Schule ist wichtig. Das behaupten jedenfalls Anzugträger, die nach der Schule weiterhin auf Frontalunterricht im universitären Kontext abgefahren sind. Sie fanden ihre Zeit als Eleven so faszinierend, dass sie am liebsten bis zur Rente büffeln wollten. Jedenfalls ist unser germanisches Schulsystem weltweit berühmt und wird allumfänglich beneidet.
Bestehende Macht- und Vermögensverhältnisse werden durch das ausgefeiltes Gebilde weiter verfestigt und somit ein hohes Maß an Undurchdringlichkeit erreicht. Außerdem wird nicht jedem neuartigen Trend hinterhergechelt, sondern bestehende und bewährte Vorgehensweisen in überlegter Art verfeinert. Wo in anderen Ländern mit verdummenden Tablets wild umhergeschmissen wird, haben wir inzwischenb schon den Schritt von der Schiefertafel zum Heft bewältigt. Konstanz geht eben über stumpfen Aktionismus. Die abenteuerliche Reise eines jeden Transferleistungsbeziehers beginnt in der Grundschule. Auch ich habe dort meine Bildungslaufbahn begonnen. Unter der Herrschaft des Klassenlehrers Burkhard Feldmann verdiente ich meine Sporen auf der Petri-Grundschule im berüchtigten Werler Norden. Und genau um diese traditionsreiche Institution soll es heute gehen.
Chronologie einer Legende
Bevor ich aus dem verstaubten Nähkästchen plaudere und meine eigenen Erfahrungen in diese Ehrung einfließen lasse, sollte der Bildungsauftrag der Werler Kötte nicht zu kurz kommen. Grundlage für die folgenden Informationen bildet ein Artikel von Karla Schäfer und meinem alten Klassenlehrer, welcher in „Werl-gestern-heute-morgen“ 2003 erschienen ist.
Die Reise beginnt im Jahr 1949, als druckfrische Richtlinien für den Schulbau festgelegt wurden. Dabei sollte auf eine freie Lage in der Natur und eine Baukörpergruppierung geachtet werden, die von allen Seiten mit Sonnenlicht versorgt wurde. Einstöckige Bauweise mit der Möglichkeit zur Erweiterung wurde ebenfalls empfohlen.
Die Gemeinde St. Peter im nördlichen Randbezirk Werls stellte das Grundstück für die katholische Bekenntnisschule zur Verfügung. 1952 begannen die Bauarbeiten und im Frühjahr des Folgejahres startete der Unterricht, wobei der über die Zeit zur Gewohnheit werdende Platzmangel schon anfangs zur teilweisen Auslagerung an die Walburgisschule führte. Schulküche, Werkraum, Unterbringung für den Hausmeister und eine Bücherei folgten. 1959 wurde die Turnhalle fertiggestellt.
Weitere Trakte erweiterten stetig das Gelände, sodass Aula, Pausenhalle und Unterkellerungen zu einer verbesserten Situation für die Köttenkinder führten. Im Jahr 1969 folgte dann sogar das hochmoderne Lehrschwimmbecken.
Geburt der Grundschule
Im Jahr 1968 wurde ein neues Schulverwaltungsgesetz auf den Weg gebracht, dass u.a. die Gliederung in Grund- und Hauptschule vorsah. Dadurch entstand erneut ein akuter Platzmangel, der u.a. dazu führte, dass anfangs auch Unterricht in Sönnern stattfand. Zudem mussten die Stundenpläne beider Schulen (Grund- und Hauptschule, du Blitzmerker) immer aufeinander abgestimmt werden, da die Turnhalle und das Lehrschwimmbecken, wie auch weitere Räumlichkeiten clever aufgeteilt werden mussten.
1987 wehte der Wind der Veränderung durch den düsteren Norden. Ein VHS-Rekorder samt TV-Gerät wurden angeschafft und läuteten das Zeitalter der Moderne ein. Crazy Times!
