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  • AutorenbildWerler Kötte

Werl-Hassliebe

Die deutsche Sprache verfügt über ein prall beladenes Füllhorn voller Silbenkombinationen, die Gefühle ausdrücken können, deren Umschreibung umständliche Satzkonstruktionen wie diese hier benötigen würden. Weltschmerz, alkoholfrei oder auch Hassliebe. Und genau jene Hassliebe bringt die innige Beziehung zwischen Werl und mir ziemlich gut auf den Punkt. Damit könnte ich die Datei abspeichern, zack fertig. Aber ich bin eben ein Freund ausufernder Gedankengänge, die sich so lange im Kreis drehen, bis allen, vor allem mir selber vor Schwindel kotzübel ist. Also fülle ich das Wort mal mit konkretem Inhalt.



Willkommen in Werl


Wer sich nach Werl wagt und dabei das Abenteuer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bestreitet, wird würdig empfangen. Die kariösen Überreste an der Fassade gegenüber könnten mal „WERL“ geformt haben, das ist sogar wahrscheinlich, aber heute sieht es wie die Szenerie eines Blockbusters aus, in dem es um das Überleben nach der Apokalypse oder so geht. Kurz gesagt, ansehnlich ist anders. Passend dazu wird man direkt mit dem roten Faden konfrontiert, der in der Köttenstadt inzwischen zur neuen Normalität geworden ist, wobei dies kein Alleinstellungsmerkmal darstellt. Genau, Müll. Es ist vollkommen egal, wo man sich hier herumtreibt, achtlos entsorgter Unrat ist der stetige Begleiter. Vorzugsweise direkt neben den dafür vorgesehenen Eimern und Tonnen finden sich die Überreste zivilisatorischer Errungenschaften. Dazu passen auch die olfaktorischen Eindrücke, die allerdings für viele Bahnhöfe gelten. Es duftet ein wenig nach würzig abgestandener Pisse (Entschuldigung für die unflätige Ausdrucksweise). Das verwundert kaum, wenn man bedenkt, dass die großräumigen Toiletten in der Eurobahn häufig Betriebsferien machen. Ja, das hat auch seine Gründe…


Ein guter erster Eindruck ist was für Feiglinge.

Das Herz der Stadt


Wen man Leute über die Werler City reden hört, könnte man meinen, dass die erwähnten Eindrücke einer Stadt nach der Apokalypse den Nagel auf die Rübe treffen. Wie beim Bahnhof und dem Müll handelt es sich hier ebenfalls nicht um einen für Werl exklusiven Umstand. Die Fußgängerzonen im Land der dichten Denker bluten überall aus, das ist weder neu noch verwunderlich. Hier soll es jetzt nicht um die Hintergründe, mögliche Wege aus der Misere oder sonstige Spekulationen gehen. Ich möchte einfach etwas differenzierter durch die Stadt flanieren.


Es gibt nur noch Handyläden, Friseure und Billigläden. Ne, eben nicht. Aber unabhängig von den folgenden Ausführungen sollte erwähnt werden, dass Menschen sich gelegentlich das Gewucher auf der Birne in Form schneiden lassen wollen. Handyläden sind jetzt kein Ort, an dem ich ausufernd viel Zeit verbringe, aber manche Leute lassen sich eben gerne beraten, bevor sie das nächste Smartphone an die Großhirnrinde anschließen. Und zu den Billigläden. Ich mache mich gerne über TEDi, Woolworth und KiK lustig, dennoch bin ich regelmäßig in den Plastikparadiesen. Doch genug davon, denn Werl hat mehr zu bieten. Zum Beispiel leerstehende Ladenlokale… Das ist leider so, allerdings sieht es anderswo eben nicht anders aus.


Müll, das variantenreiche Maskottchen Werls

Gastronomie- Saufen und Fressen


Ich bin mehrmals wöchentlich in Werl. Und das liegt nicht daran, dass ich gebürtige Kötte bin und aus melancholischen Gründen gerne im Ort meiner Kindheit herumlungere, sondern weil die Cafés allerlei Ansprüche und Bedürfnisse befriedigen.


Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, denn sonst wird das hier ein episches Ungetüm. Die einzelnen Anlaufstellen verdienen außerdem eigene Berichte. Doch wer soll sich darum kümmern? Und wann? Den folgenden Absatz habe ich bereits mehrfach angefangen und es ufert zwangsläufig aus. Also werde ich bald mal gesondert einen Überblick zusammenschreiben, in dem es um die Koffeintankstellen geht. Egal, ob man Blagen an der Backe hat, sich nach der Cola noch einen Pimmel auf den Oberarm tätowieren lassen möchte, auf köstliches Eis steht oder zum Nachtisch mal gerne eine halbe Torte vertilgt. Eigentlich dürfte jeder das passende Angebot finden.


