Wir befinden uns am Beginn des 21. Jahrhunderts und die Erdbewohner kleiden sich wie betrunkene Drogenjunkies aus den 90er. Die Videospielbranche verzeichnet unverändert steigende Verkaufszahlen und die Bandbreite unterschiedlicher Genres wächst weiterhin. Seitdem aufmerksamkeitsgestörte Blagen vor der Flimmerkiste virtuelle Welten betreten, hält sich jedoch ein Genre wie ein sturer und unverrückbarer Fels in der tosenden Brandung der Wechselhaftigkeit. Es geht um Sportspiele im weitesten Sinne. Je nach Markt bevorzugen die Daddelfanatiker Fußball, Autorennspiele, American Football, Eishockey, sich gegenseitig die Fresse polieren oder knopfdrückend im Kreis laufen. Anfang der 2000 erlangte ein skurriler Wintersport in Deutschland wiederum so große Popularität, dass eine neue Serie geboren wurde.
Wie an der Überschrift unschwer zu erkennen ist, handelt es sich dabei um das sogenannte Skispringen. Grundsätzlich ist dies Weitsprung auf Skiern. Die Athleten fahren eine Rampe herunter und erreichen dabei Geschwindigkeiten zwischen 90-100 Km/h. Weltklassespringer fliegen je nach Bauart der Sprungschanze zwischen 120-220 Meter weit. Dabei spielen viele Faktoren eine entscheidende Rolle, denen wir uns später etwas eingehender widmen werden.
Schmitti, Hanni und andere Popstars
Um die Jahrtausendwende herum erfreute sich das Skispringen einer besonderen Beliebtheit. Die deutschen Springer hingen in Form von Bravo-Starschnitten in den Zimmern der Jugendlichen. Die Athleten versprühten dabei eine bodenständige Naivität, die man von den üblichen Fußballern und Tennisspielern nicht kannte. Hinzu kommt, dass die „Spielregeln“ des Sports sehr zugänglich sind. Wichtig ist, dass man möglichst weit fliegt und dabei eine elegante Figur macht. Die Details wurden einem dann von Günther Jauch und einem ehemaligen Springer in simpler Sprache erläutert. Trotz dieser Einfachheit, zeichnet sich das Schanzengehüpfe durch spektakuläre Bilder aus, die den Zuschauer faszinieren. Wenn so ein magersüchtiger Kerl ins Tal fliegt und dabei keinerlei Schutzkleidung trägt, wirkt es auf den ersten Blick wie ein Suizidversuch mit Helm. Das Risiko eines verheerenden Sturzes wirkt dabei analog zu den möglichen Unfällen in der amerikanischen NASCAR-Serie.
Durch den Erfolg der deutschen Adler wurde ein Massenpublikum angesprochen, welches auch die Entwicklung eines Spiels für die gängigen Konsolen rechtfertigte. Bereits die Playstation 1 diente als Plattform für die ersten Sprungversuche im virtuellen Raum. Nach Vorbildern der jährlich minimal veränderten Fußballsimulationen folgten regelmäßige Titel der Serie „RTL Skispringen“. Da ich zwar jede Erscheinung gespielt habe, nun aber nur noch den Jahrgang 2006 besitze, werde ich mich für diesen Bericht mit besagtem Vertreter der Reihe beschäftigen.
Minispiel für Fortgeschrittene
Bevor wir uns mit dem Herzstück des Spiels, dem Karrieremodus befassen, sollte ein Blick auf das Prinzip des eigentlichen Sprungs gelegt werden, dessen Aufbau eher einem Minispiel gleicht.
Der Ablauf eines Versuchs kann in 3 Phasen eingeteilt werden.