90er: Erneuerung unter schwierigen Voraussetzungen
1991 wurde der Förderverein gegründet, durch dessen Engagement viele Projekte umgesetzt werden konnten und eine bessere Vernetzung mit den Eltern realisiert wurde. Der erste Vorsitzende war übrigens Othmar „Otti“ Haupt, dessen langjähriger und leidenschaftlicher Einsatz in etlichen Bereichen beeindruckend und ehrfurchteinflößend zugleich ist.
Ein jährlicher Lesewettbewerb samt Förderprogramm zur Alphabetisierung wurde 1992 eingeführt. In den Jahren 93/94 wurde der Parallelunterricht in Sönnern beendet und zunehmend eine Ganztagsbetreuung angeboten. In dem Zeitraum wurde auch der erste Computer angeschafft, der u.a. zur Planung des Schulgartens genutzt wurde, was wiederum sogar in einer Fachzeitschrift Erwähnung fand. Federführend war Herr Lefarth, der in Sachen Naturpädagogik auch abseits des Schulalltags sehr aktiv war. Jugendumweltpreise 99 und 2001 waren die Folge dieser Bemühungen. Eine Solaranlage wurde Ende der 90er ebenfalls auf einem Dach in Betrieb genommen, um die Möglichkeiten erneuerbarer Energien zu veranschaulichen.
Seit 1999 besteht eine Partnerschaft mit einer Grundschule in Halle (Belgien), welche u.a. durch gegenseitige Besuche gepflegt wird.
Der Werler Norden ist bekannt für seine kunterbunte Struktur in Sachen Nationalitäten, kulturellen Hintergründen und den damit verbundenen Herausforderungen. Dazu werde ich später noch etwas ausführlicher kommen, wenn es um meinen persönlichen Bezug zur Petri-Grundschule geht.
Abriss und Neuaufbau
Die alten Räumlichkeiten stehen momentan leer und warten auf Abrissarbeiten, die jedoch aufgrund der üblichen Verzögerungen noch ein wenig auf sich warten lassen. Die Grundschüler*innen gehen ihrem Beruf mittlerweile im Gebäude der ehemaligen Hauptschule nach. Auf dem alten Gelände wird die dringend benötigte Erweiterung der Peter-Härtling Schule entstehen und somit weiter dem Zweck der Bildung dienen.
Das in die Jahre gekommene Lehrschwimmbecken ist mittlerweile zu einer Mensa und Ganztagesbetreuung umfunktioniert worden und die marode Turnhalle ist einem Neubau samt kleinem Soccerplatz gewichen. Der Langenwiedenweg bleibt also auch zukünftig ein wichtiger Ort für den schulischen Sektor.
Kindheit und Schule im Norden
Ich bin ein Kind des Werler Nordens und habe eine (trotz aller Widrigkeiten) unfassbar schöne Zeit im Drosselweg verleben dürfen. Dementsprechend hieß es für mich, dass ich mit dem Erreichen der Schulpflicht in die Petri musste. Sicherlich verklärt man die Vergangenheit grundsätzlich, doch meine Jahre in den Klassen 1b-4b haben mich in meiner Persönlichkeit nachhaltig geprägt und ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit herrscht vor, wenn ich an diese Phase zurückdenke.
Woher kommst du?
Das Thema Nationalität ist leider immer wieder ein minenübersätes Feld, in dem sich vor allem Menschen zu Wort melden, die ihre Herkunft als stolze Leistung vor sich hertragen und damit ihren geistigen Durchfall legitimieren. Wer im Werler Norden aufgewachsen ist und die Petri-Grundschule besucht hat, ist zwar nicht gegen derartige Auswüchse immun, misst dem Äußeren und sprachlichen Barrieren aber von Haus aus weniger Bedeutung zu. Daher möchte ich möglichst kurz meine Erfahrungen schildern, die ich im Zusammenhang mit dem Kontakt zu nicht klischeehaft biodeutschen Mitschüler*innen gemacht habe und dabei auch darauf eingehen, welche Rolle die Grundschule bzw. deren Lehrkräfte gespielt haben.