Von Kaffee und Kuchen alleine kann man nicht leben. Wobei ich kein Arzt bin, also könnte es vielleicht doch möglich sein. Wer dieses Experiment nicht durchführen möchte, wird in Werl aber auch nicht verhungern. Pizzerien, die teils seit mehreren Jahrzehnten die Öfen beladen, sind reichlich vorhanden. Aber auch etwas exotischere Angebote (nein, damit meine ich nicht den obligatorischen Döner) stehen dem hungrigen Bierbauch zur Verfügung. Indische, libanesische und türkische Spezialitäten beispielsweise. Eine klassische Imbissbude, an der Mantaplatten produziert werden (mit Holzkohlegrill), darf natürlich nicht fehlen. Urige Wirtshäuser laden zum Feierabendbier an der Theke oder deftigem Dinieren ein. Burger, Barbecuegedöns und viele weitere Geschmacksrichtungen dürften eigentlich nur wenig Wünsche offenlassen.



Standard


Deutsche Fußgängerzonen folgen einem gewissen Rezept. Dieses ist nicht mehr allzu zeitgemäß, schmeckt auch nicht wirklich gut, aber bestimmte Ingredienzien gehören da nun mal rein. Bereits angesprochene Handyläden etc. findet man natürlich in Werl. Allerdings gibt es noch andere standardisierte Aspekte, die eine Fußgängerzone ausmachen. So gibt es Apotheken, in denen mit weißen Kitteln bekleidete Schamanen gegen unterschiedliche Wehwechen Zauberpülverchen anrühren, Bäcker, den obligatorischen Drogeriemarkt und die Stadtinformation. Obwohl bekanntlich immer mehr Filialen dichtmachen, kann man sich hier noch von äußerst schniecken Bankfuzzis in der Sparkasse und Volksbank zum Dispo beraten lassen, der für die Karriere in der Spielothek unabdingbar erscheint. Ebenfalls besteht die Möglichkeit, sich mit hässlich bedruckten Textilien zu versorgen, um seinen lausigen Leib zu verdecken. Schließlich beherbergt Werl sogar ein zweistöckiges Einkaufszentrum, in dem man von Eierkneifern über Staubsauger bis hin zu Schulheften und Reisekoffern alles ergattern kann.


Alles, was man braucht


Grundsätzlich gibt es in Werl alles, was man zum Dahinvegetieren so benötigt. Die kleinen Köttenkinder steckt man in Kitas und später lernen sie dann in den Grundschulen, wie man das Ungetüm von Namen schreibt, das ihnen ihre Eltern auferlegt haben. Damit man den Nachwuchs nicht permanent an den Backen hat, schickt man sie in die unterschiedlichen Vereine. Im Kreis rennen, Ping Pong spielen, Kampfkunst erlernen, tanzen, im Chlorwasser plantschen oder klassisches Pöhlen. Für jede Zwangsneurose, alle motorischen Auffälligkeiten und Vorlieben gibt es den maßgeschneiderten Club. Ausführliche Ausführungen zum Thema Bewegungsangebote haben wir bereits ausgeführt. Einfach dem vertrauenswürdigen Link folgen.



Hat man Aua oder der Knubbel am Sack nimmt bedenkliche Ausmaße an, kann man zu Fachärzten rennen und sich einen Termin für das kommende Jahr geben lassen. Im Krankenhaus werden die akuten Fälle behandelt. Ausgekugelte Schultern von Kreisligakickern oder aufgeschrammte Knie von Radfahrern, die etwas zu tief ins Glas geschaut haben beispielsweise. Und wenn man die letzte Puste ausgehaucht hat, wird man auf dem idyllischen Parkfriedhof verscharrt. Werl ist also ein ganzheitlich angelegtes Gesamtkunstwerk, welches man zeitlebens nie verlassen müsste.


Köttenkunst



Kunst, Kultur und Kötten


Wenn ich an Werl denke, breitet sich pure Ambivalenz in mir aus. Schmunzelnd packe ich mir an den Kopf, in dem sich unerträgliche Kopfschmerzen ausbreiten. Es ist immer ein JA, ABER.

Die glorreichen Zeiten verbinden viele Ureinwohner mit der Zeit, als uniformierte NATO-Soldaten das Stadtbild prägten. Es war naturgemäß viel Geld im Umlauf und allgemein war richtig was los. Das sieht heute anders aus.


Diskotheken (so nannte man das einst) sucht man vergeblich, wenn man mal vom Kraftwerk absieht, das etwas außerhalb Richtung Wickede liegt. Manchmal lädt das „Event- und Kulturzentrum Bahnhof“ zu verschiedenen Veranstaltungen ein. Konzerte, Partys und Lesungen zum Beispiel. In der Stadthalle kann man sich ebenfalls einfinden, um ausgedienten Komikern beim Runterrattern ihres angestaubten Programms zu lauschen. Gelegentlich verirren sich aber auch Künstler in die Stadt, die man sich durchaus mal gönnen sollte.


