Wir schreiben das Jahr 1996 und ich befinde mich im zärtlichen Alter von 8 Jahren. Werl hat noch einige Videotheken, wir zahlen mit der DM und ein Spiel erscheint, das den Grundstein für eine bis heute erfolgreiche Serie legt. Über die Entstehung, Bedeutung, Stärken, Schwächen und Besonderheiten gibt es im Internet mehr Material als in einer handelsüblichen Universitätsbibliothek. Für die Lesefaulen bietet youtube etliche Stunden lehrreichen Inhalts zu begucken. Daher werde ich im Verlauf des Berichts eher zurückhaltend mit den offen zugänglichen Fakten umgehen und vor allem meinen persönlichen Bezug erläutern.
Wiederauferstehung der Zombies
Die Playstation 1 erblickte 1994 das Licht der Welt. Bis Resident Evil, einer der Eckpfeiler für die Neuentdeckung des Zombie-Genres, seinen Weg in die Konsolen fand, war das Angebot an Software qualitativ in Ordnung, aber auch nicht sonderlich aufregend. Rennspiele, Jump’n’Runs, ein wenig Geballer und Gekloppe und die obligatorischen Sportverballhornungen prägten das Erscheinungsbild. Alles spaßig, einige Höhepunkte (Theme Park, Ridge Racer, Worms etc.), aber das Rad wurde auch nicht neu erfunden.
Als Resident Evil 1996 in die Regale kam, änderte sich dies von Grund auf. Bevor ich meine persönliche Liebesbeziehung ausschmücke, sollten einige Umstände Beachtung finden, die informierten Zockern zwar bekannt sein dürften, aber dennoch einfach hier hereingehören.
Shinji Mikami war bei Capcom für die Disney Versoftungen auf den Nintendo Konsolen zuständig und empfand kein großes Bedürfnis, irgendwas mit Horror zu machen, da er eine kleine Schissbuxe war. Als das Studio eine Neuauflage von „Sweet Home“, einer Filmumsetzung für den Nintendo ins Visier nahm, sollte er aber gerade aufgrund seiner Abneigung ans Ruder. Sweet Home spielt in einem gruseligen Anwesen, das von einem Kamerateam begutachtet wird. Dabei wurden viele Mechaniken implementiert, die von Resident Evil und anderen Titeln aufgegriffen wurde. Permadeath (Spielfigur bleibt nach dem Ableben mausetot), Türen als Ladebildschirme (kleiner Trick, der die Atmosphäre nicht zerstört und der Konsole Zeit beim Laden des neuen Raums gibt), Rätsel, Sterbeanimationen und das Setting im abgelegenen Herrenhaus.
Wie jedes Spiel durchlief auch Resident Evil einige Phasen, in denen unterschiedliche Ansätze ausprobiert wurden. Ego-Perspektive, Kooperationsmodus, verworfene Charaktere und Variationen der feindlichen Untoten sind da nur einige Beispiele.
Begründer des „Survival Horrors“? Nein und vor allem Ja!
Bezüglich Resident Evil wird oft vom Begründer des Survival Horror Genres gesprochen, was so natürlich nicht ganz stimmt. Neben dem Vorgänger im Geiste sind in diesem Zusammenhang auch „Alone in the Dark“ und „Clock Tower“ zu nennen, die vor RESI mit den Ängsten von Zockern gespielt haben. Dennoch machen der kommerzielle Erfolg in Verbindung mit den vielen Puzzleteilen und den Nachfolgern diesen Status durchaus nachvollziehbar. Wenn man einen geladenen Spielstand fortsetzen wollte, zierte den flimmernden Röhrenbildschirm auch der Schriftzug „You once again entered the world of survival horror.“.
Seichte Handlung, komplexes Spielprinzip
Worum geht es eigentlich? Nach brutalen Morden in den Waldgebieten am Rande Raccoon Citys wird das Bravo Team der Spezialeinheit S.T.A.R.S. (Special Tactics and Rescue Service) losgeschickt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Helikopter macht ne Bruchlandung, Alpha Team macht sich auf die Socken und möchte herausfinden, was mit den Kollegen passiert ist.
