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  • AutorenbildWerler Kötte

Pengelpad

Warum sollte man sich mit einem kleinen Schleichweg befassen, der auch noch einen so merkwürdigen Namen trägt? Nun ja, wir wollen es einfach. Der Pengel-Pad ist heute ein kleiner Schleichweg, auf dem man ebenfalls mit seinem klapprigen und verbeulten Drahtesel aus dem berüchtigten Norden bis zur Soester Straße düsen kann. So weit, so unaufregend, typisch Werl halt. Wir wollen mit dem Bericht ein wenig in die Historie (das ist die langweilige Vergangenheit) blicken und dabei auch den ulkigen Namen erklären.


Früher- Als es weder Autos noch Pfandautomaten gab


Wir treten eine vergleichsweise weite Zeitreise an. Im Display des DeLorean blinkt die Jahreszahl 1892 in neongelb. Das 19. Jahrhundert neigt sich dem Ende zu, die Industrialisierung sorgte für Steigerungen der Produktionsmengen und die Menschen trieben es wie Karnickel auf Viagra, sodass die Bevölkerung deutlich anwuchs.


Im besagten Jahr wird beschlossen, dass sogenannte „Klein-Privatanschlussbahnen“ geplant und gebaut werden sollten. Die Standards für diese Verkehrswende wurden bewusst niedrig gehalten, sodass zügig und kostengünstig gebaut werden konnte. Naja, zügig ist ja kein verbindliches Tempo. Man hätte auch sagen können, dass die Bahnen in Deutschlandgeschwindigkeit fertiggestellt werden sollten, denn in der glorreichen Tradition teutonischer Vorgehensweisen hat die Umsetzung dann doch ein wenig Zeit in Anspruch genommen.


Zunächst wurde eine Kommission einberufen, die sich mit möglichen Routen auseinandersetzte und bereits nach wenigen Jahren 1895 eine Entscheidung traf. Der Vollständigkeit halber seien die Haltestellen hier kurz erwähnt (damit sammelt man schließlich ohne viel Aufwand Zeichen und Zeilen):


Neheim-Niederense-Oberense-Volbringen-Sieveringen-Ostönnen-Soest-Oestinghausen-Hovestadt war die Route einer Bahn.


Ostönnen-Westönnen-Werl war die umfangreiche Route der anderen Linie.


Bereits 2 Jahre nach der Festlegung der Haltestellen wurde mit den Arbeiten begonnen (Ironie oder Sarkasmus?) und am 1.5.1898 wurde schon Einweihung gefeiert. Wie man merkt, hat dieser Affenzahn in Deutschland eine Tradition, weshalb die Fiaskos der letzten Jahre lediglich eine konsequente Fortsetzung darstellen. Hamm wurde kurze Zeit später ebenfalls an die Werler Kleinbahn angeschlossen, sodass der Personennahverkehr revolutioniert wurde.


Kolorierte Archivaufnahme aus dem Jahr 2020

Die Gleise wurden allerdings nicht nur zur Beförderung damaliger Kötten genutzt, sondern waren auch für die Industrie von nicht zu verkennender Bedeutung. Die Wulf-Hefe Fabrik an der Soester Straße erhielt beispielsweise einen eigenen Anschluss, sodass die Produktion effizient laufen konnte und die Logistik auf einem für damalige Verhältnisse fortschrittlichen Niveau war.

Im Jahr 1952 wurde der Personenverkehr auf der Kleinbahn eingestellt. Inzwischen hatte sich die Verkehrsinfrastruktur deutlich gewandelt, da die meisten Bürger nun die Fortbewegung mit motorisierten Drecksschleudern bevorzugten. Die Fortbewegung individualisierte sich eben, sodass man sich nicht mehr beengte Räumlichkeiten mit nachlässig gewaschenen Mitbürgern teilen musste, sondern in seinem eigenen Gestank von A nach B reisen konnte.


Schön, aber warum jetzt „Pengel-Pad“?!


Okay, bevor wir uns mit der gegenwärtigen Lage und Bedeutung befassen, wollen wir kurz das Mysterium des Namens auflösen, denn der Bildungsauftrag liegt uns so sehr am Herzen, wie die Funktionstüchtigkeit eines anständigen Pfandautomaten.


Wie eingangs erwähnt, waren die Sicherheitsstandards in etwa so ausgeprägt wie die Ausweiskontrollen auf einer Dorffete. Um etwaige Unfälle mit Personenschaden zu verhindern, musste während der Fahrt fast permanent mit der Glocke geläutet werden. Zwar waren die Werler nicht vom wichtigen Blick auf das Smartphone abgelenkt, jedoch barg ein dahersausender Zug potenzielle Gefahr für Leib und Leben. Das ohrenbetäubende Glockengeläute erschallte dementsprechend mehrmals täglich. Pengeln ist eines jener Wörter, die heutzutage nicht mehr so geläufig sind. Ähnlich wie Langeweile, Fakten, differenzieren, Empathie und Bitte gehört „pengeln“ zum Friedhof der Sprache. Es bedeutet so viel wie „mit der Glocke läuten“. Tadaa Rätsel gelöst.