Kurpark- Heimat der pöbelnden Enten

Im Stadtgebiet findet man auch immer wieder Kunst. Ob es sich jetzt um Installationen Otmar Alts handelt oder in Stein geklöppelte Viecher. Doch wird den aufmerksamen Augen nicht nur standardisierte Eintönigkeit präsentiert. Straßenkunst gibt es nämlich auch hier und sie repräsentiert die Grundhaltung zu Werl in recht passender Art. So sind Fassaden und Unterführungen mit Kleinkunstkreationen gesäumt. Das Repertoire reicht von mühsam und liebevoll aufgebrachten Gemälden über kurze, teils amüsante Sprüche bis hin zu wenig ansehnlichen Farbklecksen, die dem Auge des Betrachters eher Unmut bereiten. Am häufigsten finden sich jedoch Variationen des männlichen Geschlechtsteils. Wahrscheinlich wagen sich die wenigsten Sprühdosenfetischisten an die Darstellung einer prächtigen Vulva heran, was jedoch auch daran liegen kann, dass der sogenannte „Pimmel“ selbst von sedierten Schimpansen aufs Papier gebracht werden könnte.


Wer mich kennt, weiß, dass ich Lokaljournalismus für eine unabdingbare Notwendigkeit halte. Was der Soester Anzeiger macht, erinnert mich leider häufig an eine Parodie oder misslungene Persiflage einer seriösen Zeitung. Bei den Kommentaren unter den „Artikeln“ grüßt regelmäßig das Essen vom Vortag, das in Kombination mit bitterer Galle die Speiseröhre hochkriecht. Viel Rückwärtsgewandtheit, viel Stumpfsinn, eine Prise Hass und fertig ist der typische Facebook-Kommentar eines Anzeigerlesers. Das gilt natürlich nicht für alle, sondern für eine nicht außer Acht zu lassende Anzahl. Also auch hier, JA, ABER.


Menschen- Das Fleisch im veganen Burger


Die Krone der fragwürdigen Schöpfung ist fraglos der majestätische Mensch. Wie man einen Ort, eine Stadt oder eine Kneipentoilette wahrnimmt, ist stark abhängig vom präsenten Personal. Den Berlinern sagt man nach, sie würden frei heraus sprechen, die Kölner seien Frohnaturen, die Plörre als Bier verkaufen und in München sind die Leute bereits in der Mittagspause betrunken. Werler und Werlerinnen sind eine besondere Gattung. Man kann sie nur verabscheuen und lieben.


Schließlich sind die Zweibeiner für das verantwortlich, was man hier im Alltag so vor die Nase gesetzt bekommt. Es sind diese rücksichtslosen Rabauken, die den Müll zielsicher neben die Mülleimer schleudern. Sie hinterlassen in den öffentlichen Toiletten traumatisierende Szenerien. Sie pöbeln grundlos herum. Sie schmieren Wände historischer Gebäude mit Dreck voll.

Allerdings opfern sie auch ihre Freizeit in den zahlreichen Vereinen, wo sie ehrenamtlich Wissen vermitteln, Freude bereiten und Kleinkindern einen Fußball ins Gesicht schießen. Sie zaubern Köstlichkeiten, kümmern sich umeinander, wagen sich mit eigenen Geschäftsideen ins Haifischbecken der Selbstständigkeit und veranstalten Veranstaltungen, um Geselligkeit zu verbreiten.


Wie lang soll der Text denn noch werden?!


Jaja, ich weiß. Ein Wust an Worten, doch ich komme mal wieder nicht zum Punkt. Das ist allerdings auch unmöglich. Ich könnte noch etliche Seiten mit Gedanken füllen, die sich mit der Ambivalenz dieser Stadt befassen. Aber irgendwann muss auch mal gut sein.


Ich habe meine Kindheit und Jugend in Werl verbracht. Nach einem Großstadtabenteuer hat es mich zurückgezogen. Viele zieht es zurück, obwohl es immer ein JA, ABER gibt. Das muss seine Gründe haben. Man kann sich im Kurpark entspannen, eine Runde im Stadtwald drehen, einige Events versprühen einen ganz speziellen Charme und wer sich gerne bewegt, wird in Werl ausreichend Möglichkeiten finden. Natürlich ist Müll ein Problem, Vandalismus und Gewalt. Diese Dinge sind aber nicht werlspezifisch und haben ebenfalls ihre Gründe. Wem die Angebote im kulturellen Bereich nicht genügen, der ist schnell in anderen Städten, wobei sowohl die Autobahn schnell erreicht als auch die Zuganbindung Fluchtwege bietet.


Ich bin gerne in Werl und hasse es, dort zu sein.


P.S. Mir ist bewusst, dass ich so viele Aspekte ausgelassen habe, dass ich mich schämen sollte. Aber wer soll das Alles lesen?! Bis die Tage in der Köttenstadt!


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