Die Petri wurde von Geflüchteten aus Syrien besucht, Spätaussiedler hockten auf den unbequemen Holzstühlen, Polen, Russen, Kasachen, Türken, Araber, Italiener, Belgier und unzählige weitere Hintergründe tummelten sich auf dem Pausenhof. Diese Vielfalt war (wenn ich nicht zu verklärend an die Sache herangehe) nie der Auslöser für große Konflikte. Die Grundlage für den Umgang miteinander wurde von den Lehrer*innen vorgelebt. Jedes Köttenkind hatte dieselben Rechte und Pflichten. Die vorhandenen Barrieren sprachlicher Natur waren im ersten Schuljahr noch augenscheinlich, doch Blagen sind bekanntlich lernfähiger als die ausgewachsenen Pendants, sodass beinahe wöchentlich Fortschritte erlebt werden konnten, die in der Pause aber hinfällig waren, denn Pöhlen, Hüpfkästchen und Fangspiele funktionieren in sprachungebundener Weise.
Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir Igor. Ein Hüne von Kerl, der mich bereits in der ersten Klasse um mehrere Köppe überragte. Anfangs war ein „Hallo“ noch das höchste der Gefühle, wenn es um verbale Kommunikation ging. Durch seine herzerwärmende Art und einen Fleiß, den ich wohl auch unter Drogeneinfluss nicht erreichen könnte, entwickelte er ein Sprachniveau, welches viele gebürtige Werler*innen zeitlebens nie erlangen werden. Falls du das liest Herr S., es war mir eine Ehre mit Dir das Abenteuer Grundschule bewältigt zu haben! Du blöder Streber 😉
Die neugierige Lust am Lernen, die in der Natur junger Köttenkinder liegt, prägte den Alltag. Dabei spielte es keine Rolle, welchen wie auch immer gearteten Hintergrund das jeweilige Blag hatte, was auch einer der Gründe ist, weshalb Kids im Zweifel die produktiveren Gesprächspartner im Vergleich zu erwachsenen Erdbewohnern sind. Doch genug davon, schließlich hat es damals auch keine erwähnenswerte Rolle gespielt.
Im Klassenzimmer
Wichtig ist auf’n Platz heißt ein wahrhaftiges Fußballersprichwort. Und daher sollten wir auch einen Blick auf den schnöden Unterricht werfen. Natürlich wurden uns die Grundlagen beigebracht, die für den Beruf des Schülers unabdingbar sind. Lesen, Schreiben, Rechnen waren die gewohnten Begleiter im Alltag. Für mich in Erinnerung geblieben ist die Grundstimmung bezüglich des Umgangs mit Stärken und Schwächen. Im Gegensatz zur Defizitorientierung, die auf den weiterführenden Schulen zunehmend Präsenz erhielt, erinnere ich mich gut, dass Interessen erkannt und gefördert wurden. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte dabei auch das soziale Lernen, denn der Umgang mit Konflikten, Meinungsverschiedenheiten und die Einübung einer gewissen Kompromissbereitschaft standen ebenso auf der Tagesordnung, wie das kleine Einmaleins.
Doch erwähnenswerte Höhepunkte lockerten das trockene Geschehen immer wieder auf. Feldmann war einer der Co-Autoren eines Sachbuches über den Kreis Soest, welches wir durchackerten, um unsere Umgebung besser kennenzulernen, was für Jede*n einen unterschiedlichen Stellenwert hatte. Als es um Westönnen ging, wurde u.a. die Sauerkrautproduktion besprochen, weshalb wir in den Kellerräumen selbst die einzelnen Schritte (inklusive der stampfigen Beinarbeit) durchführten. Auch gebastelte Drachen wurden am ehemaligen Flugplatz in die Lüfte geschickt und nach einem zeitlich begrenzten Aufenthalt einer Schülerin aus dem Berufsfeld der fahrenden Zirkusfamilien, stellten wir eine eigene Manege auf die Beine. Clownerie, Artistik, Magie und viel Spaß fanden Einzug in die Räumlichkeiten des Lernens. Die klischeehafte Kunstlehrerin (kuriose Persönlichkeit) brachte uns neben dem Vertrauen in jedwedes Gekritzel auch Grundlagen der Handarbeit näher, die ich leider nicht weiterverfolgt habe.