1. Anlauf: Nachdem sich der virtuelle Hüpfer vom Balken abgestoßen hat, rast er in 2 Spuren dem Abgrund entgegen. Um dabei eine möglichst hohe Geschwindigkeit zu erreichen (die erstaunlicherweise zu höheren Weiten führt), muss man mittels linkem Analogstick den Schwerpunkt möglichst mittig halten. Klingt einfach, ist je nach Windbedingungen aber nicht ganz so simpel, zumal ein Auge auch auf den sich nähernden Absprungpunkt geworfen werden sollte. Denn kurz vor dem Erreichen des sogenannten Schanzentisches muss der X-Knopf gehalten werden (Kraft sammeln für den Sprung). Zum richtigen Zeitpunkt muss nun der Knopf losgelassen und der Stick nach unten gewuchtet werden. Nur ein schneller Anlauf, rechtzeitiges Beginnen und Beenden des Absprungvorgangs ermöglichen nämlich einen anständigen Sprung.
2. Flugphase: Wenn alles funktioniert hat und man nicht zu spät alle erforderlichen Handgriffe getätigt hat, segelt der Adler nun durch die Lüfte. Da es unter Umständen etwas windig sein könnte, muss der dirigierende Spieler gegebenenfalls nachjustieren, um Turbulenzen zu minimieren. Ein möglichst ruhiger Flug führt nämlich zu einer größeren Weite und hat Einfluss auf die Haltungsnoten.
3. Landung: Je nach Leistung des Joystickvirtuosen nähert man sich unvermeidlich dem Zeitpunkt, an dem die Landung eingeleitet werden muss. Dazu löst man die sogenannte V-Stellung auf, indem man den Stick wieder nach vorne bewegt. Unmittelbar danach noch die X-Taste betätigen und der Springer setzt den Telemark, der elegant und kniezerstörend zugleich ist. Zum Abschluss werden die Haltungsnoten der 5 Punktrichter vergeben (idealerweise 20.0), wobei die beste und schlechteste Note gestrichen werden.
Und was ist daran jetzt so toll?!
Wenn ich mir das Gelaber jetzt so durchlese, muss ich konstatieren, dass das Spielprinzip ziemlich fade und langweilig klingt. Doch gehört der Skisprung in die Kategorie „leicht zu erlernen, schwer zu meistern“. Besonders der Absprung samt Einleiten der V-Stellung und die Landung stellen für den Anfänger eine ziemliche Herausforderung dar. Auch die Kontrolle des Fluges erfordert so viel Fingerspitzengefühl, wie Einfädeln von Nähgarn in einer bremsenden Eurobahn.
Außerdem wohnt dem Gehopse eine Faszination inne, die viele Videospiele der ersten Stunde in ihrer pixeligen Seele tragen. Es geht um die Jagd nach dem Highscore. Schanzenrekorde wollen geknackt werden und man möchte unbedingt noch einen halben Meter weiter als beim vorangegangenen Sprung fliegen. Mit offenem Visier segelt man den Abhang hinunter und riskiert bei den Rekordversuchen immer wieder fatale Stürze, die zu enormen Punktabzügen führen.
Karriere- monoton, aber spaßig
Traditionell bildet der Karrieremodus das Herzstück von Sportspielen. Entweder managt man die Geschicke eines Fußballvereins (Spieler kaufen und trainieren), ackert an der Weltranglistenposition seines erstellten Tennisspielers oder wechselt bei Rennspielen vom Toyota Yaris in den dicken 3er BMW. RTL Skispringen bleibt diesem Vorgehen treu und erfindet das Rad dennoch nicht neu. Dennoch erfüllt der Modus seinen Zweck und hält den Zocker bei Laune.
Ganz zu Beginn muss ein Avatar erstellt werden, dessen Aussehen so abwechslungsreich erscheint, wie die Blumenauswahl an der Tanke. Der Bursche (Frauen gab es 2006 einfach noch nicht) bekommt noch nen tauglichen Namen und eine beliebige Nationalität verpasst und schon geht es ans Eingemachte, denn die körperlichen Voraussetzungen wollen eingestellt werden. Um eine optimale Sprungweite zu erzielen, sollte der digital gezüchtete Athlet möglichst groß und leicht sein. Essstörungen, Magersucht, Bulimie sind übrigens keine Fremdwörter für die aktiven Springer.
