Bald ist Weihnachten. Das dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Anlässlich dieses Anlasses richte ich den Blick mal wieder in die glorifizierte Kindheit und statte dem köttigen Geist der vergangenen Weihnacht einen kleinen Besuch ab. Als erwachsenes Mitglied der geselligen Gesellschaft ist das besinnliche Treiben geprägt von Verpflichtungen, dem Kauf unpassender Geschenke, dem Konsum fragwürdiger Glühweinmischungen und Tragen noch fragwürdigerer Textilien. Daher tut so eine kleine Zeitreise zwischendurch mal gut. Also schwingen wir uns auf den Schlitten und scheuchen die Rentiere in die 90er Jahre.
In der Weihnachtsbäckerei
Im Dezember lief der Backofen fast ununterbrochen. Normalerweise bevorzugte ich es, wenn die Fritteuse angeschmissen wurde, aber in der Weihnachtszeit erweiterte ich alljährlich meinen kulinarischen Horizont.
Mama kümmerte sich um „Ochsenaugen“, die sie mit einer erstaunlichen Präzision herstellte. Allgemein ist an ihr definitiv eine Konditorin verlorengegangen. Buttercremetorten waren bei jedem Geburtstag das Highlight. Ernas (Omma) Spezialgebiet waren Makronen. Unfassbar saftig und mit reichlich Suchtpotential versetzt. Oppa jedoch, der nicht unbedingt für seine ausgiebigen Künste in der Küche berühmt war, haute richtig auf die Kacke. Neben seinen Waffeln, die er in Kompaniestärke produzierte, war er vor allem der Meister des Spritzgebäcks. Mit Zigarre im Mund (die schien dort festgewachsen zu sein; vielleicht hatte er beim Schlafen keine Zigarre zwischen den Lippen, aber sicher bin ich mir nicht) vermengte er die Zutaten in der Rührschüssel. Egal, wie lang die Asche an der Spitze wurde, es fiel nie auch nur ein Atom davon in den Teig. Es war erstaunlich. Kiloweise kurbelte er den Teig durch den Fleischwolf. Blech um Blech zog er aus dem Ofen und ein speichelflusserzeugender Duft waberte durch die Bude. Die fertigen Exemplare landeten schichtweise in einer edlen und gigantischen Dose, in der einst eine Premiumzusammstellung Nürnberger Lebkuchenvariationen lagerte. Eine kleine Kugel Teig ließ er für mich immer ungebacken. Das galt auch für den Waffelteig. Noch heute wird das Rezept genutzt. Könnte mich einen Monat lang ausschließlich davon ernähren, was ich in meiner Kindheit fast getan haben dürfte.
Dekoration
Wer sich aus seinen schimmeligen 4 Wänden traut, wird allumfassend mit Dekoration, der glitzernd leuchtenden Daseinsberechtigung von TEDi und Co. konfrontiert. Weihnachtsbäume lungern an Mülltonnen herum, Lichterketten baumeln an ungeputzten Fenstern und rot gekleidete Einbrecher hängen am Schornstein. Für mich erschließt sich der Sinn dahinter nur sehr eingeschränkt. Wenn ich Stimmung haben möchte, greife ich zum Werler Tropfen und sehe Sterne…
Im Drosselweg wurde allerdings immer viel Wert auf eine angemessene Gestaltung des Wohnbereichs gelegt. Zwar wurde kein Lametta auf die Gewehre geworfen, die offen im Esszimmer als Ganzjahresdeko hingen, aber ansonsten wurde das gesamte Arsenal ausgeschöpft.
Im Zentrum der dekorativen Fieberträume steht bekanntlich der Weihnachtsbaum. Es ist eben des Deutschen Hobby, sich dahinvegetierende, zum Dahinsiechen verurteilte Pflanzen in die Bude zu stellen. Das war bei uns nicht anders. Meist fuhr Mamma mit Oppa los, um nach einem geeigneten Exemplar zu schauen, denn der Herr des Hauses musste dem nadelnden Ungetüm schließlich seinen Segen geben. Im Laufe der Jahre hatte Mamma durch ihren geschulten Blick aber auch das Vertrauen gewinnen können, sodass sie irgendwann ohne Begleitung den Auserwählten auswählte.