Als Köttenkind hat man noch einen Bewegungsdrang, der im Zuge exzessiven Alkoholkonsums mit dem Alter spürbar nachlässt. In der Grundschule nimmt der Sport-/Schwimmunterricht eine bedeutende Rolle ein. Beim Turnen wurden essentielle Kompetenzen vermittelt, wie die Achtung von besprochenen Regeln, der Fair-Play Gedanke und der grundlegende Spaß am Rumgehampel. Beim Fußballspielen wurden Schärpen genutzt, um die Teamzugehörigkeit erkennbar zu machen und „richtige“ Tore gab es nicht. Grüne Farbe an den Wänden markierte die Begrenzungen, wobei diese mit den Jahren verblasste. Nachmittags wurden die bemalten Tore auch im Zuge der Fußball-AG beschossen.
Das Lehrschwimmbecken ist mir ebenfalls gut in Erinnerung geblieben. Spielstunden, Übungen zur Fortbewegung auf und unter Wasser sorgten immer wieder für Abwechslung und der bewegliche Boden war ein faszinierendes Wunder der Ingenieurskunst.
Lieblingsfach? Pause!
Büffeln ist wichtig, doch die Pausen auf dem Schulhof nehmen in der melancholischen Rückschau naturgemäß eine spezielle Position ein. Was haben wir in den Unterbrechungen des Büffelns eigentlich so getrieben? Nun ja, da wir aufgrund der rückständigen Technologie noch nicht auf TikTok, PaytoWin Spieleapps und Cybermobbing zurückgreifen konnten, mussten wir zwangsläufig die klassischen Beschäftigungen wählen.
Fang- und Versteckvarianten standen ebenso auf der Tagesordnung, wie alles, was mit Ballsport zu tun hatte. Tischtennis war damals noch nicht so angesagt, was sich mit dem Wechsel auf das MG ändern sollte. Fußball wurde ausgiebig gespielt. Auf einem Kiesplatz, der Hosen zerfetzte und Kniescheiben aufriss, rannten wir hinter dem runden Leder hinterher. Da es keine Tore gab, nutzten wir 2 Bäume als natürliche Alternative und häuften auf der Gegenseite Kies auf.
Eine lange Zeit lang nutzte ich mich 2-3 anderen Jäustern die Hüpfkästchen. Wir hatten sogar ein Lieblingskunstwerk, weshalb wir nach der erlösenden Klingel eilig dorthin hetzten, um mit erlesenen Steinen ans Werk gehen zu können.
Durch den Zaun getrennt beobachteten wir gelegentlich auch die Hauptschüler*innen, die in Sachen Style, Umgangston und Freizeitaktivitäten den einen oder anderen Schritt weiter waren. Doch in wenigen Jahren würden wir auch ihr Niveau erreicht haben.
Langenwiedenweg- gelernt wird immer
Der Werler Norden ist eine besondere Gegend, in der ich mich grundsätzlich wohlfühle. Der traditionsreiche Knast, Gewerbegebiet, viele Neubauten, Bestattungsunternehmen, eine über die Jahre gewachsene Lampenzusammenschusterei, ein Hotel, die Kirche, die Kontaktstelle Nord (die eine sehr wertvolle Arbeit leistet) und viel Geschichte. Allerdings auch eine Vermögensstruktur, die oftmals keine großen Sprünge der Familien ermöglicht. Gerade deshalb ist eine moderne und zeitgemäße Grundschule umso wichtiger, um die Chancenungleichheit möglichst kleinzuhalten. Ich persönlich habe in der Zeit an der Petri-Grundschule viel Lernstoff verinnerlicht, aber auch universelle Wertvorstellungen entwickeln können. Umso mehr freut es, dass die Historie der Grundschule fortgesetzt wird und auch die Peter-Härtling Schule Einzug halten wird.
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