Weitere leistungsrelevante Werte sind Sprungkraft, Fitness, Motivation und Gewicht. Daneben gibt es noch Popularität und Verhandlungsgeschick. Naturgemäß sind die Zahlen anfangs noch relativ bescheiden.
Wachsen, trainieren, trainieren, Springen, kaufen, zocken
Wenn man nun alle Vorbereitungen in feinster Rollenspielmanier hinter sich gebracht hat, kann endlich die verheißungsvolle Karriere begonnen werden. Zunächst benötigt man einen Sponsor, der anfangs nur wenige Kröten springen lässt. Nachverhandeln bringt nichts, da die notwendigen Fertigkeitspunkte noch nicht entwickelt sind. Auch der Besuch im Shop, der von Bindungen über Brillen, Skiern und Handschuhen bis hin zu Helmen alles vorrätig hat, muss zunächst warten. Nun ja, vielleicht sind ein paar Handschuhe drin, aber das sollte dann auch reichen.
Die Saison mit ihren unterschiedlichen Veranstaltungen läuft prinzipiell immer gleich ab. Es macht keinen Unterschied, ob man in der Amateurklasse an den Start geht oder bei den Weltklassespringern mitmischt.
Vor jedem Event muss man sich um Training und das Wachsen kümmern. Auf dem Trainermarkt stehen etliche Kandidaten zur Verfügung, die jeweils verschiedene Spezialgebiete und Stärken besitzen. Liebevoll haben die Entwickler den Schleifern, Fitness-Gurus und Coachingwundern kleine Vitas zurechtgeschrieben, welche Charaktertiefe, Authentizität und „HAHA ist das lustig“-Humor aufweisen. Oftmals wird auf deren private Neurosen und fachliche Unzulänglichkeiten hingewiesen. Vor jedem Springen kann man eine gewisse Punktzahl auf die unterschiedlichen Fähigkeiten verteilen, um diese sukzessive zu steigern. Mittels Zusatztraining (ein Sprung, bei dem eine gewisse Punktzahl erreicht werden muss) kann der Sprössling noch ein bisschen Extrafortschritte erzielen.
Bei den Wachsmeistern verhält es sich ähnlich, wobei der Spieler anfänglich nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um die Skier von Profis präparieren zu lassen. Daher besteht auch die Möglichkeit des manuellen Wachsens (dient übrigens einer hohen Geschwindigkeit bei der Abfahrt). Um seine Mischung richtig zu dosieren, muss man sich den Wetterbericht samt Zusammensetzung der Schneeverhältnisse aufmerksam begucken und die passenden Töpfe (Pulver- und grober Schnee, Feuchtigkeit, Temperatur) per Richtungstaste auftragen. Eine Wissenschaft für sich. Wenn man genügend Zaster hat, spart man sich freilich das Herumdoktern an der passenden Mixtur und engagiert einen wahren Meister mit zweifelhafter Biographie.
Schenkelklopfer und aus der Zeit Gefallenes
Die einzelnen Sprungevents laufen immer gleich ab. Ein Qualifikationssprung muss einen Platz unter den besten 50 Hüpfern bescheren, um am Hauptgang teilnehmen zu dürfen, der wiederum in 2 Sprünge aufgeteilt ist. Nach dem ersten Durchgang kommen nur die besten 30 in das Finale. Zu Beginn ist man so schlecht, dass man gerade so über den Vorbau der Schanze kommt und froh ist, wenn man sich für den letzten Durchgang qualifiziert.
Bei Sportspielen verdient die Präsentation oft eine besondere Zuwendung. Schlachtgesänge der Zuschauer, präzise Kommentare von echten Experten, lizensierte Namen der Athleten, hochklassige Grafik und originalgetreue Arenen gehören zum Rezept einer erfolgreichen Sportsimulation. RTL Skispringen war seit jeher für einen vornehmlich altbackenen Ansatz bekannt.