Die Superbullen finden das Wrack und eine abgetrennte Hand, an der noch eine Knarre hängt. Allerdings können sie den Unfallort nicht lange untersuchen, denn eine Horde blutrünstiger Tölen greift unvermittelt an. Ballernd flüchten die Mitglieder in ein umranktes Herrenhaus, das einsam und verlassen im Wald herumsteht. Das Setting wird im Übrigen durch eine Introsequenz vorgestellt, die mit echten Schauspielern (oder besser Darstellern von Schauspiellaien) in feinster Trash Movie Manier daherkommt.
Erlöst von der fragwürdigen, aber zeitlos ansehnlichen Inszenierung, startet das Spiel im Foyer der Spencer Villa. Je nachdem, ob man sich für Chris Redfield oder Jill Valentine entschieden hat, unterscheidet sich das Spielprinzip und einige Handlungsmomente ein wenig voneinander.
Das Spiel verfügt über fixe Kameraperspektiven, sodass die Hintergründe vorgerendert und für die damalige Zeit recht nett anzuschauen sind (der Nachfolger setzt nochmal deutlich einen drauf). Dadurch wechselt die Ansicht, wenn man bestimmte Punkte in den Räumen betritt. Für die Steuerung bedeutet dies, dass die sogenannte „Tank Control“ zum Einsatz kommt. Egal, von wo man auf seine Figur schaut, ein Betätigen des „Pfeils nach Oben“ führt dazu, dass der Avatar von seiner Blickrichtung aus vorwärts geht. Klingt kompliziert, ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber schnell zu erlernen.
Vom Grundprinzip her rennt man durch die verwinkelte (aber übersichtliche) Bude, begegnet verwesenden Gestalten, ballert diese über den Haufen oder rennt geschwind an ihnen vorbei, sucht Gegenstände, löst Rätsel, schaut sich unfreiwillig komische Zwischensequenzen an, in denen die Synchronsprecher legendär schlecht geschriebenen Unsinn labern und erkundet immer mehr Abschnitte des Herrenhauses, das natürlich mehr als eine pompöse, von Fallen und ausgefallenen Mechaniken wimmelnde Waldhütte ist. Das Pharmaunternehmen „Umbrella“, größter Arbeitgeber der Stadt, unterhält dort nämlich ein geheimes Labor, wo an Biowaffen herumgeforscht wird. Untermalt wird das Geschehen von einem stimmungsvollen Soundtrack, der Beklemmung und Isolation vermittelt (jedenfalls, wenn man die Finger vom Director’s Cut lässt).
Die Mitnahme von Gegenständen (Wummen, Munition, Heilgegenstände, Zeug zum Rätsellösen) ist begrenzt, wobei man sein Hab und Gut in Boxen lagern kann, die im Haus verteilt sind. Der Nachschub für Pistole und Co. hält sich ebenso in Grenzen, weshalb der Spieler trotz der Gegenwart von stöhnenden Hirnjunkies taktisch vorgehen sollte, zumal man nicht mal eben abspeichern kann. Mittels zu findender Farbbänder kann man seinen Spielstand an hochmodernen Schreibmaschinen sichern. Die Verbindung von knappen Ressourcen, wenig Stauraum im Gepäck, eingeschränkten Speicherpunkten, einer ebenso eingeschränkten Kameraperspektive und einer relativen Beklemmung führen schließlich zum Erlebnis, das sich Survival Horror nennt.
Irgendwann entwindet sich die vorhersehbare Geschichte mit dem offensichtlichsten Verräter der Videospielgeschichte und man betrachtet den klischeebeladenen Abspann. Verschiedene Enden regen den Zocker wiederum zum wiederholten Betreten des Herrenhauses an.
Köttenkind als Zuschauer
Über den Auftakt gibt es mehr als ausreichend Hintergrundmaterial zum Lesen und Betrachten, weshalb ich mich auch nicht zu sehr mit bereits bekannten Aspekten aufhalten wollte.
Für mich ist und bleibt Resident Evil etwas ganz Besonderes. Bereits früh bin ich mit Videospielen in Kontakt gekommen und habe dank Mutter und Bruder eine beneidenswerte Sozialisation erfahren dürfen. Mama wollte sich nicht von FSK und BPjS in die Erziehung reinpfuschen lassen und die brüderliche Eule verfügte über einen erlauchten Spielegeschmack, von dem das kleine Köttenkind profitierte.
