Übergrößen-Geschäften einkaufen kann, folgen. Die Beziehungen unter den Charakteren gewinnen an Tiefe und Klischeehaftigkeit und im Kampf gegen Oberbösewicht Liquid (der im Kampfroboter herumhockt) zeigt der Cyborg Ninja, was in ihm steckt. Sehr sehenswerte Zwischensequenz…
Nach einem klassischen Faustkampf mit entblößten Polygonoberkörpern flieht Snake mit Meryl von der Insel. Ende gut, alles gut.
Film, Spiel oder watt soll der Scheiß?!
An der Metal Gear Solid-Reihe scheiden sich die Geister. Entweder man feiert den ganzen Kram total ab, den Kojima abzieht oder man fragt sich schlicht, ob der Kerl noch alle Pfandbons im Einkaufswagen hat. Ich bin der Meinung, dass beides der Fall ist.
Als das Werk 98 in Europa erschien, sprengte es definitiv den Rahmen, den andere Spiele gesetzt hatten. Die geballte Kojima-Ladung passte auch nicht auf eine CD, sondern wurde auf 2 Exemplare gebannt. Inszenatorisch wurden durch den Titel definitv neue Maßstäbe gesetzt, da das gesamte Erscheinungsbild stark an einen actiongeladenen Agentenfilm erinnerte. Dazu beigetragen haben sicherlich die vergleichsweise authentischen Synchronsprecher (jedenfalls im englischen Original) und der stimmungsvolle Soundtrack. Manchmal hat man allerdings das Gefühl, dass zu viele tiefgründige Fragen angeschnitten werden sollen und sich die Handlung zu ernst nimmt. Dennoch ziehen mich die Figuren noch heute stärker in den Bann als viele Neuerscheinungen es auch nur ansatzweise erreichen könnten.
Spielerisch litt der Klassiker ein wenig unter den technischen Voraussetzungen, welche die Playstation 1 den Entwicklern zur Verfügung stellte. Dennoch fehlte es nicht an Abwechslung und selbst heute ist es noch spielbar und bereitet Freude, was nicht unbedingt für die meisten Titel der PS1 Generation gilt.
Wer MGS noch nie gespielt haben sollte, hat definitiv etwas nachzuholen. Als kleiner Geschichtsnachhilfekurs kann das Betrachten der zahllosen Youtube-Videos dienen, die einen ersten Eindruck ganz gut vermitteln können.
In diesem Sinne, Snake…Snaaakkeee!
Der Honest Game Trailer ist sehr sehenswert ;)
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