Graffiti in Soest

Flanieren, Radeln, Pöbeln- Nutzung im Wandel der Zeit


Im Norden nimmt der Pengelpad seinen Anfang hinter einer relativ frischen Unterführung. Da ich im Werler Norden als Köttenkind aufgewachsen bin, kenne ich noch den kleinen Vorgänger des opulenten Modells. Dieser bestand aus farblich undefinierbaren Ziegelsteinen mit einem ästhetischen Rundbogen und war einige Nummern kleiner. Als hoffnungsvolles und unbeschwertes Kind sah ich einmal, wie ein LKW die Ausmaße der Unterführung überschätzte, was letztlich dazu führte, dass besagtes Fahrzeug stecken blieb. Schon damals war das genau mein Humor und ich lachte mich innerlich, wie äußerlich kaputt.


Nach dem Pop-Up Ausrufezeichen rechts abbiegen und schon ist man auf dem Pengelpad

Doch wollen wir zurück zum eigentlichen Thema. Generell hat der Pengelpad nur einen eher vernachlässigbaren Mehrwert, der dennoch erwähnt werden sollte. Wenn man kein Auto zur Verfügung hat (Loser oder Freund der klimafreundlichen Fortbewegung, was im Grunde das Gleiche ist :D), bewegt man sich in der Regel auf den Käsemauken oder mit dem klapprigen Klapprad von A nach B. Durch den Pengelpad kann man sich unnötige Ampeln und Kreuzungen ersparen, da dieser direkt von der Soester Straße bis hin zur Schützenstraße führt.


Während der abwechslungslosen Strecke kann man einige Highlights erspähen. So weist ein sinnvoll angebrachtes Schild das abgelenkte Herrchen darauf hin, dass er die Hinterlassenschaften seines inkontinenten Vierbeiners aufsammelt, da hier ja Kinder spielen würden. Auf dem Pengelpad kann man zwar höchstens „Ich beleidige den entgegenkommenden Passanten“ spielen, aber der ordnungsliebende Mitbürger hatte bestimmt gute Absichten bei der Lieblingsbeschäftigung des Deutschen, das Anbringen von passiv aggressiven Schildern. Um seine redlichen Absichten zu untermauern, hat er wohl einen Plastikball auf den Wegrand geworfen...


Leiter oder agiler Kletterer

Ein verwaister Plastikball...Anscheinend hat hier wirklich mal irgendwer gespielt. Oder einfach seinen Ball verloren.


Weitere Höhepunkte des Schleichwegs sind schnell niedergeschrieben. Ein altes Eisentor ist nett anzuschauen und weist den typischen Werler Charme auf, der sich durch 2 Faktoren auszeichnet. Erstens, es muss alt sein. Zweitens, es darf nicht gewartet oder gepflegt worden sein. Das gilt auch für den leicht abseits befindlichen und versteckten Bolzplatz, auf dem man saftige Blutgrätschen auspacken könnte, wenn dieser nicht (wie so viele schöne Dinge) hinter einem Schloss verbotene Anziehungskraft ausstrahlen würde. Eine klassische Tischtennisplatte im Schulhofdesign lädt zum Entsorgen angeknabberter Äpfel ein.


Was heißt "Freund" auf elbisch?

Köttenarena am Pengelpad

Analoge Lockfalle von Pokémon-Go Spielern.

Ansonsten sind die üblichen Kunstwerke/Schmierereien an verschiedenen Untergründen angebracht und laden zum Verweilen ein. Mit Dosenbier und gestopfter Kippe kann man sich am Pengelpad dem entschleunigten Genuss hochmoderner Straßenkunst Werler Machart hingeben. Das ist ein viel progressiverer Ansatz, als man es von den altbackenen Gemäldekabuffs, wie dem Louvre kennt. Gewürzt wird dieses kulturelle Erlebnis mit den daherflanierenden Passanten, die werltypisch vulgäre Selbstgespräche führen oder einfach 3 Kilometer gegen den Wind stinken.


Da kann Walentowski einpacken. Galerie am Pengelpad.

Begrünte Bilder


Da der ehemals mit Glockengeläut beschallte Pfad durch einige Gegenden führt, in denen es heiß hergeht, munkelt man, dass der Pengelpad zu gewissen Zeiten nicht unbedingt allein durchquert werden sollte. Schließlich startet man im Werler Norden, wo ein falscher Blick dazu führen könnte, dass man das Aufschieben seines Testaments bereut. Ebenfalls kommt man in die Nähe des Rathauses, wo mit Stempeln und Wartenummern bewaffnete Beamte herumlungern. Das Konvikt ist direkt daneben und gewisse Gestalten führen dort ihr zwielichtiges Dasein jenseits der Vorstellungskraft einfacher Einwohner, die nur um die Gültigkeit des Pfandbons besorgt sind. Allerdings ist Werl bekanntlich ein Abenteuer und ein richtiger Abenteurer (das ist man als Werler per definitionem) scheut auch nicht die Gefahr, die an jeder nach Pisse müffelnder Ecke lauert.


Wer also das nächste Mal sorglos am Pengelpad spazieren geht, sollte sich nicht wundern, wenn ein Kerl mit schwingenden Armen herumrennt und dabei „Tschuut Tschutt“ ruft. Es wird unser talentfreier Praktikant sein, der durch diese Street-Performance auf die vergangene Nutzung als Kleinbahn hinweisen möchte.


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