Das Schmücken war allerdings Chefsache und folgte gesetzesmäßigen Gesetzmäßigkeiten. Am Morgen des 24ten ging das alljährliche Spektakel dann los. Die Kugeln wurden entstaubt (keine Plastikdinger von TEDi, sondern Unikate aus einer Manufaktur, die behandelt wurden, wie kleine Schätze), das Lametta in Form gebracht, die Kunstschneedosen geschüttelt, die kleine Christkindfigur (wichtiges Erinnerungsstück, das inzwischen in nächster Generation seinen Dienst versieht) aus dem Urlaub geholt und die Lichterketten zur Vorbereitung des Tobsuchtanfalls aus dem Karton gefriemelt.
Ich weiß, dass damals auch richtig echte Kerzen zum Einsatz kamen, doch in meiner Zeit wurde dem Wunder der Elektrizität gehuldigt. Das Problem mit den leuchtenden Ketten dürfte allseits bekannt sein. Während sie im Karton herumlungern, bilden sie unentwirrbare Knoten, die jeden Seemann zur Verzweiflung bringen würden. Oppa hatte keine Chance und Sätze, wie „Ich schmeiß die Scheiße gleich vom Balkon!“ oder „Kehr, ich zerreiße die Drecksteile und wir kaufen neue!“ gehörten zu Weihnachten, wie liebevoll eingepackte Geschenke. Irgendwann gesellte sich Mamma dazu und half beim Lösen des gordischen Knotens.
Anschließend wurde an der ästhetischen Positionierung der Kugeln gearbeitet. Gelegentlich durfte ich auch mal die eine oder andere an den Ästen platzieren. Welch erhabenes Gefühl. Lametta wurde ebenfalls reichlich verwendet. Zum krönenden Abschluss sprühte Oppa dosenweise Kunstschnee auf das Grün. Der chemische Duft des mutmaßlich krebserregenden Toxins ist für mich Weihnachten pur.
Musik
Musik war allgemein immer ein Thema und die Einflüsse hatten eine enorme Bandbreite. The Doors, Schlager (auch der ganz alte Kram), Reggae, Elvis, Chansons und vieles mehr dröhnte aus der für seiner Zeit hochmodernen Anlage (Platte, Kassette und CD), wenn Oppa nicht mal wieder einen falschen Knopf gedrückt hatte und das Teil vor die Wand schmeißen wollte. In der Weihnachtszeit liefen oft die bekannten Lieder. Gelegentlich etwas klassische Töne mit Möchtegerngitarren (Geigen) und überdimensionierten Keyboards (Klavier). Hauptsächlich verbinde ich mit der Zeit aber Heintje. Diesen Schleimscheißer mit der einzigartigen Stimme. Sobald ich irgendwo den engelsgleichen Gesang des Lieblings aller Schwiegermütter höre, denke ich an Weihnachten. Und meinen Cousin 😉
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Wunschzettel
Man kann sich alles wünschen. Heute wünsche ich mir weniger blanken Irrsinn und Dummheit zwischen den Ohren der Wahlberechtigten, weniger Verkürzung und Verzerrung im öffentlichen Diskurs, aber vor allem: Weniger Rückenbeschwerden. Keinen schmerztablettenresistenten Kater nach ein paar Dosen Faxe und weniger Wartezeit am Imbiss. Früher war das freilich ne andere Sache.
Frühzeitig kümmerte man sich als Köttenkind um die Erstellung der unverschämt umfangreichen Liste von kostspieligen Wünschen. Zunächst wurde dies in fein säuberlicher Handschrift getan. Irgendwann nutzte ich aber auch die bequemen Möglichkeiten des technischen Fortschritts. Dennoch mussten Aufkleber oder stümperhafte Zeichnungen den Wunschkatalog abrunden.
Futtern
Ich habe belgische Wurzeln, weshalb ich als Hauptmahlzeit immer eine Portion gekonnt hergestellte Fritten bevorzuge. Handgeschält, in Form gesäbelt, vorfrittiert und bis zur Perfektion im Öl gebadet. Grundsätzlich werden Nahrungsmittel durch das Tauchen in siedendes Öl schmackhafter. Zu Weihnachten zeigte ich mich allerdings kompromissbereit. Die Hauptattraktion waren Schlesische Würste (ich kenne sie nur als „Weihnachtswürstchen“), die ordnungsgemäß beim Metzger gekauft wurden. Anschließend mussten sie mittels eines mythischen Prozesses namens „Brühen“ veredelt werden. Dies erinnerte an Miraculix, der am Topf den Zaubertrank zusammenrührte und dürfte ähnlich komplex gewesen sein.