Im Jahr 1996 kam Resident heraus und übertraf die Erwartungen von Entwicklern und controllerhaltenden Kunden zugleich. Ich habe mit 8 Jahren natürlich nicht über die Fähigkeiten verfügt, dieses Spiel zu bewältigen. Im Kinderzimmer machte ich es mir unter der Bettdecke bequem, während mein großer Bruder das von unserer Mutter aus der Videothek geliehene Spiel in gewohnt professioneller Weise durchzockte.
Ikonische Momente, geschätzte Erinnerungen und Englischunterricht
Im Verlauf des Abenteuers erlebte ich einige besondere Augenblicke, die sich in dem Schweizer Käse zwischen meinen Ohren festgebrannt haben. Hier zwei, welche in die Videospielhistorie eingegangen sind:
Aber auch die musikalische Gestaltung des Zombieschockers übte eine große Faszination aus. Während die Streich- und Blasinstrumente Nervenstränge stimulierten, derer Existenz ich mir nicht bewusst war, konnte man schlurfende Schritte hören, sodass die Stimmung alle Sinne berührte. Infolge eines Rätsels muss der Spieler die Mondscheinsonate auf einem Klavier zum Besten geben. Für mich auch heute noch ein Moment, der unter die Haut geht.
Gut kann ich mich noch an ein Rätsel mit Gemälden erinnern, die man in die richtige Reihenfolge zu bringen hatte, da man ansonsten von Krähen zu Tode gepickt wurde. Mein Bruder löste natürlich auch diese Herausforderung, was rückblickend umso erstaunlicher ist, wenn man bedenkt, dass man früher nicht mal eben bei google nachfragen konnte und Komplettlösungen in der Regel das Budget Werler Bürger sprengten.
Einen Großteil der teils grauenvollen Dialoge konnte ich bereits früh auswendig mitsprechen (und kann es immer noch). Über die Vertonung kann man vollkommen zurecht meckern und höhnisch die Nase rümpfen. Dennoch habe ich die Stimme Barry Burtons immer gemocht, wenngleich die Sätze aus seinem Mund meist nicht von philosophischer Tragweite waren.
Durch das gespannte Betrachten des spielbaren Horrorfilms kam ich schon früh mit der englischen Sprache in Berührung. Da mich das Gesehene interessierte, musste mein Bruder immer für mich übersetzen, wenn ich mit dem Lesen nicht hinterherkam. Prädikat „pädagogisch wertvoll“.
Verteilt in der Villa konnte man etliche Notizen, Tagebucheinträge und Berichte finden, die zur Lebendigkeit der Welt beitrugen und das Kopfkino in Gang setzten. Legendär ist das Tagebuch des Wärters oder Wachmanns, der allmählich mutiert. Höhepunkt ist sein letzter Eintrag. Fever gone but itchy. Hungry and eat doggy food. Itchy itchy Scott came. Ugly face so killed him. Tasty
Wenn der Konsolenchef mal unterwegs war, setzte ich mich gelegentlich auch vor den Röhrenfernseher, startete von Anfang an (daher kann ich die erste halbe Stunde tatsächlich auswendig mitsprechen) oder setzte einen Speicherstand fort, bei welchem ich nach kurzer Zeit die Todessequenz bestaunen durfte.
Ich bin auf jeden Fall unfassbar dankbar, dass dieses Spiel in unserer alten Playsie gelaufen ist. Auch wenn es an allen Ecken Schwächen hat, wurde mit dem Teil der erste Schritt in ein Genre gewagt, das mich noch heute abholt. Umso trauriger, dass der Drehbuchentwurf von George A. Romero damals nicht den Anklang gefunden hat, den er verdient hätte. Mit Sicherheit hätte die Filmserie einen anderen Ruf unter der weltweiten Anhängerschaft genossen. Nicht originalgetreu, aber deutlich näher am Ursprungsmaterial als der Unsinn, der stattdessen in den Kinos lief.
Für alle, die Englisch beherrschen und Interesse haben; hier gibt es den Entwurf*
Comments