Die Optik ist nicht herausragend, aber auch keine Katastrophe. Die einzelnen Sprünge können in einer mehrere Kameraperspektiven bietenden Wiederholungen bestaunt werden und die Einführung der Ego-Ansicht erhöht das Gefühl von Immersion, wenngleich ich lieber die Third-Person Variante bevorzuge.
Das Kommentatoren-Duo begleitet die Wettbewerbe in einer Art, die Ratlosigkeit erzeugt. Ein sachlicher Schnösel wird von einem ehemaligen (und fiktiven) Spitzensportler unterstützt. Hier die Mitschrift eines Beispieldialogs:
<<Jetzt geht ein deutscher Adler an den Start. Er hat einen richtigen Höhenflug gerade.>> <<Ja, aber es steckt auch harte Arbeit dahinter. Es ist wie mit Poseidon, der zu hoch geflogen ist.>> <<Meinst du nicht Ikarus?>> <<Ja, Sisyphos, habe ich doch fast gesagt.>>
Selten geben die beiden Tölpel (oder Satiriker?!) wirklich bahnbrechende Gedanken zum Besten, lockern das Gehüpfe aber zeitweise auf. Irgendwann wiederholen sich die Laberköppe zwar, doch so richtig nervig wird es eigentlich selten, da man die vom Computer gesteuerten Kontrahenten per Knopfdruck überspringt und somit von Event zu Event fliegt.
Originale Namen von den Berühmtheiten des Sports sucht man leider vergeblich und muss sich mit Verballhornungen selbiger abgeben, was aber weniger dramatisch erscheint, als es beispielsweise in einer Fußballversoftung wäre, wo echte Namen oftmals das schlagende Kaufargument für die Suchtis sind.
Wie wird man Meister, Skisprungmeister?
Einige Spielstunden vergehen, der Schützling wird immer dünner und leistungsstärker. Im Shop erwirbt man sich den heißesten Scheiß in Sachen Technologie und Stil. Trainiert wird man von Koryphäen, der Wachsmeister mischt perfekte Tinkturen für die Bretter zusammen und die Sponsoren schmeißen das Geld hinterher. Zwischendurch lädt Günther Jauch ein und man kann sein Spesenkonto durch die Beantwortung von mehr oder weniger schwierigen Fragen etwas aufbessern. Hier und da lockern Zufallsevents das dröge Unterfangen auf, die minimalen Einfluss auf gewisse Werte haben. Eine Komparsenrolle in der Soap erhöht die Popularität, ein Partyunfall schlägt sich negativ auf die Fitness nieder und andere Zufallsereignisse sorgen für eine Portion Unvorhersehbarkeit.
Inzwischen ist man in der höchsten der 3 Ligen angekommen und nimmt an einer Vielzahl von Wettbewerben teil. Sommerspringen, Skifliegen und Kombinationsturniere wollen bewältigt werden. Irgendwann landet der einst gefertigte Avatar auf jedem Podest ganz oben und ist nicht mehr aufzuhalten. Wie geht es dann weiter? Gibt es eine rührselige Abschlusssequenz?
Die Langzeitmotivation hält sich leider in Grenzen. Die Karriere eines Adlers kann auch im sogenannten „Bundestrainermodus“ begleitet werden, wo weniger talentierte Knöpfchendrücker sich um alle Belange außer das eigentliche Springen kümmern müssen. Klingt langweilig, ist es auch. Abseits des Karrieremodus kann man sich noch am Quiz versuchen oder Übungssprünge bei einstellbaren Bedingungen absolvieren.
Urteil
Bei RTL Skispringen handelt es sich um ein ziemlich kurioses Spiel, das sicherlich nicht für den standardmäßigen Gewohnheitszocker gedacht ist. Trotz der recht speziellen Zielgruppe hat es über viele Jahre gute Verkaufszahlen erzielt und erfreut sich noch immer einer recht stabilen Fanbasis. Trotz einfacher Bauart, simpler Spielweise und einer recht unspektakulären Präsentation, genieße ich jeden einzelnen Sprung. Im Netz kann man Exemplare schon relativ günstig schießen. Also traut euch! 😉
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