Oppa hatte selten Appetit, aß aber immer einige Häppchen, bevor es wieder auf den Chefsessel ging. Von der Hauptspeise abgesehen, ist die Weihnachtszeit durch das angemessene Anfressen des Winterspecks gekennzeichnet. Besonders eignen sich dafür bekanntlich Süßwaren, die das Fundament einer gesunden Ernährungspyramide bilden. Wir hatten eigentlich immer Zugang zu reichlich Knabberkram. Zuckriges und Salziges fanden wir im Wohnzimmerschrank. In der Weihnachtszeit erhielten wir jeweils einen gigantischen Teller, der bis zur Belastungsgrenze mit Schokoladenvariationen beladen war.
Bescherung
Lächerliche Bekleidung, Lichterketten bis zum Abwinken, gepanschter Glühwein, Wiederkehrendes in Form von Filmen und Liedern und bewusst ungesunde Ernährung. Weihnachten ist Vieles, aber hauptsächlich geht es ja wohl um Geschenke. Also Geschenke bekommen.
Im Drosselweg glaubten wir ans Christkind, dessen Abbild in der Tanne herumhing. Nach dem Essen mussten mein Bruder und ich gemeinsam Zeit im Zimmer miteinander verbringen. Wir haben es nachweislich überlebt. Irgendwann klingelte dann das Glöckchen und wir durften ins Wohnzimmer, wo die Präsente auf den Sofas warteten, denn unter dem Baum wäre nicht genug Platz gewesen. Das Christkind selbst war inzwischen aus dem Baum verschwunden. Was war denn in den liebevoll eingepackten Geschenken zu finden?
Mamma gab mir immer Geld, um ihr ein Geschenk zu kaufen. Mit Opium, einem unverschämt teuren Duftwasser, lag man immer richtig. Omma wurde mit frischen Kitteln versorgt oder es gab mal ein blubberndes Fußbad. Oppa erhielt neue Hemden oder eine Kombination aus Parfum, Aftershave und Seife. Die Verpackung war grün, leider komme ich nicht mehr auf den Namen. Oppa und ich waren bezüglich der Geschenke von einem ähnlichen Schlag. Wir hatten den alljährlichen Deal, uns bereits vor der Bescherung zu beschenken. Guter Mann.
Doch kommen wir endlich zur Sache. Mamma war quasi Stellvertreterin des Christkindes und sie gab sich immer große Mühe, alle zufriedenzustellen. Früher war Einkaufen noch eine andere Nummer. Nix Amazon, Zalando oder so. Damals musste man sich noch ne Hose anziehen und sich ins Getümmel voller ungewaschener Mitmenschen stürzen, beim Versuch, die letzte Action-Man Figur zu ergattern.
Die Bandbreite an Geschenken war beachtlich. Fußbälle fanden sich eigentlich in jedem Jahr unter den Präsenten. Manchmal auch ein paar Torwarthandschuhe, die nicht stanken, was sich nach der Nutzung aber merklich änderte. Nachschub für die unterschiedlichen Konsolen ging eigentlich auch immer. Gerne erinnere ich mich an Resident Evil 2 ( https://www.werler-koette.de/post/willkommen-in-raccoon-city-resident-evil-2 ), welches durch die Indizierung nicht ganz so leicht zu ergattern war. Ebenfalls ist GTA 3 ( https://www.werler-koette.de/post/gta-iii-wenn-tarantino-ein-spiel-machen-w%C3%BCrde ) tief mit Gedanken an Weihnachten verbunden. Mein Bruder und ich bekamen es quasi gemeinsam geschenkt und verbrachten die gesamten Feiertage und weitere Zeit im dreidimensionalen Liberty City. Damals musste man nicht so lange auf die Nachfolger warten...
In einem Jahr öffnete ich die akkurat eingewickelten Geschenke und fand ganz besondere Actionfiguren (Barbies für Jäuster). Es handelte sich um eine limitierte Auflage der Resident Evil Charaktere, für die man irgendeinen Abschnitt per Post an einen berittenen Buckeligen schicken, der sich dann um die Versendung der handbemalten Zombies kümmerte.
Wie so viele Dinge aus der Kindheit sind sie mit der Zeit verlorengegangen. Immerhin versuche ich die Kindheitserinnerungen ein wenig zu konservieren, damit diese nicht auch noch im Nirwana verschwinden.
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